Esoterische Irrwege

Das Labyrinth als Lebensanleitung und Welterklärungsmodell

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn wir wüssten, dass die Welt ein Labyrinth ist, dann wüssten wir, dass es ein Zentrum gibt. Egal, ob dort etwas Schreckliches wie der Minotaurus oder etwas Göttliches wohnt. Aber es gäbe ein Zentrum. Wenn wir hingegen annehmen, dass die Welt Chaos sei, dann wären wir wirklich verloren.

(Jorge Luis Borges)

Das Labyrinth als geordnete Welt: Das ist die Vorstellung, die das Buch mit dem ebenso verhältnisreichen wie verhängnisvollen Untertitel trägt ("Die Kunst, zu wandeln"). Denn hier markiert die Herausgeberin einen Anspruch, der durch den Lektüreeindruck kaum eingelöst werden kann. Schlimmer noch: Bei genauerer Betrachtung erweist sich das Buch - zumindest in Teilen - als esoterische Lebensanleitung. Nach Trennkost und Feng Shui soll nun also das Labyrinth den Gang durchs Leben erleichtern.

Dabei fängt das Buch gut an: in einem historischen Überblick umreißt Seifried das Thema und definiert es gleichzeitig in Abgrenzung zum Irrgarten - übrigens in Anlehnung an das eingangs zitierte Borges-Motto. Die Gleichsetzung von Hirn und Labyrinth, von Universum und Labyrinth macht aber sehr schnell deutlich, in welche Richtung sie "Labyrinth" verstanden wissen will: als universales Welt- und Bewusstseinserklärungsmodell nämlich, das Mikro- und Makrokosmos bildlich in sich vereint.

Natürlich sind solche Parallelsetzungen nicht verboten oder unsinnig. Aber in dem hier präsentierten Kontext scheint eine Affinität zu jenen Bewegungen auf, die gleichfalls mit dem Anspruch antraten, "wissenschaftlich" populäre Phänomene erklären zu wollen und letztlich in einer Glaubensgemeinschaft endeten (z. B. Kübler-Ross' TNE-Gemeinde). Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist das Buch ungenießbar, denn es offeriert Thesen und geht Fragestellungen nach, die aus dem 19. Jahrhundert stammen könnten. Man könnte zugespitzt auch formulieren, dass jene Bewegung um Ilse Seifried auf dem Weg zum Glaubensbekenntnis oder gar zur Ideologie ist - entweder der Leser ist für das Labyrinth als Bewusstseinsform, oder er ist verloren und ungläubig.

Trotz eines latenten Feminisierungsbestrebens deckt das Buch Diskurse kaum auf, sondern schafft eher neue. Dazu gehört der wiederholte Hinweis auf die christliche Symbolik des Labyrinths (das in seinen Ursprüngen aber vorchristlich ist), sowie die zwanghaft erscheinende Verbindung von Weiblichkeit und Labyrinth. Überhaupt ist der Körperdiskurs in diesem Buch von einer solchen Art, dass er unbrauchbar ist: der Verweis der Autorin, dass sich das Labyrinth nicht vom Schreibtisch aus, sondern nur körperlich erfahren lasse, spricht für sich und den Ansatz dieser Publikation.

Titelbild

Ilse Seifried: Das Labyrinth. Oder die Kunst zu wandeln.
Haymon Verlag, Innsbruck 2002.
208 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 3852184002

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