Umstrittener Klassiker
Die Beiträge auf der Frankfurter Foucault-Konferenz 2001 ziehen eine Zwischenbilanz
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWie Axel Honneth und Martin Saar im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Tagungsbandes zur Frankfurter Foucault-Konferenz 2001 bemerken, übt das Werk des französischen Denkers einen andauernden "tiefgreifenden, transformierenden Einfluß" nicht nur auf das philosophische Denken der Gegenwart aus, sondern strahlt in zahlreiche Wissenschaften hinein. Der vorliegende Band ist dazu angetreten, eine Zwischenbilanz der Forschung zu ziehen. Dabei wird nicht nur deutlich, wie lebhaft und vielfältig die gegenwärtige Foucault-Rezeption ist - reicht das Themenspektrum der Beiträge doch von Foucaults "Blind Date" mit der deutschen Geschichtswissenschaft (Ulrich Binder) über Foucault als "Theoretiker der visuellen Unkultur" (Tom Holert) und seine Ausführungen zu "Kritik und Gefangenschaft" (David Owen) bis hin zu seiner Macht- und Körpertheorie (Judith Butler) -, sondern es wird auch deutlich, wie kontrovers einzelne Themen und Fragen diskutiert werden, so etwa, wenn Thomas Lemke sich gegen eine in dem vorliegenden Band ebenfalls enthaltene Interpretation Nancy Frasers wendet und die "doppelte These" der New Yorker Professorin für Politische Theorie, Foucaults Arbeit sei "normativ defizitär" und "empirisch überholt", einer "kritischen Überprüfung" unterzieht.
Kurz, der Band bestätigt einmal mehr, was auch die Herausgeber feststellen, dass Foucaults Werk "die Voraussetzung einer auch nur halbwegs homogenen Interpretationsgemeinschaft" fehlt. Dass er jedoch "auf absehbare Zeit wohl kaum zu einem Klassiker im traditionellen Sinn" werden könne, weil "die Deutungsversuche derer, die sich heute um die Auslegung seines Werkes bemühen" zu "vielstimmig" und zu "heterodox" seien, ist wenig plausibel. Hegel etwa war auch zu Zeiten der untereinander sehr streitbaren Links- und Rechtshegelianer ebenso ein Klassiker wie es 50 Jahre später sein Vorgänger Kant ungeachtet der heftig miteinander konkurrierenden Marburger und Südwestdeutschen Schulen des Neukantianismus war, zu deren erkenntnistheoretischen Kontroversen um das Kantische Erbe sich seinerzeit noch psychologische Kant-Interpretationen wie etwa diejenige Jürgen Bona Meyers gesellten. "Jeder", so stellte Hermann Cohen, das Haupt der Marburger Schule, damals fest, "liest seinen eigenen Kant".
Nicht zuletzt gerade darum, weil 'jeder' sie liest und 'jeder' sie anders liest und weil ihre Texte so fruchtbar bleiben, sind Klassiker Klassiker. Und in diesem Sinne ist auch Foucault schon - man möchte fast sagen: längst - zum modernen Klassiker avanciert.
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