Etikettenschwindel

Woher stammen die Marken wirklich?

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir wollen es, und wir wollen es um jeden Preis. Die pummelige Vierzehnjährige spart ihr dürftiges Taschengeld für ein viel zu teures Top, während sich der biedere Versicherungsangestellte aus Wanne-Eikel am Wochenende in die Designerkluft "aus Italien" zwängt. Insbesondere die Produkte aus dem Land, in dem die Zitronen blühen, haben es den Deutschen angetan. Oft genug beruht der wohlklingende Markenname jedoch ausschließlich auf dem Einfallsreichtum und Geschäftssinn seiner Erfinder.

Wie im Falle des Unterwäscheherstellers bruno banani, der mit seiner Markengeschichte "Wachstumschancen einer Unterhose" dankenswerterweise gleich selbst zu seiner Entmystifikation beiträgt. Der Markenname, hinter dem sich alles andere, nur kein italienischer Stardesigner verbirgt, ist eine Erfindung des Stuttgarters Gerhard Fischbach. Fischbach lässt die Designerwäsche zusammen mit seinem Partner Wolfgang Jassner in einer ehemaligen Trikotagenfabrik bei Chemnitz herstellen. Bruno Banani also? Als er den Namen der Redaktion einer Wirtschaftszeitung vorgestellt habe, sagt Fischbach, hätten sich die Leute halb tot gelacht.

Die Konsumenten nahmen offenbar keinen Anstoß an einem Markennamen, der irgendwo zwischen dem Namen eines Pornodarstellers und einer Figur aus einem Adriano-Celentano-Film oszilliert. Im Gegenteil: Da die Geschäftleute aus dem Osten Deutschlands eine Marktlücke entdeckt hatten, stellte sich schnell Erfolg ein. Mit steigendem Absatz folgte, was folgen musste: noch intensivere Werbeaktivitäten, gut aussehende Models satt, Ausbau der Produktpalette, Aufbau von Shop-in-Shop-Systemen, Sponsoring und schließlich: Word Wide Nepp. Und das alles, um die Spuren einer piefigen Herkunft zu verwischen?

Seitdem sucht bruno banani nach immer neuen Herausforderungen. Am liebsten die Extreme: "Pressure Proof" in den Tiefen des Bermuda-Dreiecks, "Speed Proof" im Teilchenbeschleuniger, Wüstenexpeditionen, Everest-Events. Nachdem die Schlüpfer durch alle Erdenregionen geschleust wurden, erobern sie im "Space test" die Raumstation MIR. Marketingtechnisch lässt sich diese Gesamtkonzeption als Universalisierung des Gebrauchswertes dechiffrieren: als zur Schau gestellte Funktionstüchtigkeit der Ware bei starker Hitze und Kälte; bei hoher Geschwindigkeit, hohem Druck und geringer Gravitation. Aber es geht auch um Spaß und Erlebnis.

Der Soziologe Gerhard Schulze hat dafür den Begriff der "Eventkultur" geprägt. Wohnte öffentlichen Inszenierungen früher noch der Bezug auf überindividuelle Orientierungsvorgaben inne, so bleibt heute davon nur der Bezug auf das autistisch ausgekostete Erleben übrig. Das Event weist nicht mehr über das eigene Leben hinaus, es umplätschert uns wie körperwarmes Badewasser. Wer "in" sein will, kramt sich seine Identität durch die Auswahl und Komposition der geeigneten Versatzstücke zusammen. Von der richtigen Automarke über die passende Musik bis eben zur Designerunterwäsche - unser Handeln ist wesentlich bestimmt durch das "Herstellen, Verwenden, Umbauen und Entsorgen von Modulen des Menschseins".

Aber das Spiel mit den ach so individuellen Waren und Erlebnissen von der Stange ist endlich. Wie bei bruno banani sind irgendwann alle Möglichkeiten ausgereizt, alle Dimensionen besetzt. Vielleicht richtet sich das Augenmerk der Konsumenten dann auf den wahnwitzigen Aufwand an Zeit, Kosten und Material, mit dem Marken-Kreuzzüge wie der von bruno banani bestritten wurden. Dem steht dann nur noch die entwaffnende Ehrlichkeit eines Unternehmens gegenüber, das mit seinen Absichten nicht hinter dem Berg hält. Die Hauszeitschrift, ein "informative(r) Bewusstseinsdesigner für neue Ansichten" heißt "Propaganda".

Bruno banani ist kein Ausnahmefall. Die Welt quillt über von Inszenierungen und synthetischer Individualität. Das Tragische ist nur, dass der schöne Schein und die ungeschminkte Wirklichkeit so gut wie nicht mehr auftrennbar sind. Längst schon konsumieren wir nicht mehr dieses oder jenes Ding, sondern den Konsum selbst. Der von Marx so genannte "Gebrauchswert" einer Sache ist bereits mit dem "Gebrauchswertversprechen" verschmolzen. Niemand käme mehr wie Michael Douglas in "Falling Down" auf die Idee, in einem Fastfood-Restaurant unter Androhung von Waffengewalt den Burger auf dem Plakat zu verlangen, weil ihn das jämmerliche Etwas, das man ihm stattdessen über die Theke schob, zum Überkochen brachte. Warum eigentlich nicht?

Vielleicht, weil sich die vollmundigen Versprechen der Werbung schon so tief in unser Bewusstsein gegraben haben, dass sie die Produkte und ihre materielle Basis hinter sich gelassen haben. Ein "angesagtes" Getränk affiziert so wenig die Geschmacksnerven, wie man sich die "hippen" Turnschuhe aus Gründen der Bequemlichkeiten zulegt. Sobald wir den Fernseher anschalten, eine Zeitung aufschlagen oder an einer Plakatwand vorbeigehen, beginnen die Marken eine vollendete Symphonie auf der Klaviatur unseres Zentralnervensystems zu spielen. Ob wir es wollen oder nicht: Unsere Beziehung zu den Gegenständen wird immer ungegenständlicher.

Was spielt sich alles ab in den Köpfen und im Dunkel der Gefühle! Der Biss in eine Tiefkühlpizza oder ein sahniges Stück Mozarella verheißt mediterrane Glückseligkeit, Designerklamotten nähren unsere Hoffnung vom Aufstieg in die bessere Gesellschaft, teure Parfüms befreien uns vom Ruch des Stinknormalen und machen uns zu sinnlichen Göttern. Dank Prada-Brille verwandelt sich jedes Dutzendgesicht in eine mondäne Schönheit. Eine gediegene Wohnungseinrichtung im Bauhaus-Stil verrät unseren Geschmack, genauso wie der schicke Kombi in der Auffahrt unseres Reiheneckhauses jedem kundtut, dass wir "es" geschafft haben.

Bezeichnenderweise zeitigt gerade der Erfolg der Marken Rückkoppelungseffekte. Der 5er BMW auf dem Aldi-Parkplatz ist Symptom dessen, was Norbert Bolz eine "Doppelcodierung des Konsums" nennt: Preisbewusstes Einkaufen von Grundnahrungsmitteln im Discountmarkt und gleichzeitig erlebnisbewusster Boutiquekauf ohne Preislimit. Da auf Dauer niemand über seine Verhältnisse leben kann, bringt der Konsum von Lifestylemarken zwangsläufig den Smart Shopper hervor, der seinen Einkaufswagen mit den günstigen Handelsmarken oder Noname-Produkten füllt. Peinlich ist ihm das nicht, solange er den Umgang mit den Lifestyleprodukten weiter souverän beherrscht. Vom Gesparten leistet er sich den Edel-Chronografen von Gucci oder den Rafting-Urlaub in Kanada.

Wie verrückt das alles ist, tritt ans Tageslicht, wenn man sich einmal die wahre Herkunft der begehrten Produkte vergegenwärtigt. Die ausländische Mode mit den verheißungsvollen Namen, so erfahren wir in Georg Weindls Buch "Der schöne Schein", kommt nicht aus Italien oder Frankreich. Sie stammt aus der deutschen Provinz. Hinter edlen Parfümmarken á la Armani, Hugo Boss, Calvin Klein und Davidoff stecken große Mischkonzerne und Chemiegiganten, in deren Produktionshallen auch profaner Toilettenreiniger und Putzmittel zusammengerührt werden. Joop-Jeans werden von Mustang geschneidert. Und im Fall von Red Bull verschleiert die Marke, dass hier kein hochprozentiger Energiedrink Flügel verleiht, sondern stattdessen eine bräunliche, mäßig schmeckende Limonade in einer Blechdose schwappt.

Weindl konfrontiert das im Markennamen geronnene Versprechen mit der wirklichen Herkunft der Marke. Nicht umsonst entwickelt sich das "Naming", die Suche nach ansprechenden Produktnamen, zu einem interessanten Geschäftszweig. Damit lässt das Buch unsere Sehnsüchte und Wünsche, die sich an die Marke geheftet haben, ins Leere laufen. Diese Desillusionierungsarbeit bewirkt beim Leser eine schmerzliche, nichtsdestoweniger aber wichtige Erfahrung.

Als Markenkritik greift das Buch allerdings zu kurz - trotz der Exkurse zum Begriff der Marke, zu Markentransfer und Lizenzgeschäft. Denn es beschränkt sich darauf, auf die Dissonanz zwischen Markenimage bzw. Markennamen und davon abweichender Markenprovenienz hinzuweisen. Über die - geringere? - Werthaltigkeit der Produkte oder die Bedingungen ihrer Herstellung erfährt der Leser so gut wie nichts. Noch dazu klingen die Ursachen, die Weindl für unsere blinde Markengläubigkeit namhaft macht - Flucht und Kompensation - wenig plausibel und zeigen, dass sich der Autor nicht auf der Höhe der Medientheorie befindet. Hier könnte man sicher substanzieller aufblättern.

Titelbild

Georg Weindl: Der schöne Schein. Das Geschäft mit den Lifestylemarken und warum wir sie kaufen.
Verlag Moderne Industrie, München 2003.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3478243009

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Gerhard Fischbach / Wolfgang Jassner: Wachstumschancen einer Unterhose. Oder: Wie man einen Markt erregt.
Verlag Moderne Industrie, München 2003.
233 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3478324807

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