Gerächte Gerechtigkeit

Alessandro Bariccos "Ohne Blut"

Von Gitte BalkwitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gitte Balkwitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gibt es eine gerechte Rache? Und wie durchbricht man die einmal begonnene Spirale der Gewalt? Diesen Fragen widmet sich Alessandro Baricco in seinem neuen Werk "Ohne Blut". Es geht um die großen Fragen der Schuld und der Vergeltung. Und darum, welche Realität die richtige ist.

Vor vielen Jahren haben drei Männer aus persönlicher Rache einen Mann und dessen Sohn getötet. Nur die kleine Tochter, Nina, konnte in einem Versteck überleben. Ihr ganzes Leben wurde seitdem von diesem schrecklichen Geschehen bestimmt. Jetzt, viele Jahrzehnte später, trifft sie auf den Letzten der drei Mörder, um ihre Vergangenheit endgültig zu bewältigen und mit ihm abzurechnen. Die beiden setzen sich mit den blutigen Geschehnissen auseinander, tauschen ihre Sicht des Vergangenen und Rechtfertigungen für einst begangene Gewalttaten zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit aus.

Der Konflikt der Erzählung ist einfach zu durchschauen, vielleicht sogar zu einfach: Es geht um die ewig aktuelle Frage der Rechtfertigung von Gewalt. Wessen Gerechtigkeit ist "richtiger"? Wer kann für sich die einzig wahre Wirklichkeit beanspruchen? Nina, die ihren geliebten Vater und Bruder rächen will? Oder hatten die drei Männer Recht mit ihrer Behauptung und ihr Vater war tatsächlich der sadistische Lazarettarzt, der im Krieg hunderte von Menschen hatte sterben lassen? Doch ist die Rache an ihm dadurch entschuldbar?

Der italienische Autor Baricco, der in Turin eine Schule für kreatives Schreiben leitet, ist bekannt für seine knappe und präzise Sprache, mit der er auch komplexe Sachverhalte darzustellen vermag. Diese Fähigkeit hat er schon in seinem bisher größten Erfolg "Seide" unter Beweis gestellt.

"Ohne Blut" bekommt darüber hinaus durch die auffallend vielen Dialoge eine angenehme Lebendigkeit. Diese wird allerdings durch moralische Belehrungen des Erzählers und moralisierende Reflexionen seiner Protagonisten beeinträchtigt.

"Wir können uns noch so sehr anstrengen, nur ein Leben zu leben, die anderen werden dennoch tausend andere darin entdecken, und deshalb ist es unvermeidlich, dass wir einander weh tun." Baricco versucht die Sinnlosigkeit von Gewalt und Selbstjustiz deutlich zu machen. Jeder Beteiligte hat Gründe für seine Grausamkeiten. Für jeden ist der Andere der Täter und er selbst nur ein Opfer und somit legitimer Rächer. Baricco führt dem Leser die Absurdität einer gewaltsam erkämpften Gerechtigkeit vor. Die Erzählung hat eine eindeutige Botschaft: Gewalt zieht immer Gewalt mit sich und muss unter allen Umständen vermieden werden. Jeder einzelne Racheakt zieht weitere und blutigere Kreise. Für Baricco gibt es nur zwei Möglichkeiten, die einmal begonnene Gewaltspirale zu durchbrechen: die endgültige Auslöschung aller Beteiligten oder Verzeihen.

Auch ohne pädagogische Belehrungen hätte der Leser die Absicht der Geschichte verstanden, deren Handlung durchaus für sich selbst zu sprechen vermag.

Titelbild

Alessandro Baricco: Ohne Blut. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Anja Nattefort.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
104 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3446203478

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