Ein Meisterwerk der Erinnerung

Stephan Wackwitz entdeckt "Die Wahrheit über Sancho Pansa"

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heinrich Katz, ein 81 Jahre alter, emeritierter Altphilologe ist am Ende seines Lebensweges angekommen. Als seine Exfrau ihm mitteilt, daß die alte Villa, in der er einst gewohnt hat, abgerissen wird, beginnt er sich langsam wieder an eine ferne Zeit zu erinnern, die ihm eigentlich schon abhanden gekommen war. Er schreibt seine Erinnerungsfetzen auf, schreibt über seine Kindheit in Berlin Anfang der 30er Jahre, seine Berufsanfänge in einer Bank in London, er erzählt von seiner Vereinsamung in dieser Bank, wo er schonmal auf die Frage, was er denn am Wochenende gemacht habe, antwortet: "Ich habe etwas Livius übersetzt." Später studiert er alte Sprachen und die römische Kultur des dritten Jahrhunderts, Plotin, Origines, Gordianus, und kommt so zu seinem eigentlichen Leben.

Langsam erinnert er sich jetzt auch wieder an das einschneidende Erlebnis seiner Kindheit, als er mit Gott gsprochen hat: "Gott ist der naheliegendste Gesprächspartner eines zwölfjährigen Jungen. Der König allein ist Dichter. Ein Zwölfjähriger vertraut seine Sehnsüchte und Ansichten am besten gleich dem poetischen Weltenherrscher an. Wer wäre zuständiger für das Glück darüber, daß die Welt so groß ist." Aber es passiert etwas, das ihn zu Tode erschreckt: Er bekommt Antwort vom Teufel.

Wackwitz, dem schon mit seinen Essays über Japan präzise Beobachtungen eines Flaneurs in der Fremde gelungen sind, erzählt diese Erinnerungen eines alten Mannes so sanft, so unaufdringlich und genau, so zärtlich, behutsam und sorgfältig, wie es nur wenige können. Die philosophischen Einschübe, die Heinrich Katz seinem poetischen Tagebuch anvertraut, die altphilologischen Bemerkungen und seine Theorien über die altrömischen Kaiser und Gegenkaiser, auch die Gespräche mit dem Psychiater und dem Pater sind nie belehrend, sondern wie nebenbei gesagt, und das kleine Buch ist voll von wunderbaren Alltagsbeobachtungen. Niemals versucht Wackwitz seine Figuren zu entlarven, und gerade deshalb gelingt es ihm, den Leser unmittelbar zu berühren. Diese längere Erzählung ist ein unauffälliges, bescheidenes und elegantes Meisterwerk.

Titelbild

Stephan Wackwitz: Die Wahrheit über Sancho Pasa.
Piper Verlag, München 1999.
142 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3492041086

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