Rezension eines Fehltritts

Virginie Despentes neuer Roman "Teen Spirit" bleibt uninspiriert

Von Ina BenekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ina Beneke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach ihrem Debüt "Fick mich" im Jahre 1993 und den Folgeromanen "Die Unberührte" und "Pauline und Claudine" hätte man etwas anderes von der Skandalautorin Despentes erwartet, die nicht zuletzt wegen ihrer Verfilmung von "Fick mich" in die Schlagzeilen geriet. Bei ihrem neusten Roman "Teen Spirit" handelt es sich, ganz entgegen der Gewohnheit, um einen passagenweise sogar heiteren Familienroman. Die Handlung liest sich locker und ist einfach durchschaubar, ein recht amüsantes Buch, in dem es Despentes aber nicht schafft den Leser wirklich zu berühren, die Charaktere scheinen zu aufgesetzt und konstruiert um authentisch zu sein.

Hauptperson ist der dreißigjährige Bruno, ein ehemaliger Musiker und Punk der versucht einen Roman zu schreiben, was ihm allerdings wegen seiner "Kifferei" nicht gelingen will. Bruno ist depressiv und menschenscheu und kann allenfalls durch seine raue Sprache glänzen. Zudem bildet er sich ein, an Klaustrophobie zu leiden und hat seine Wohnung seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. Auch im zwischenmenschlichen Bereich bekommt er nichts auf die Reihe.

Dann taucht Alice, seine Liebe aus Teenagertagen auf und teilt Bruno mit, mit ihr eine dreizehnjährige Tochter namens Nancy zu haben, die ihn unbedingt kennen lernen möchte. Soweit die Ausgangssituation. Wer nun aber meint, Brunos Leben gerate dadurch vollständig außer Kontrolle, hat weit gefehlt. Mit seiner Tochter kommt Bruno nämlich sehr gut zurecht. Er kann sich gut in die Gefühlswelt des pubertierenden Mädchen hineinversetzen. Nancy ist genauso unsicher wie er, eifert unerreichbaren Popidolen nach und sehnt sich nach Anerkennung. Nancys Mutter Alice hingegen verkörpert den angepassten, konservativen, "karrieregeilen" Teil der Bevölkerung, der nach falschen Werten strebt und den Bruno zutiefst verabscheut. Schade eigentlich, dass Despentes es nicht schafft, aus dieser recht interessanten Ausgangsituation einen mitreißenden Roman zu entwickeln. Das Ende ihres Buches ist dem aufmerksamen Leser von Anfang an klar, es kommt keine Spannung auf, und auch Despentes derber Stil kann den Leser nach "Fick mich" nicht mehr erschüttern.

Ihr "Markenzeichen", der an Fernseh- und Jugendsprache orientierte unverblümte Jargon, wirkt hier an vielen Stellen deplaziert. Zum Beispiel als Bruno, nachdem Alice ihm von der gemeinsamen Tochter erzählt hat, schroff reagiert: "Du bist doch nur eine scheiß verrückte Drecksschlampe, eine miese kleine Nutte." Despentes vermag es nicht, mit Rücksicht auf das Thema ihren Straßenjargon abzulegen. Es mangelt ihr sichtlich an Kreativität und Flexibilität. Zudem stellt sich hier die Frage, welche Zielgruppe Despentes mit ihrem Roman ansprechen möchte; für Kinder und Jugendliche scheint der Roman jedenfalls, allein schon wegen der unzähligen Kraftausdrücke, gänzlich ungeeignet.

Der Leser vermag sich mit keiner der Figuren identifizieren oder sich in deren Gefühlswelt hineinzuversetzen. Aus dem Versuch der Autorin, einen modernen Roman zu schreiben, der den Kern der Probleme schildert, mit dem sich Menschen in der heutigen Konsumgesellschaft konfrontiert sehen, ist schief gegangen, die Protagonisten wirken nicht glaubwürdig. Der Roman eignet sich allenfalls als eine leichte "Gute-Nacht-Lektüre", da er nicht fesselt und den Leser nicht weiter beschäftigt. Despentes Figuren kehren wie erwartet in "bewährte" Gesellschaftsstrukturen zurück. Die Autorin entwickelt keine Alternativen und kann, trotz der durchaus sichtbaren Ansätze, das vorherrschende Wertesystem nicht in Frage stellen.

Titelbild

Virginie Despentes: Teen Spirit. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Kerstin Krolak.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
157 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3499234068

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