Artistik und Evokation

Zu Jan Wagners Gedichtband "Guerickes Sperling"

Von Jürgen EgyptienRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Egyptien

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach seinem viel beachteten lyrischen Debüt "Probebohrung im Himmel" von 2001 hat der 33-jährige Jan Wagner nun seinen zweiten Gedichtband "Guerickes Sperling" vorgelegt. Das Buch gliedert sich in vier Teile, von denen der erste und dritte 15, der zweite und vierte 16 Gedichte enthalten. Eine Sonderstellung nimmt dabei der dritte Teil ein, der aus dem Sonettenkranz "görlitz" besteht. Der Begriff ,Kranz' ist dabei im strengen Sinne aufzufassen, denn diese Sonettenfolge hat eine äußerst kunstvolle Gestalt. Vom zweiten bis zum vierzehnten Sonett nimmt jedes in seiner Anfangszeile die Schlusszeile des vorhergehenden auf, während das erste mit der Schlusszeile des vierzehnten beginnt. So bilden diese 14 Sonette einen geschlossenen Kreis. Das 15. Sonett nun ist aus eben diesen vierzehn Schlusszeilen in Gänze zusammengesetzt oder besser: als Kranz zusammengeflochten.

Der dichten Webstruktur des Textes entspricht auch seine atmosphärische Dichte. Die "görlitz"-Sonette gestalten Stimmungen des lyrischen Ichs, halten zwischenmenschliche Szenen fest, bieten impressionistische Städtebilder und immer wieder Naturbeobachtungen von großer evokativer Kraft. Diese originäre Naturmetaphorik möchte ich als eine der Stärken von Jan Wagners Dichtung ansehen. Das Sonett, das von der vergeblichen Suche nach dem Grab von Jakob Böhme spricht, beginnt mit den Zeilen: "die woge moos brach an der friedhofsmauer / und marmortafeln kenterten im grün." Der folgende Text, der die Situation einer abendlichen Bahnfahrt festhält, endet mit dem Verspaar "die späte sonne fräste sich ins land / ein brocken kohle und ein diamant". Besonders schöne Bilder gelingen Wagner auch bei der poetischen Beschreibung des Vogelflugs. Im zehnten Sonett ist von "einem schwarzen mobile aus krähen" die Rede, während das Gedicht "Herbstskizze" synästhetisch "die weiße drehorgel des möwenschwarms" evoziert.

Wagners Sujets kommen der Entfaltung der evokativen Qualität seiner Sprache entgegen. Es sind Reisegedichte aus Amerika am Ende der ersten und aus Italien in der zweiten Abteilung, zudem die Städtegedichte in der vierten und die drei Texte, die den Band eröffnen. Sie widmen sich jeweils einzelnen Exponaten in einem naturhistorischen, einem kunsthistorischen und einem technischen Museum, im letzteren Falle der Vakuumpumpe von Otto von Guericke. Mit Blick auf die sprachliche Virtuosität und die angesprochene Gabe der poetischen Vergegenwärtigung könnte man beinahe von modernen ,Dinggedichten' sprechen. In der Tat erinnern Wagners Gedichte im Atmosphärischen wie im Artifiziellen an die Lyrik des Symbolismus, und in seinem schönen Gedicht "Die Brunnen von Olomouc" glaubt man diese wahlverwandtschaftliche Nähe auch motivisch erkennen zu dürfen, wenn man an Hofmannsthals "Weltgeheimnis" denkt.

Aber Wagner ist zugleich ein völlig jetztzeitiger Dichter, vielmehr ein Dichter auf der Höhe der Zeit. Das zeigt sich nicht zuletzt an seinen historischen Personen gewidmeten Porträtgedichten, die den geschichtlichen Prozess unters Zeichen des Scheiterns stellen. Im Gedicht über Saint-Just wendet er die Technik eines Chiasmus an, um die heikle Ambivalenz einer revolutionären Situation blitzartig aufscheinen zu lassen. Über Saint-Justs Reden, die schon Büchner in "Dantons Tod" zum Modell des dialektischen Umschlags der Französischen Revolution von Befreiung in Terror dienten, heißt es: "ein falsches wort, / ein wort zuviel nur, und der beifall rauscht / als fallbeil herab." Wagner, das zeigt sich noch einmal deutlich, ist ein Sprachartist. Seine Gedichte binden Sprachschleifen, die in sich selber durch die Wiederkehr von Versen, Klangfolgen oder Reimen verschlungen sind. Hier lauert, gelegentlich spürbar, die Verführung zum Manierismus. Im Gedicht "Hauch" forciert er das ingeniöse Spiel mit assonierenden Reimen, als wolle er mit dem Rekordhalter des exzeptionellen Reims, mit Peter Rühmkorf in Konkurrenz treten. Mit diesem teilt er auch die Verehrung für die expressionistischen Schriftsteller, wie sein empfindsames Porträt des Dichters Jakob van Hoddis erkennen lässt. Das Ende dieses Textes soll auch das des meinen sein: "der abend findet ihn / in seiner schmalen kammer: bohrendes weiß / der wand, mit zeitungsfetzen zum schweigen gebracht. / das astloch in der diele bei der tür / auf das er starrt. in dem die luft versickert."

Titelbild

Jan Wagner: Guerickes Sperling. Gedichte.
Berlin Verlag, Berlin 2004.
83 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3827000912

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