Michael Jacksons Nase und die Faszination des Monströsen

Ein Sammelband über Schönheit in den Gender Studies

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kants Auffassung, Schönes zeichne sich dadurch aus, dass man interesseloses Wohlgefallen an ihm finde, würden vermutlich nur die wenigsten der Autorinnen und Autoren des vom Münsteraner Arbeitskreis für Gender Studies herausgegebenen Sammelbandes zu "schönen und anderen Geschlechtern" vorbehaltlos zustimmen. So konstatieren Astrid Haar und Christian Schmitt bereits in der Einleitung, die existierenden "Schönheitsnormen und -empfindungen" seien nicht nur kulturell produziert sondern zudem eng mit "kulturellen Wertzuschreibungen" - insbesondere von Geschlechts- und Ethnizitätskonzepten - verbunden. Daher sei zu fragen, "welche Rolle Geschlechts- (oder ethnische) Identitäten bei der Entstehung und Beschreibung von Schönheitsidealen spielen", inwieweit 'Schönheit' mittels der Abgrenzung gegenüber dem körperlich, sozial oder kulturell als "unzureichend" oder "deformiert" und somit als 'nichtschön' wahrgenommenen 'Anderen' "konstituiert" wird und welche "historisch-kulturellen Machtmechanismen" die "kulturelle Produktion" von Schönheit verschleiern. Überraschend hieran ist vor allem, dass sie davon sprechen, Schönheit werde "konstituiert", erwartet hätte man "konstruiert". Erläutert wird die Wahl des Terminus nicht.

Zwei im Wintersemester 2001/02 und im Sommersemester 2002 von der studentischen Gruppe "genus" an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster organisierte Vortragsreihen orientierten sich an diesen Fragestellungen. Geladen waren ReferentInnen verschiedener in- und ausländischer Universitäten und Forschungseinrichtungen. Im vorliegenden Band sind ihre Vorträge versammelt. Joachim Frenk und Christian Krug stellen etwa die konsensfähige These auf, dass Schönheit als "kulturelles Objekt des Begehrens" über das interesselose Wohlgefallen hinaus geht, "auf anderes Begehrenswertes" verweist und ihren "Besitzern" "soziale Vorteile" verschafft. Sabine Sielke geht den "Projektionen schwarzer Männlichkeit in der amerikanischen Kultur" nach, und Kathy Davis zeigt, "Why Michael Jackson's Nose Makes 'Us' Uneasy".

Silke Wenk untersucht die Trias Models, Misses und Nation in der "Ära der Globalisierung". Hier erfahren wir etwa, dass die Miss Germany der Jahres 1931 in Miami als Deutsche nicht zur Miss Universum gewählt werden durfte, "der Erste Weltkrieg war noch in zu frischer Erinnerung"; dass die Nazis nach der Machtergreifung verkündeten, Deutschland wolle künftig nicht mehr an dieser "'Miss'-Wirtschaft" teilnehmen; dass 1982 im Austragungsort Lima Bomben explodierten, weil keine Südamerikanerin in die Endausscheidung gekommen war; und dass es 1996 Proteste gegen die Miss-Wahl in Indien gegeben hat, weil sie nicht mit der Landeskultur vereinbar sei. Inzwischen werden Schönheitswettbewerbe und Miss-Wahlen, wie die Autorin weiter ausführt, insbesondere "von verschiedenen islamischen Positionen" als "Symbol westlicher 'frauenverachtender' Kultur" gegeißelt. Doch auch von "'westlicher' Seite" werde um die "Bedeutungen des Geschlechts" gekämpft. Für diese werde das Bild der entschleierten afghanischen Frau zum "Bild des Anderen der 'patriarchalen, fundamentalistischen islamischen Ordnung'". Offenbar sei der 'Kampf der Kulturen' nicht ohne den "Einsatz der Geschlechterbilder" denkbar. So weit mag das zutreffen. Nicht so ihre These, dass die Entschleierung nach 'westlichem' Verständnis "pure Weiblichkeit" konstruiere, die in "der Tradition der westlichen Ordnung und ihrer Ordnung der Sichtbarkeit naturalisiert" werde, blendet diese These doch die Erkenntnisse des Gender-Diskurses aus, denen zufolge es weder 'pure' Weiblichkeit noch 'pure' Männlichkeit geben kann. Zu monieren ist zudem Wenks Kulturrelativismus, der keine Kriterien zur Evaluierung differierender Kulturen erkennen lässt.

Weder dem weiblichen Körper als Kampfplatz des Kulturkriegs noch den schönen Geschlechtern, von denen im Titel des Buches die Rede ist, widmet sich Dorothea Dornhof, sondern dem "Konzept des Dämonischen" und der "Faszination monströser Körper". Hierzu beleuchtet sie zum einen Mela Hartwigs Erzählung "Die Hexe" (1928) und zum anderen die Quadriga der "Alien"-Filme. Als eine "dämonische Antwort" auf die "Grenzverschiebungen zwischen Mensch und Maschine" visualisierten Letztere die "unheimliche Affinität" zwischen Mutter und Monster, in der "Faszination des monströsen Körpers" schienen zudem "Momente der Schönheit im Sinne des perfekten weiblichen Körpers" auf. Dabei leidet Dornhofs Aufsatz an einigen kleineren Schönheitsfehlern. So ist etwa unzutreffend, dass im titelgebenden Monster die "Reinheit der Madonna" zur "Gebärmaschine des Bösen" mutiert sei. Zweifellos ist das Alien gefährlich, ja todbringend, darum aber nicht böse. Scheint es im ersten Teil schlicht instinktgeleitet zu sein, so schützt es im zweiten als Alienkönigin und gute Mutter die Brut und wehrt sich im vierten schlicht seiner Haut. Im moralischen Sinne böse scheinen vielmehr Menschen zu sein, zunächst etwa die Herren des Konzerns, später die Wissenschaftler, die Ripley und mit ihr die Aliens neu erschaffen, sowie die Menschenhändler, die den Wissenschaftler für ihre Alienaufzucht Kolonialisten als dem Tode geweihte Brutkästen verkaufen. Gebrochen wird die Bosheit wenigstens der Menschenhändler allerdings dadurch, dass zumindest einige von ihnen sympathisch gezeichnet sind. So sind es denn auch eigentlich nicht die Menschen selbst, die böse sind, sondern einige ihrer Taten. Wenn Dornhof zu Recht "ausschließlich negative Auffassungen" des Monsters verwirft, die das Ergebnis einer "strikt dualistischen [...] Orientierung des Christentums und seiner klaren Scheidung von Gut und Böse" seien, so trifft diese Kritik ebenso entsprechende Lesarten der menschlichen Figuren.

Titelbild

Genus - Münsteraner Arbeitskreis für Gender Studies: Kultur, Geschlecht, Körper.
Agenda Verlag, Münster 1999.
316 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3896880616

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