Grenzen der Übertragbarkeit

Zu Aufzeichnungen aus der Zeit der Diktatur in Südkorea

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kampf gegen die verschiedenen Militärdiktaturen der 60er bis 80er Jahre trug dem südkoreanischen Politiker Kim Dae-Jung Verfolgung und Unterdrückung ein: zweimaliges Exil, mindestens zwei Versuche, ihn zu ermorden, eine Entführung, Hausarrest, Gefängnisstrafen, Folter und ein Todesurteil, das erst nach internationalen Protesten und kurz vor der Vollstreckung aufgehoben wurde. Mag rückblickend das Martyrium vor dem Triumph stehen: Damals war nicht klar, dass Kim 1997 zum Präsidenten und 2000 zum Friedensnobelpreisträger aufsteigen würde. Wie gerne man der Lebensleistung Kims Respekt zollen würde: Vorliegendes Buch ist kein geeigneter Anlass dazu.

Es handelt sich um ein aus der amerikanischen Fassung übersetztes Buch von Kims Frau, Lee Hee-Ho. Das koreanische Original datiert von 1992, wohl nicht zufällig das Jahr einer Präsidentschaftswahl, die Kim Dae-Jung dann verlor; ein politisch pragmatischer Zweck, den der deutsche Leser nicht erfährt, dürfte die Erinnerungen und Briefausschnitte seiner Weggefährtin bestimmt haben. Es ging Lee Hee-Ho mit ihrer Darstellung der Verfolgungen vor allem zwischen 1972 und 1982 darum, ihren Mann in günstiges Licht zu rücken und einer Verklärung vergangener Diktaturen entgegenzuwirken; um ein legitimes und ein respektables Ziel also, zu dem Lee vor allem das Mittel der Emotionalisierung einsetzte. Auch dagegen ist nichts einzuwenden, politikwissenschaftliche Analysen schaffen keine Mehrheiten. Waren die Emotionen im Korea des Jahres 1992 jedoch auf ein konkretes Ziel gerichtet, können sie im gegenwärtigen Deutschland mit seinen ganz anderen Problemen nur vage Gefühligkeit auslösen. Insofern lässt sich fragen, ob dieses Buch heute übersetzt werden musste.

Politische Fakten bietet es kaum. Von Kim ist eine Verteidigungsrede aus dem Revisionsverfahren gegen das Todesurteil abgedruckt; ein Text also, der schon situationsbedingt die Konformität seiner Aktivitäten hervorheben musste und so schon damals nicht recht deutlich machen konnte, wofür - außer für den Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte - Kim eigentlich stand. Das gleiche gilt für die Briefausschnitte, die Lee ausgewählt hat. Glaubt man ihnen, so scheint Kim zu meinen, alles werde gut, rede man nur einmal offen miteinander. Den Machttaktiker, der Kim als Politiker legitimerweise auch war, verbirgt Lee taktisch; nicht zum Nutzen des deutschen Lesers, auf den es im Korea von 1992 freilich auch nicht ankam.

Es wäre hier Aufgabe eines Kommentators, dem deutschen Publikum entsprechende Bezüge aufzuzeigen. Zwar gibt es 89 Anmerkungen, doch sind sie extrem lieblos gestaltet. Flüchtiges Korrekturlesen hätte Doppelungen vermieden: Zweimal gleich erfährt der Leser, dass der koreanische Präsident in einem "Blauen Haus" residiert, dass Kim Gu ein Unabhängigkeitskämpfer gegen die japanische Besatzung und Choi Kyu-Ha Übergangspräsident nach der Ermordung des Diktators Park Chung-Hee war. Dass die "Kommission für die Vorbereitung der nationalen Souveränität" auf Koreanisch "Kunkuk Junbee Euinwonhoe" und die "Allianz für koreanische Demokratie und Vereinigung" schlicht "Hanmintong" heißt, mag Sprachwissenschaftler interessieren, ermöglicht aber dem neugierigen Leser keine Einordnung der Gruppierungen. Auch spielen sich die Vorgänge völlig ohne politischen Kontext ab; die unterschiedlichen Menschenrechtspolitiken der im damaligen Südkorea in letzter Instanz herrschenden US-Administrationen von Nixon über Ford und Carter bis hin zu Reagan sind nicht einmal erwähnt, sieht man von der vereinzelten und auch noch falschen Einschätzung von 1981 ab, Reagan wolle Carters Menschenrechtspolitik fortsetzen.

Im vorliegenden Band geht es auch um Menschen, um ein Ehepaar. Die Personen bleiben allerdings blass und letztlich fremd. Die Gefühle sind schematisch formuliert, was dazu führt, dass die Personen so ausgestellt erscheinen wie im angehängten Fototeil. Dieser nimmt zwar auf deutsche Bedürfnisse Rücksicht, indem die außerhalb des Zeitrahmens liegende Begegnung des Ehepaars Kim/Lee mit dem deutschen Präsidentenpaar v. Weizsäcker und Bilder der Nobelpreisverleihung aufgenommen sind, orientiert sich aber an der noch heute wirksamen koreanischen Tradition des statischen, offenkundig inszenierten Personenfotos.

Erfährt man so wenig über die Menschen wie über politische Kräfteverhältnisse, so bleibt eine Lektüre aus mentalitätsgeschichtlichem Interesse. Sie verlangt, der Autorin entgegen, Distanz. Aus solcher Perspektive fällt die aus säkularisierter europäischer Sicht aufdringliche christliche Religiösität auf, die zu seitenlangen Ergüssen führt. Dies lehrt, wie in manchen Weltgegenden auch der christliche Glaube keineswegs eine überwundene Macht, sondern politisch wirksam ist. In Korea erstarkte das Christentum, gegenüber traditionellen Formen der Gläubigkeit, gerade in der Modernisierung; noch unklar ist, ob die Individualisierung, wie sie einer erfolgreichen Industriegesellschaft folgt, ausreicht, eine dem frühneuzeitlichen Europa vergleichbare terroristische Herrschaft des Christlichen verhindern kann.

Auch das ambivalente Verhalten eines autoritären Regimes, das sich doch demokratisch geben will, ist hier zu nennen. Bestimmte Formen des Widerstands, etwa der Familienangehörigen während der Prozesse gegen die Demokraten, sind nur möglich, wo die Diktatur vor der konsequenten öffentlichen Anwendung von Gewalt zurückschreckt; hier liegt ein Unterschied zu den europäischen Faschismen. Auch das ergab sich aus politischen Konstellationen und nicht aus Skrupeln der Diktatoren Park und Chun, die durchaus rücksichtslos zu morden wussten. Gerade in dieser Hinsicht könnte ein Herangehen, das die Vorlage als Material statt als Identifikationsangebot sieht, den Text produktiv machen. Vorliegende Ausgabe leistet dazu nichts und dürfte so zur Wirkungslosigkeit verdammt sein.

Titelbild

Hee-Ho Lee: Meine Liebe, mein Vaterland.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Pfennig.
Abera Verlag, Hamburg 2003.
282 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3934376460

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