Kristus Jan - das unnahbare Wesen

Robert Schneiders opulenter Roman "Kristus"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jan Beukels ist gerade sieben Jahre alt und lebt zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als ein einschneidendes Erlebnis das Leben des jungen Niederländers schlagartig verändert. Er sieht bei einer katholischen Prozession am Palmsonntag einen bemitleidenswerten, ausgemergelten Mönch und erklärt wenig später in der Schule auf die Frage nach seinem Berufswunsch: Kristus. Diese doppelte Blasphemie, auch der orthografische Fehler wird dem Knaben nicht verziehen, mündet in einer handfesten körperlichen Züchtigung.

Der österreichische Autor Robert Schneider, der 1992 mit dem später verfilmten Roman "Schlafes Bruder" kometenhaft in die Literaturszene eintrat, hat ein ausgeprägtes Faible für historische Stoffe, die er - nicht selten leicht verkitscht - in barocker Üppigkeit vor dem Leser ausbreitet. Es mag zu Schneiders Eigenheiten gehören, dass sein Erzählfluss zu einem reißenden, pathetischen Strom wird, aber die Handlung verliert sich in seinem neuen Werk - deltaähnlich - in ausufernden Nebensträngen.

Das größte Manko dieses Romans ist allerdings, dass der Protagonist Jan Beukels - später bekannt geworden als Jan van Leyden - in seiner Entwicklung für den Leser ein völlig unnahbares Wesen bleibt. Nach vielen Auslandsaufenthalten studiert Jan ausgiebig die Bibel und gewinnt die Erkenntnis, dass sie in krassem Widerspruch zur Praxis der Amtskirche stehe. Der vermeintliche Idealist und Gerechtigkeitsfanatiker Beukels schart eine Gruppe "geistiger Sklaven" um sich und errichtet 1534 in Münster das Schreckensregiment der Widertäufer, über dem er anfangs als angebeteter König thront. Eigentum wird abgeschafft, Vielweiberei eingeführt und Abtrünnige mit der Todesstrafe belegt. Beukels "Terror"-Herrschaft dauerte 16 Monate, ehe der Bischof von Waldeck Münster befreite und den 27-jährigen Beukels im Turm der Lambertikirche - als sichtbares Zeichen für alle Widertäufer - elendig "krepieren" ließ.

Der Lebensweg Jan Beukels, der von tiefen Blutspuren gezeichnet ist, kommt zwar als fragwürdiges Heldenepos und opulente Märtyrerlegende daher, doch eines scheint jetzt schon ziemlich sicher zu sein: dass eine "actionreiche" Verfilmung nicht lange auf sich warten lassen wird.

Robert Schneiders Roman eröffnet dem Leser allerdings keine plausiblen Motive, wie aus dem Sohn einer Dienstmagd ein religiöser Fanatiker und wie aus dem Gerechtigkeitsstreiter ein totalitärer Despot wurde. Zufälle und Beliebigkeiten taugen nicht als tragendes Motiv, wenn man so nah an der Historie entlang schreibt. Allein die Verführbarkeit der Massen durch rhetorisches Geschick reicht weit über die Erzählzeit hinaus bis in unsere Tage.

Hätten wir nicht vor drei Jahren den exzellenten, ebenfalls um religiösen Fanatismus kreisenden, aber viel tiefer in die Gegenwart reichenden Roman "Die Vertreibung aus der Hölle" von Schneiders Landsmann Robert Menasse gelesen, man wäre geneigt, einen solchen Stoff für "unerzählbar" zu erklären.

Titelbild

Robert Schneider: Kristus. Das unerhörte Leben des Jan Beukels. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
608 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3351030134

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