Die 156 wichtigsten Philosophinnen und Philosophen dieses Jahrtausends
Das Lexikon der "Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen von Adorno bis v. Wright" wurde aktualisiert
Von Antje Gimmler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Lexikon der Philosophie der Gegenwart unterliegt der Zeit in zweifacher Weise. Erstens machen Ergänzungen um Artikel zu denjenigen Philosophinnen und Philosophen, die aktuell als neu und wichtig für die zeitgenössische Philosophie eingestuft werden, eine ständige Neubearbeitung eines solchen Lexikons nötig. Zweitens aber bringt der veränderte Blick der Gegenwart auch eine neue Perspektive auf die Vergangenheit mit sich und damit neue Gewichtungen und Relevanzen. In diesem doppelten Sinne hat Julian Nida-Rümelin (unter Mitarbeit von Tania Eden) sein erstmals 1991 herausgegebenes Lexikon jetzt aktualisiert und erweitert. Es wurden erstens neue Philosophinnen und Philosophen aufgenommen und zweitens einige Neugewichtungen vorgenommen, so sind nun auch Beiträge zu George Edward Moore, Günter Anders, Roland Barthes, Isaiah Berlin, Wolfgang Cramer und Peter Geach vertreten. Die einzelnen Artikel zu Biographie, Werk und Denken der ausgewählten Philosophinnen und Philosophen dieses Jahrhunderts sind zumeist von fachkundigen Autorinnen und Autoren geschrieben und das überarbeitete Lexikon wie auch schon der Erstling knüpfen an die gewohnt professionelle und wissenschaftlich anspruchsvolle Lexikonproduktion aus dem Kröner-Verlag an. Für die zeitliche Eingrenzung der auszuwählenden Philosophinnen und Philosophen wurde am Prinzip, das Schwergewicht auf die "Lebenden", d.h. auf die zeitgenössische Philosophie zu legen, festgehalten.
Wie Nida-Rümelin und Tania Eden in ihrer Einführung feststellen, ist die zeitgenössische Philosophie durch zahlreiche Verflechtungen und Neukombinationen der seit der Jahrhundertwende maßgeblichen Denkrichtungen gekennzeichnet. Als Hauptströmungen identifizieren sie die Phänomenologie und die Analytische Philosophie; an Nebenströmungen nennen sie die Transzendentalphilosophie, den Neoaristotelismus, den amerikanischen Pragmatismus und die Kritische Theorie. Zwischen all diesen Denkströmungen sind in den letzten Jahrzehnten neue Verbindungen und Hybridbildungen entstanden, so z.B. die vielschichtige Kombination von Hermeneutik, Pragmatismus und Analytischer Philosophie unter dem Titel 'Neopragmatismus', deren populärster Protagonist sicherlich Richard Rorty ist. Dem Blick des Philosophiehistorikers der Gegenwart zeigt sich als Unübersichtlichkeit, was sich erst aus der zeitlichen Distanz zu einem geordneten Muster konfiguriert. Diese Gemengelage macht es schwer, mit Sicherheit zu sagen, welcher der Philosophen und Philosophinnen bleibender Wert in der Philosophiegeschichte zukommen wird. Nida-Rümelin und Eden sind sich dieser Problematik bewusst. Sie lehnen es daher von vornherein ab, einen "Kanon gesicherten Nachschlagewissens zu vermitteln", was den Benutzer daran erinnern soll, dass auch diese Ausgabe durch die nächste Überarbeitung und Aktualisierung überholt sein wird.
Was hat sich nun verändert in dieser zweiten Auflage? Insgesamt 156 Philosophinnen und Philosophen werden im Lexikon der Gegenwartsphilosophie vorgestellt, das sind 25 Einträge mehr als in der Ausgabe von 1991. Es sind 26 neue Philosophinnen und Philosophen zu verzeichnen, was dem Umstand zu verdanken ist, dass ein Artikel der Ausgabe von 1991, nämlich derjenige über den österreichischen Ontologen und Phänomenologen Fridolin Wiplinger, herausgenommen wurde. Von den 26 Neueinträgen sind wiederum drei Artikel zu Philosophinnen zu finden. Dies mag auf den ersten Blick wenig erscheinen; verglichen mit der Gesamtzahl von nur zehn Artikeln über Gegenwartsphilosophinnen (bei 156 Gesamteinträgen) lässt sich darin - rein rechnerisch und mit etwas gutem Willen - doch eine erhebliche Steigerung des Anteils der Philosophinnen erkennen. Dass Seyla Benhabib, Philippa Foot und Martha Nussbaum nun aufgenommen worden sind, ist sehr erfreulich, versteht sich aber angesichts des Werks und der internationalen Bedeutung dieser Denkerinnen von selbst. Dass so renommierte Philosophinnen wie die Moraltheoretikerein Annette Baier, die politische Philosophin Agnes Heller oder die feministischen Wissenschaftstheoretikerinnen Evelyn Keller Fox und Sandra Harding fehlen, ist dagegen ein Mangel des Lexikon.
Nida-Rümelin und Eden haben das Lexikon für den deutschen Sprach- und Wissenschaftsraum konzipiert und daher deutschsprachige Philosophinnen und Philosophen im Verhältnis zu ihrer internationalen Bedeutung überproportional berücksichtigt. So finden sich Neueinträge zum Phänomenologen Bernhard Waldenfels, zum Ethiker Otfried Höffe, zum Logiker Franz von Kutschera oder zum Subjektivitätsphilosophen Wolfgang Cramer. Warum aber fehlen Wolfgang Welsch, Manfred Frank oder Josef Simon, alles deutsche Gegenwartsphilosophen von internationalem Rang? Gleiches gilt auf der Seite der angelsächsischen Philosophie für den Pragmatisten und Sprachphilosophen Charles William Morris und für Stanley Cavell, dessen Ästhetik und Sprachphilosophie die "Deutsche Zeitschrift für Philosophie" erst kürzlich ein Symposion gewidmet hat und der einen großen Einfluß auf die Literatur- und Medienwissenschaft ausübt. Diese kleinen Beanstandungen aber können die Leistung des Herausgebers (und seiner Mitarbeiterin sowie die der Autorinnen und Autoren) und den Nutzen dieses Lexikons für den Benutzer nicht schmälern, sie wollen denn auch eher als Vorschläge, die der Herausgeber bei einer neuerlichen Aktualisierung berücksichtigen möge, verstanden werden.
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