Weltdenken

Christian Bermes' Begriffsgeschichte der "Welt"

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Christian Bermes, Geschäftsführer der Max-Scheler-Gesellschaft, Hochschuldozent für Philosophie an der Universität Trier und neuerdings Mitherausgeber des Archivs für Begriffsgeschichte, ist bislang vor allem durch seine Arbeiten zu Merleau-Ponty hervorgetreten: Einer Einführung im Verlag Junis (bereits in der 2. Auflage) und einer glänzenden Neuausgabe der Aufsatzsammlung "Das Auge und der Geist". Mit dem Druck seiner Habilitationsschrift zum "Weltbegriff von Wolff zu Husserl" eröffnet die Reihe der Beihefte der "Phänomenologischen Forschungen", welche seit 2001 im Verlag Meiner (vormals Alber) herausgegeben werden und derzeit das primäre Forum für phänomenologische Philosophie in Deutschland darstellt.

Bermes leistet in seiner Arbeit nichts weniger als dem nachzugehen, was als Inbegriff 'säkularisierter' Philosophie gelten kann: 'Welt'. - Die Besonderheit des deutschen Begriffs (der zunächst die Epoche des Menschen bezeichnet) liegt darin, ein populärer Begriff zu sein, bevor die Schulphilosophie Christian Wolffs ihn zu einem Fachterminus machte. Bereits Kant kann nach Bermes aber als derjenige gesehen werden, welcher dem philosophischen Weltdenken schwerpunktmäßig die Bedeutung von 'Weltkenntnis' zurückgibt. Sie stellt nach Kant die unabdingbare Voraussetzung für jede theoretisierende oder wissenschaftliche Beschäftigung mit 'der Welt' oder gar den Prinzipien ihrer Erkenntnis dar.

Husserl ist dabei derjenige, der nicht nur den Begriff 'Lebenswelt' (teils in Abgrenzung zur Philosophie seines 'Schülers' Heidegger) zum Terminus erhebt, sondern in diesem Zuge Kants - inzwischen in Vergessenheit geratenes Anliegen - wieder auf den Plan ruft: Dergestalt ist 'Welt' mehr als nur ein Begriff, nämlich 'Thema' schlechthin. Im Sinne Husserls: stets präsent im Denken und Grundlage allen Handelns, ohne dabei eigens 'thematisiert' zu werden. Aus der so genannten 'Krise' der europäischen Menschheit könne dieselbe nach Husserl nur dann unbeschädigt hervorgehen, wenn sie sich auf Welt besinnt - eben dies ist die Aufgabe von Philosophie (als so genannte 'Erste Philosophie' oder Metaphysik).

Auch für Nicht-Fachleute äußerst spannend zu verfolgen dürfte Bermes' kritische Darstellung der zugehörigen Begriffsgeschichte sein: Es ist im historischen Rückblick keineswegs ausgemacht, dass 'Welt' (wie unter Philosophen angenommen wird) das Lateinische mundus beerbt, welches wiederum die griechische Idee von kosmos als 'Ordnung' wiedergibt. Wohl aber dominiert eine immer unterstellte Zweckmäßigkeit und damit Abhängigkeit von Gott als Weltschöpfer und -erhalter den philosophischen Begriff von 'Welt' im deutschen Kontext. Seine 'Erdung' erfährt der Begriff mit der Erweiterung der Transzendentalphilosophie im engeren Sinne bereits durch Kant selbst: Geografie und Anthropologie, die beiden Fächer, die Kant neben seiner philosophischen Grundlegungsarbeit mit Begeisterung ein Leben lang unterrichtete, verweisen eben auf die Vorbedingungen des Denkens in doppelter Hinsicht: Man muss je schon etwas wissen, bevor sich Denken selbst reflektieren (d. h. kritisieren) lässt - und: Wer sich nicht für 'die Welt' interessiert, bleibt - kurzgesagt - selbstverschuldet unmündig. Die erst in letzter Zeit wieder vermehrt ins Interesse von Wissenschaft und Öffentlichkeit rückenden Herder und Humboldt hatten mit ihren Überlegungen zur Weltentwicklung und Beiträgen zur Welterforschung daran einen wesentlichen Anteil.

Bermes' Stärke besteht darin, die richtige Gewichtung in der Auswahl seiner Rekurse auf Pfeiler des Weltbegriffs als dem Universalthema der Philosophie vorgenommen zu haben. Eine Schwäche des Buches mag sein, dass die zugrunde liegende Absicht der Qualifikationsarbeit, eine Darstellung primär der Husserl'schen Philosophie zu sein, durch den Publikationstitel kaschiert wird, weshalb die Arbeit an Husserls Texten den größten Raum einnimmt. Dies ist in einer phänomenologischen Reihe jedoch legitim. Schwerer mag hingegen eine Leerstelle wiegen, nämlich, dass die vorliegende Arbeit als Interpretation des Textkorpus eines Autors und seiner Vorgeschichte gerade nicht die vorausgesetzte Einsicht Kants umsetzt und die - d. h. hier Husserls - 'Welt' zum Thema macht: Da sich die Philosophie auch mit Husserl nicht aus dem transzendentalen Anspruchdenken befreien konnte, bleibt die Behandlung von 'Welt' (als Begriff) nicht nur in der Phänomenologie bis auf den heutigen Tag oftmals 'weltlos'. Der außerbegriffliche - eben thematische - Rückbezug von Husserls Denken auf (seine) 'Welt' hätte die Arbeit, über die grandiose Rekonstruktion der Begriffsgeschichte hinaus, so wohl nahezu perfekt gemacht.

Titelbild

Welt als Thema der Philosophie. Vom metaphysischen zum natürlichen Weltbegriff.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2004.
274 Seiten, 56,00 EUR.
ISBN-10: 3787316655
ISSN: 03428117

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