Kulturwissenschaft ante portas

Aby Warburgs und Walter Benjamins anschauliche Geschichtsdarstellung

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zuge der neuerlichen Beliebtheit kulturwissenschaftlicher Ansätze erschienen in den letzten Jahren immer wieder Arbeiten, die im kulturwissenschaftlichen Zugriff geschichtliche Aspekte und Vorläufer der eigenen Disziplin würdigten.

Cornelia Zumbusch legt mit ihrer Maßstäbe setzenden Dissertation jetzt ein Buch vor, das die Relevanz von Aby Warburg und Walter Benjamin für die heutige Kulturwissenschaft verdeutlicht, in seinem Zuschnitt jedoch weit über den wissenschaftlichen Nachweis hinausgreift. Die anregende Lektüre bleibt in all ihrer Detailliertheit äußerst stringent. Die Grundüberlegung Zumbuschs ist dabei ebenso einfach wie bestechend:
Sowohl Warburg als auch Benjamin haben je ein unvollendetes Projekt hinterlassen, das sie gegen Ende ihres Lebens intensiv beschäftigte. Im Falle Warburgs der Mnemosyne-Atlas, der einen kulturgeschichtlichen Zugriff auf die italienische (speziell die florentinische) Renaissance bietet; im Falle Benjamins das Passagen-Projekt, das einen dialektischen Zugriff auf das Paris des Second Empire eröffnet. Beide Projekte blieben unvollendet, gewähren aber gerade in ihrer Fragmentarität Einblick in die Werkstatt des Kulturwissenschaftlers. Warburgs Konzentration auf das Symbol und Benjamins Konzentration auf die Allegorie eröffnen eine montageartige Lektüre von Bildwerken bzw. Warenproduktion, die "Geschichte anschaulich fixiert" (W. Benjamin). Bilder, so Benjamins von Warburg geteilte Generalthese, erschließen das "kollektiv Unbewußte". In ihrer Wahrnehmung der Produktionsbedingungen unterscheiden sich die beiden deutsch-jüdischen Kulturexegeten wohl am ehesten: Während Warburg in der florentinischen Renaissancekunst und ihren Symbolen den Beginn der städtisch-kaufmännischen Kultur sieht und somit die kapitalistische Gründungslegende fortschreibt, kritisiert Benjamin im dialektischen Bild den Hochkapitalismus des 19. Jahrhunderts. Der Zusammenschluss beider Positionen findet sich am Schluss: Die Übernahme von Goethes naturwissenschaftlichem Vokabular, die sich sowohl bei Warburg als auch bei Benjamin findet, liefert die Grundlage für eine "Theorie aus Fakten", die sich im Bildraum mittels Montage schockartig vermittelt.

Es ist Zumbusch hoch anzurechnen, dass sie bei dieser Perspektivierung nicht Warburg durch Benjamins Theorien absichert, sondern beide parallel liest, wobei sie nachweist, dass Warburg dominiert und direkten bzw. indirekten Einfluss auch auf Benjamins Wissenschaftsbegriff und Theoriebildung ausgeübt hat.

Die bestechende, stringente wie erschöpfende Lektüre arbeitet einen Themenkomplex auf, der in den letzten Jahren v. a. in der Benjamin-Forschung immer wieder in Ansätzen behandelt worden ist. Dass dabei nicht nur ein schlichtes Desiderat der Forschung abgearbeitet wurde, sondern die Analyse - ausgehend von den behandelten Kulturwissenschaftlern - selbst neue Maßstäbe in der Warburg- und Benjamin-Forschung zu setzen vermag, zeigt, dass die deutsche Wissenschaftslandschaft in einem produktiven Umbruch begriffen ist und sich nicht hinter anglo-amerikanischen Entwürfen zu verstecken braucht.

Titelbild

Cornelia Zumbusch: Wissenschaft in Bildern. Symbol und dialektisches Bild in Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas und Walter Benjamins Passagen-Werk.
Akademie Verlag, Berlin 2004.
388 Seiten, 59,80 EUR.
ISBN-10: 3050040564

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