"Ach Max, jetzt endlich ist es soweit ..."
Der zweite Band des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gibt Aufschluss über die gemeinsame Arbeit in den Jahren des amerikanischen Exils 1938 bis 1944
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBereits im ersten Band des Briefwechsels zwischen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer beeindruckte die Selbstsicherheit, mit der die beiden Briefschreiber ihren Stellenwert im Wissenschaftsbetrieb beurteilten. Zum großen Coup, der die Kritische Theorie aus dem Konkurrenzkampf mit den etablierten bürgerlichen Wissenschaften endgültig entlassen sollte, fehlte nur noch die Zusammenarbeit vor Ort.
Die bahnt sich nun an, da 1938 die Ausreise Adornos und seiner Frau Gretel nach Amerika bevorsteht. Kurz vorher setzt der zweite Band des Briefwechsels ein. Die Dringlichkeit der ersehnten Abreise hatte Adorno in einem Brief Anfang Februar 1938 mit einer zu diesem Zeitpunkt unheimlich klingenden Vorahnung betont. "Wenn ich wider Erwarten doch noch hier vergast werden sollte", so verfüge das Institut, wie es scherzhaft-bitter klingt, bereits über eine "ganz ansehnliche Nachlaßpublikation." Doch durchaus ernsthaft wollte er die Aussage verstanden wissen: "Daß der Gedanke ans Vergastwerden uns wieder sehr beschäftigt, ist wohl nicht allzu erstaunlich" angesichts der Entwicklungen in Deutschland, die für ihn nur im "allernegativsten Sinne" zu verstehen sind. "Es ist kaum daran zu zweifeln", ergänzte er in einem Brief einige Tage später, "daß in Deutschland die noch vorhandenen Juden ausgerottet werden: denn als Enteignete wird kein Land der Welt sie aufnehmen."
In New York aber wartete bereits erwartungsfroh Horkheimer, über dessen seit 1934 an der Columbia-University angesiedeltes Institut für Sozialforschung nunmehr auch Adorno beschäftigt werden sollte. Jedoch: "Härter als je müssen wir um das Glück unsrer Arbeit kämpfen, denn die äusseren Umstände sind düsterer denn je." Diese von Horkheimer im September 1938 geäußerte Sorge durchzieht den ganzen Briefwechsel. Es geht ums materielle Überleben. In den Briefen ist viel von den Anstrengungen die Rede, die unternommen werden müssen, um dem Institut genügend ,Drittmittel' - wie man heute sagen würde - zu sichern. Eine Fülle von organisatorischer Kleinarbeit und vom eigentlichen Wollen ablenkender inhaltlicher Arbeit ist notwendig, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Nicht nur den des Instituts, sondern auch die privaten Angelegenheiten. Es mutet zuweilen etwas kurios an, wenn sich ganze Briefpassagen in pedantisch kleinkarierter Manier ums Sparen drehen: Wie etwa kann und soll das Institut den geplanten Umzug der Adornos an die Westküste unterstützten? Ist ein Transport der Möbel finanzierbar oder kommt es billiger, sie einzulagern? Soll man ein Haus kaufen oder doch besser mieten? Dann aber gibt es die alles Weltliche vergessen machende Vorfreude auf das gemeinsame Arbeiten. "Wenn ich den Gedanken der Möbel überhaupt äußerte", so schreibt der besorgte Horkheimer Mitte August 1941 während der Umzugsvorbereitungen, "so geschah es deshalb, weil wir von der Zeit Ihrer Ankunft in Los Angeles an gemeinsam mit aller Energie dafür sorgen wollen, daß der relativ bescheidene Betrag, über den wir dann verfügen können, möglichst lange hält. Am Ende davon steht nämlich das Nichts. [...] Da spielen natürlich Differenzen von $ 1,000.00, um die es sich bei den Möbeln handelt, keine geringe Rolle." Am Ende ließ es sich billiger machen, doch auf die Mahnung vor dem Nichts antwortet Adorno wenige Tage später: "Glauben Sie mir heute, daß ich auch vor dem Nichts, vor dem wir einmal stehen können, keine Angst habe, wenn wir gemeinsam davor stehen; denn diese Gemeinsamkeit ist die Negation des Nichts."
Doch es blieb eine zwiespältige Anstrengung. Da war der Zwang, "so ähnlich wie verbissene Kleinrentner" (Horkheimer) auf jeden Cent zu achten, und andererseits doch nicht jede Verpflichtung annehmen zu wollen, weil dies ablenken konnte vom gemeinsamen Projekt. Dies ließ sich nur mit dem Selbstbewusstsein einer außergewöhnlichen ,Arbeitsgemeinschaft' ertragen. In diesem Punkt waren sich beide auf geradezu verschworene Art einig. Als es darum geht, die Kooperation des Instituts mit der Columbia-University neu zu gestalten, plädierte seitens des Instituts Marcuse energisch für diese Kooperation, sonst "wären wir Feuchtwangers und Günther Sterns." "Ich," so schrieb Adorno Anfang Oktober 1941 an Horkheimer, mit dem er sich völlig einig wusste, "habe darauf sehr gebellt und ihm gesagt, daß die Qualität unserer Arbeit nicht von der Anerkennung eines akademischen Betriebs abhängt und daß ich es außerdem in einer Welt, in der seit Schopenhauer und Feuerbach kein ernsthaft in Betracht kommender Denker sein Leben ohne schwerste Konflikte mit den Universitäten zugebracht habe, für eine größere Ehre betrachte, ein Literat zu sein als einer von jenen."
Dieses Selbstbewusstsein nahm das Risiko in Kauf, als Außenseiter des Wissenschaftsbetriebs zu gelten. Ungeliebte Außenseiter, wie Horkheimer im Juni 1941 ausführt, als er anlässlich der Ablehnung eines Antrags durch die Rockefeller-Foundation in einem langen Brief sehr grundsätzlich mit einer dem Institut feindlich gesinnten Außenwelt ins Gericht geht. Dem erregten Horkheimer antwortet Adorno darauf im Kontext der Kritischen Theorie ebenso beruhigend wie relativierend: "... stimme ich ganz mit Ihnen überein: es handelt sich gesellschaftlich um das Verhältnis von Kartell und gesellschaftlichem Kleinbetrieb. Aber wie in der Ökonomie ist es auch hier, man kann nicht vorweg sagen, ob es einem nicht doch gelingt, durch eine der Maschen durchzuschlupfen."
Nur einer hätte uneingeschränkt in die Geistesverbindung der beiden gepasst und wäre von ihnen wohl auch ohne Vorbehalte akzeptiert worden: Walter Benjamin. Doch der blieb in Europa. Nach seinem tragisch-unsinnigen Tod auf der Flucht vor den Häschern waren Teile des Nachlasses nach Amerika gelangt. "Mit Ihnen bin ich glücklich darüber", schrieb Horkheimer Ende Juni 1941, "daß wir Benjamins Geschichtsthesen besitzen. Sie werden uns noch viel beschäftigen und er wird bei uns sein."
Durch die räumliche Nähe der beiden Geistesfreunde ist die Bedeutung des Briefwechsels als wissenschaftliche Korrespondenz geringer zu bewerten. Vieles ließ sich nun direkt besprechen. Das änderte sich für einige Zeit, als 1940 Horkheimer nach Kalifornien übersiedelt. Die neuerliche Entfernung intensivierte den Briefaustausch, bis schließlich Adorno ebenfalls nach Kalifornien übersiedelte und nun endlich die gemeinsame Arbeit entstehen konnte. "Ach Max", schrieb Adorno am 10. November 1941, "jetzt endlich ist es so weit, und wir wollen es zusammen schaffen." Und es folgt dann in diesem Brief erstmals die Wendung, die später der Titel der berühmten Arbeit werden wird: "Es sind mir eine Menge Dinge dazu eingefallen, von denen ich glaube, daß wir sie werden brauchen können. Sie betreffen wesentlich die Dialektik der Aufklärung ..."
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