Nachsommer, modern

Jan Philipp Reemtsma hat den kompletten Arno Schmidt-Roman "Kaff auch Mare Crisium" auf CD gesprochen

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Uff'm Monde? Aber das schtell ich ma doch maß=los intressant vor! -" freut sich Hertha Theunert über eine nonchalante Bemerkung ihres Freunds Karl Richter. Da befinden wir uns bereits mitten drin in Arno Schmidts berühmtem Roman "KAFF auch MARE CRISIUM" (1960). Der ist jetzt als Hörbuch bei Hoffmann und Campe erschienen - auf 10 CDs, komplett vorgelesen von Jan Philipp Reemtsma.

",Das fass' ich noch nie: wo schpielt'n die Sseene?' - ,Kannstu Dir 1 Klein=Krater vorschtellen, mein Leben? - 500 Meter Durchmesser? - So sorgfältich ausgesucht=ä: daß er in der Mitte 1 hohen Zentral=Schpitzberg hat: von dem aus, laufen zu den Kesselwänden 5 bis 7 hohe Aluminium=Konstruktionen; als Träger der Plexiglas=Kuppel, die über dem Ganzen flachliegt: ,GLASS TOWN'! - Kannstu Dir das vorschtellen, Hertha?'"

Nicht nur Hertha kann sich dieses utopische Mondreservat gut vorstellen, auch wir. Und zwar deshalb, weil Schmidt, der sich nie ernsthaft als Dramatiker versuchte, ein extrem bühnen- und filmreif schreibender Autor war. Schmidts Sprache, die ihre eigene Orthografie entwickelte, gibt nicht zuletzt die alltägliche Rede so wieder, dass man sie schon beim Betrachten des Schriftbilds im Ohr zu hören glaubt.

Immer mehr zeichnet sich deshalb ab, dass sich der jahrzehntelange Geheimtipp Schmidt nicht nur als Lektüre gut macht. Seine Literatur, als lebendige "Stage-Allegorie" für den Kopf des Lesers entworfen, funktioniert mindestens genauso gut, wenn man sie laut vorliest. Oder auf der Bühne spielt: Im Januar 2004 hat das Hannoveraner Schauspielhaus Schmidts Roman "Schwarze Spiegel" (1951) erstmals dramatisiert und damit prompt einen beachtlichen Erfolg gelandet.

"KAFF auch MARE CRISIUM" ist nun Schmidts erster zweispaltig geschriebener Roman - ein großer Schritt auf dem Weg zum dreispaltigen Spätwerk ab "Zettel's Traum" (1970). "KAFF" hat mithin schon viel von dem Reiz der späteren, dialogischen Typoskripte, die damit kokettieren, gigantischen Theaterstücken zu gleichen. Der Roman ist allerdings noch überschaubarer konstruiert als etwa die vertrackte "Novellen=Comödie" "Die Schule der Atheisten" (1972).

Die linke Textspalte erzählt in "KAFF" von einem norddeutschen Landbesuch Herthas und Karls bei seiner Tante Heete, wo sie vergeblich versuchen, ihr desolates Sexualleben wieder in Gang zu bringen. Die rechte Spalte gibt Karls nebenher ersonnener Mondgeschichte Raum, die Anno 1980 nach einem atomaren Dritten Weltkrieg spielt. Auf dem Mond fristen hier zwei nach wie vor verfeindete Supermacht-Kolonien ein nicht unkomisches Leben.

"Vom sexuellen Elend, vom Untergang und von der Kraft des Witzes" verspricht die vorliegende Hör-CD laut Klappentext zu erzählen. Das Interview mit Jan Philipp Reemtsma, das sich im Beiheft des CD-Schubers findet, zählt Schmidts Roman "zu einer Literaturgattung, die ich mit Anlehnung an einen späten Klassiker ,Endspiele' nennen möchte. [...] Beckett hat sozusagen das Grundmuster für die Gattung geliefert: [...] Er hat ,das Ende' schlechthin auf die Bühne gebracht - in aller Komik, die ein solcher Text, der sich von jeglichem konkreten Abschiednehmen bereits verabschiedet hat, natürlich aufweisen muß".

Reemtsma, der nicht nur als Hamburger Literaturprofessor und Vorstand der Arno Schmidt-Stiftung schon viele kluge Aufsätze über Schmidt verfasst, sondern auch gemeinsam mit Joachim Kersten und Bernd Rauschenbach ein mittlerweile geradezu legendär gewordenes Schmidt-Vorlese-Trio gegründet hat, möchte seinen Lieblingsautor aus der elitären Lese-Ecke herausholen. Dementsprechend locker ist der Duktus des einführenden Beiheft-Interviews. Die Fragen stellte übrigens eine gewisse Stephi Minimalrappe. Insider mögen über diesen Namen prompt die Stirn gerunzelt haben. Spätestens seit Friedhelm Rathjens augenzwinkernder Vermutung auf der Arno-Schmidt-Mailinglist (ASml) ahnen sie jedoch mittlerweile, dass Frau Minimalrappe nur ein Namens-Anagramm des Interviewten sein kann, der sich mithin selbst befragte.

Derartige Späße sind innerhalb der "Schmidt-Gemeinde" nichts Besonderes. Sie sind Widerhall des eigentümlichen Schmidt'schen Humors - schließlich unterschrieb der sein "KAFF"-Vorwort selbst mit "D. Martin Ochs" - ebenfalls einem Anagramm seines Namens. Und zwar unter die Warnung: "a) Wer in diesem Buch ,Ähnlichkeiten mit Personen und Ortschaften' aufzuspüren versucht, wird mit Gefängnis, nicht unter 18 Monaten, bestraft. b) Wer ,Beleidigungen, Lästerungen, o. ä. ' hineinzukonstruieren unternimmt, wird des Landes verwiesen. c) Wer nach ,Handlung' und ,tieferem Sinn' schnüffeln, oder gar ein ,Kunstwerk' darin zu erblicken versuchen sollte, wird erschossen."

Die Hör-CD konterkariert solche Kalauer mit Reemtsmas exakter, seriöser Diktion. Seine Stimme hat einen hohen, ja fast jünglingshaften Ton, der stets nüchtern bleibt. Das klingt zumal dann eigenartig, wenn es etwa heißt "((: Mann miß=traue allen ,Wahrheitn'; die, um zu ,wirkn', in einer lang=wallenden Roobe geschprochn werdn müssn. Mann mache ,die Proobe' darauf, indem mann sie in der Baade=Hoose wieder=hohlt. Oder auf'm Kloo. /"

Die beiden Erzählebenen des Romans werden für den Hörer dadurch leichter kenntlich gemacht, dass man Reemtsmas Stimme je nach gelesener Passage leicht nach rechts oder links gemischt hat. Wer dachte, Schmidts stark an James Joyce orientierte Prosa sei nur für gelehrte Philologen am Lesepult entzifferbar, wird hier nun eines Besseren belehrt. Die Lebendigkeit des Texts entfaltet sich tatsächlich erstaunlich schnell im Kopf des Zuhörers. Man beachte dabei die nuancenreichen Naturbeschreibungen, die den Literaturwissenschaftler Reemtsma bereits einmal zur Bemerkung verleiteten, die im Schmidt'schen Spätwerk im Scherz angekündigte Übersetzung von Adalbert Stifters "Nachsommer", Deutsch von Arno Schmidt, liege bereits vor - nämlich mit "KAFF".

Keine Sorge: Von der berüchtigten Stifter'schen Langeweile ist hier nichts übrig geblieben. Die CD ist somit ein idealer Einstieg für diejenigen, die Schmidt kennen lernen wollen - aber auch eine willkommene Anregung zum Wiederlesen. Augen zu und los ": Und Burr und Knurr und Schnurr und Surr. -:!.....:!! -"

Anmerkung der Redaktion: Der Text erschien zuerst in "Theater heute" 10/04.

Titelbild

Arno Schmidt: KAFF auch Mare Crisium. Ungekürzte Lesung von Jan Philipp Reemtsma.
10 CDs mit Booklet.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004.
762 Minuten, 69,00 EUR.
ISBN-10: 3455303811

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