Person mit verschreckter Miene

Paul Nizons Roman "Das Fell der Forelle"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der aus Bern stammende und seit mehr als 25 Jahren in Paris lebende Schriftsteller Paul Nizon gehört zu den großen Außenseitern im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Seine Bücher ernteten stets wohl meinende Kritiken, aber ein großes Lesepublikum erreichte der "autobiografische Fiktionär" (wie er sich selbst einmal nannte) nie. Vielleicht liegt es daran, dass Nizon stets nur ein einziges Thema leicht variiert hat und immer seine literarische Selbstinszenierung betrieb.

"Ich bin mein eigenes und einziges Versuchskaninchen", bekannte der 76-jährige Autor kürzlich in einem Interview mit der "Berner Zeitung". Wir begegnen also wieder einem weltabgewandten Protagonisten, der sich in der Metropole Paris mehr schlecht als recht durchs Leben laviert. Die Schauplätze sind uns aus "Hund - Beichte am Mittag" (1998) noch in guter Erinnerung. Jetzt aber trägt die Hauptfigur einen Namen, heißt Stolp (eine leichte Abwandlung der Stolz-Figur aus den 70er Jahren) und soll einer Akrobatenfamilie entstammen. Er ist ein von starken Selbstzweifeln geplagter Tagträumer, der "in der Luft verschwinden" oder "ins Leere stürzen" möchte. Stolp hat gerade eine Trennung hinter sich (Autor Nizon wurde im letzten Jahr von seiner dritten Frau geschieden), als er von einem weiteren Rückschlag heimgesucht wird. Eine alte Frau, die er mehr aus Gewohnheit als aus emotionalen Beweggründen gepflegt hat, stirbt und hinterlässt ihm ihre schäbige, völlig heruntergekommene Wohnung. Auch dies ein Detail aus der Biografie des Autors, der 1977 in einer ähnlichen Bleibe lebte und die er nun bis ins kleinste Detail beschreibt: vom Spiegel über dem Kamin, "der mir eine Person mit verschreckter Miene zurückwarf", über das Hoffenster bis hin zu den Geräuschen, die die Straße und die Vögel im Hof empor sandten. Paul Nizon erzählt von einem "Schiffbrüchigen", den eine unstillbare Sehnsucht quält, die sich für ihn weder lokalisieren noch personalisieren lässt. Stolp lässt sich durch das Meer der Großstadt treiben, ein Streuner, den die Flut an immer andere Ufer treibt - in verschiedene schmuddelige Kneipen und in die Arme diverser Frauen.

"Mich interessiert es, diesen Kerl zu erforschen, der meinen Namen trägt und der den Auftrag hat, sich durch sein Schreiben zu erfinden", notierte Paul Nizon vor einigen Jahren in seinem Tagebuch-Journal. Selbstquälerisch bis an den Rand des Wahns wird diese Art der Erforschung ausgereizt. Eine Lithografie, die eine nackte Dame zeigt und auf der Stolp die titelgebende Forelle entdeckt, löst einen beinahe paranoiden Gedankenstrudel aus. Er stopft einige Dinge in eine Tasche und verlässt die so genannte "Tantenwohnung". Ein Aufbruch ins Ungewisse, in das schmale Grenzgebiet zwischen Wahn und Sinn, das Paul Nizon nun schon seit mehr als drei Jahrzehnten (darin seinem Landsmann Robert Walser verwandt) literarisch erkundet.

Titelbild

Paul Nizon: Das Fell der Forelle. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
124 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3518417118

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch