Krieg der Geschlechter?

Waltraud Maierhofers Studie zu Erzählliteratur über den 30-jährigen Krieg

Von Cornelia PlumeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Cornelia Plume

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrer 2005 publizierten Studie untersucht Waltraud Maierhofer deutschsprachige Romane und Erzählungen aus dem 17. bis 21. Jahrhundert, die den 30-jährigen Krieg (1618-48) zum Thema haben oder vor seinem Hintergrund spielen. Mit dem 450-seitigen Werk legt sie eine umfangreiche Längsschnittstudie aus feministischer Sicht vor. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf Werken, die zwischen 1780 und 1900 entstanden sind. Längere Analysen unternimmt Maierhofer zu Romanen und Erzählungen von Benedikte Naubert, Friedrich Schiller, Caroline Pichler, Wilhelmine Lorenz, Annette von Droste-Hülshoff, Wilhelm Meinold, Wilhelm Raabe, Wilhelm Jensen, Gustav Freitag, Heinrich Laube, Conrad Ferdinand Meier und Ricarda Huch. Kürzere Exkurse beziehen sich auch auf die Zeit vor 1780, z.B. auf Grimmelshausens Courasche. Zeitlich verlängert wird die umfangreiche Studie durch kursorische Blicke auf Werke des 20. und 21. Jahrhunderts bis hin zu aktuellen Neuerscheinungen historischer Romane.

Als Ziel ihrer Analysen erklärt Maierhofer, ideologische Annahmen zu enthüllen, die die Grundlage für die Darstellung "der Frau" bilden. Dabei stößt sie auf die Tatsache, dass jede historische Epoche ihre eigenen Werte in der Literatur abbildet und Schriftsteller wie Schriftstellerinnen ganz überwiegend als "Kinder ihrer Zeit" und für ihre Zeit schreiben.

Maierhofer arbeitet bei jeder Einzelanalyse detailliert heraus, dass und wie Autoren und Autorinnen den historischen Stoff nutzen, um Themen, Typisierungen und Ideale ihrer eigenen Zeit literarisch aufzuarbeiten. So ergibt sich eine Wiederholung vorhersehbarer Befunde: Dass feministische Fragestellungen erst in Werken des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielen und auch dann längst nicht bei allen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, kann nicht überraschen. Ebenso wenig erstaunlich ist es, dass die historischen Frauen des 30-jährigen Krieges im Gegensatz zu den historisch bedeutsamen Männern - z.B. Gustav Adolf oder Wallenstein - nur spärlich dargestellt sind. Frauen konnten sich objektiv am "historisch bedeutsamen Geschehen" nur ganz ausnahmsweise beteiligen und wenn sie es taten - was immerhin vorkam - wurde dies in der historischen Überlieferung oft nur spärlich und nur in einzelnen Quellen erwähnt. Vielen Autoren und Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts waren historische Quellen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zugänglich. Die literarische und historische Würdigung der Verdienste historischer Frauen im 30-jährigen Krieg bleibt unserer Gegenwart vorbehalten, denn erst im Zeitalter des Internets und der Digitalisierung können sich nun historische Forschung wie Literaturbetrieb (fast) uneingeschränkt die Quellen zunutze machen, sie aufarbeiten und lange verborgene weibliche Verdienste und Aktivitäten aufdecken.

Auch weitere Befunde sind nahe liegend und damit wenig überraschend, z.B. dass Literatur Geschlechtszuschreibungen transportiert oder dass Erfolgsbücher die Geschlechterdichotomien in der Gesellschaft verstärken, verlängern und manifestieren. Literatur war und ist ja ein Mittel, gesellschaftliche Ideale, Moralvorstellungen und Wertungen zu definieren und in die Weltbilder des Lesepublikums zu transportieren und zu implantieren.

Überrascht hätte, wenn Maierhofer mehr Werke gefunden hätte, die vom jeweils gängigen Schema ihrer Zeit abgewichen wären. Solche interessanten Abweichungen findet sie bei Ricarda Huch, Alfred Döblin und Walter Umminger, alle dem 20. Jahrhundert zugehörig.

Trotz der Kritik an den vielfach vorhersehbaren Ergebnissen stellt das Buch eine sehr gründliche und umfassende Studie dar. Zu jedem analysierten Werk gibt es kenntnisreiche Bezugnahmen auf die jeweilige Forschungsliteratur. Damit erweist sich die Studie als Fundgrube für Forschung, die sich angrenzenden Themen widmen möchte. Die Einzelanalysen enthalten sehr detailgenaue Auflistungen und quantitative Befunde: wie viele Frauengestalten es gibt, wie diese sich zu den Quellen verhalten, wie oft Frauengestalten im Vergleich zu männlichen aktiv handeln oder sprechen, wann wo welche Allegorie in welchem Zusammenhang verwendet wird usw. Über das eigentliche Thema hinausgehend gibt es zahlreiche inhaltliche Exkurse, z.B. zur Editions- oder Rezeptionsgeschichte einzelner Werke. Umfangreich werden Inhalt und Handlungsverlauf der einbezogenen Werke wiedergegeben, so dass man den Analysen gut folgen kann, ohne die Werke gelesen haben zu müssen.

Die feministische Perspektive, aus der die Analyse betrieben wird, wird den Werken und Autoren jedoch nicht immer gerecht. Maierhofer legt Wertungskriterien an, die im Entstehungszeitraum gar nicht berücksichtigt werden konnten. Als Beispiel sei nochmals die häufig monierte mangelnde Quellennutzung der Autoren und Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts genannt, insbesondere ihre Nichtbeachtung weiblicher historischer Gestalten. Dagegen ist zu fragen, wie viele Quellen über den 30-jährigen Krieg speziell den Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts zugänglich waren, die noch keinen Zugang zu akademischer Ausbildung hatten.

Maierhofer arbeitet dagegen sehr gut heraus, wie jede Zeit bei der literarischen Darstellung fernerer historischer Zeiträume ihre eigene Brille aufsetzt. Sie analysiert präzise und umfassend, welche aktuellen Fragen der Geschlechterdiskussion am scheinbar historischen Thema dargestellt werden. Das sind z.B. im 18. Jahrhundert die neu entdeckten Geschlechtscharaktere, die sich in der Figurengestaltung vielfältig niederschlagen. Im 19. Jahrhundert tauchen Thematisierungen von weiblichen Gefühlswelten, die Kontrastierung von "schöner Seele" und "Femme fatale" ebenso auf wie Diskurse um die Liebesehe und frühe psychologische Diskussionen. Somit werden Figuren zwar mit historischen Attributen und teilweise Fakten des 30-jährigen Krieges ausstaffiert, sind aber immer interessante Charaktere unter den Prämissen der Entstehungszeit des Werkes.

Erst im späten 20. und jungen 21. Jahrhundert entwickelt sich eine ungeheure Bandbreite in der literarischen Darstellung von männlichen und weiblichen Charakteren. Gleichzeitig tobt noch immer der Geschlechterkampf auch in der Literatur. Weitere Studien hierzu sind also zu erwarten. Somit darf auch gespannt die weitere Auseinandersetzung mit der vorliegenden Untersuchung erwartet werden.

Titelbild

Waltraud Maierhofer: Hexen - Huren - Heldenweiber. Bilder des Weiblichen in Erzähltexten über den Dreißigjährigen Krieg.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
451 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3412104051

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