Identitätspoesie vom Plattenteller

Bücher zur (Pop-)Musiksozialisation

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine kleine Welle ist es, die die gerade äußerst beliebte Form der Listenbücher und Übersicht-Zusammenstellungs-Kompendien-mit-Musik-kombiniert in den Regalen der Buchläden erzeugt hat. Und so fällt es leicht, einige Bände mit ein paar Sätzen thematisch zusammenfassen: Es handelt sich um Sammlungen von Kurztexten, ein, zwei oder ein paar Seiten lang, inhaltlich an einem Thema aus der Popmusik orientiert oder als Erinnerungstext an persönliche Erlebnisse mit Musik konzipiert, beispielweise unter dem Begriff "Mein Lieblingslied" zusammengefasst. Dabei ist die Motivation und die Herangehensweise natürlich so unterschiedlich wie die Persönlichkeiten der Autoren verschieden sind. Aber generell lässt sich sagen: Immer geben die Texte überraschend viele Einblicke in die individuellen Biografien ihrer Autoren - mehr oft, als lange Abhandlungen, Romane oder Interviews. Musik scheint in mancher Hinsicht wesentlich identitätsstiftender zu sein. Einen Einblick geben die nachfolgenden Bücher - jeweils aus einer anderen Perspektive. Zumindest meinen das die Autoren. Ein kritischer Blick sei also gestattet.

Am Anfang war das Gespräch, und es war gut. So ähnlich könnte man sich das Fazit von dem Band "Plattenspieler" vorstellen. Über 160 Seiten wird ein Gespräch zwischen den drei Autoren Frank Witzel (Schriftsteller und Musiker), Klaus Walter (Redakteur und DJ der Sendung "Der Ball ist rund" im Hessischen Rundfunk) und Thomas Meinecke (Schriftsteller, Musiker, DJ) dokumentiert. Einiges wurde aus den Gesprächen gestrichen, aber es ist ein kurzweiliger Text zustande gekommen, der zwar manchmal aufgrund der Dialogform etwas mühsam wird und ebenso zusammenfassend hätte daher kommen können - aber dann stellt man fest, vor allem im Vergleich mit den anderen drei hier vorgestellten Büchern, dass die dialogische Form gerade die Stärke des Bands ist. Zusammenfassend liefert ein Zitat einen guten Eindruck von dem thematischen Spektrum des Bands, der im besten Sinne des Wortes einem genreübergreifenden Begriff der 'culture studies' gerecht wird. Thomas Meinicke schreibt: "Wenn ich auflege, lande ich oft mit meinen beiden Plattenspielern bei minus 8. Das erinnert mich an Hand Nieswandt, der sein Buch 'Plus Minus 8' genannt hat. Wenn man das aufschlägt, sieht man beim Inhaltsverzeichnis den Pitchregler, und er hatte eine richtige Lebenskrise durch die Frage, wo er den Regler für die Abbildung fixiert. Er ist dann bei plus 2 geblieben. Und ich bin ein Typ, der landet eben bei minus 8." Und das bedeutet bei der Pitchkontrol eines Schallplattenspielers "sehr langsam"! Oder wie es Meinecke etwas später formuliert: "Das ist der Catalogue of Cool." (125) Wenn die drei Autoren in diesem Gespräch etwas versuchen, dann ist es das, was man den "Catalogue of Cool" zelebrieren nennen könnte. Und was immer sie damit meinen könnten, an manchen Stellen gelingt ihnen dieses Miteinander, und das sind dann die Stellen, die man großartige "Identitätspoesie" nennen könnte - wenn es sich nicht so blöd anhören würde. Also alles zusammen, schon ein Buch, das man zu den Guten zählen sollte.

Etwas anders sieht es da mit dem Band "Meine Lieblingslieder" aus. Einmal abgesehen davon, dass man die festgekleisterte Papphülle der mitgelieferten CD kaum von der Buchhülle lösen kann, die Trackliste der CD natürlich nirgendwo anders als auf der Rückseite der aufgeklebten CD-Pappe zu finden ist und die im Band besprochenen Lieder zum größten Teil nicht auf der CD enthalten sind - ist man zunächst überrascht von dem durchaus interessanten Ensemble der versammelten Autoren. Thomas Brussig, Judith Holofernes von den 'Helden', Frank Spilker von den 'Sternen' usw. Und das ist denn wohl auch der einzige Grund, warum man wahrscheinlich zu dem Band greift. Was man darin findet: Eben die erwähnten Autoren und noch einige andere und vor allem Selbstbekenntnistexte, persönliche Erfahrungen und kleine Geschichtchen: individuelle Exegesen der an anderer Stelle zementierten Wahrheiten anbetungswürdiger Poppäpste à la Stuckrad-Barre. Ein nicht unbedingt lesenwerter Band, der weit hinter die anderen Bücher zurückfällt. Schade, der Titel ist eigentlich ganz gut.

Gut ausgestattet ist der Band "Mein Song". Eine abstrahierte Schallplatte ist auf dem Umschlag der Typografie hinterlegt worden. Geht es also um alte Sachen - 60er und 70er-Songs? Eine die Dramatik des Bands ankündigende, mit drei Leitsentenzen versehene vorangestellte Seite stimmt den Leser ein. Die Herausgeber lassen in einem Motto Victor Hugo sprechen: "Die Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu Schweigen unmöglich ist." In Bezug auf die vorliegende Textsammlung ist dies durchaus als Hinweis zu verstehen. Die Auswahl der Autoren tut das Übrige und man hat nicht den Eindruck eines "zusammengeklatschten" Sammelwerks, obwohl die Texte alphabetisch nach den Autoren geordnet sind.

Es ist eine illustre Runde, die da versammelt ist, manchmal geht in den meistens drei- bis vierseitigen Beiträgen was daneben, und man mag den geschätzten Wiglaf Droste bemühen, der in seiner "Hinrichtung" von Keith Jarretts "The Köln Concert" ganz treffend, wenn auch nur vermeintlich originell formuliert, die Identitätsbemühungsaspekte bestimmter Textsorten dabei ins Auge fassend. Demnach sei es "keine gute Idee [...], wenn Deutsche nach ihrer Identität suchen: Entweder langweilen sie sich selbst und andere damit zu Tode, oder aber die Sache endet in Stalingrad."

Und das ist es denn auch, was den Band so erfreulich, unterhaltsam und lesenswert macht: Die gebrochenen Texte und Geschichten, die auf schmerzliche, persönliche und vor allem selbstironische Art sich dem Thema nähern, durchaus auch den hassenswertesten Song ihres bisherigen Lebens beschreibend und damit einen "dialektischen Weg der Kritik" und der Diskussion zu beschreiten und anzuregen - der dann in noch ausgefeilterer Form in dem Buch von Nonhoff vorgeführt wird.

In "Don't believe the hype!" geht es genau darum, was der Titel andeutet: Die Frage wird gestellt, warum in allen Listen der Musikmagazine, in Lieblingslieder-Aufstellungen scheinbar nur ein kleiner Kanon von diskutierbaren "Texten" - also Songs, Liedern, Musikstücken - zu den relevanten "All Time Greats" gehört. Und dann wird deutlich gemacht, was jeden Rolling-Stone-Journalist peinlich berühren dürfte, ist er denn nicht ganz im täglichen Musikjournalisten-Einerlei untergetauscht: "Die unablässige Verkündung unsterblicher Weisheiten ist zur Gebetsmühle einer Rock-Gerontokratie geworden, die den Gläubigen allmonatlich dieselben vertrauten Konserven andreht. Kein jemals gefälltes ästhetisches Urteil wird über die Jahre hinterfragt oder auch nur ansatzweise einer Revision unterzogen; ab einem bestimmten Stadium der Mythisierung spielt keine Rolle mehr, wie gestrig, antiquiert, unwesentlich oder schlicht albern das Schaffen eines Künstlers aus heutiger Sicht anmuten mag. Seien es die Stones oder Iggy Pop, Joe Strummer oder Paul Weller: Der kleinen Phoebe in Salingers 'Fänger im Roggen' gleich, drehen und drehen sie sich auf ihrem Karussell, während die früh- und spätvergreisten Holden Caulfields der Musikmagazine ihrer Sehnsucht Zucker geben, daß sich daran nie etwas ändern möge."

Nonhoff geht im einleitenden Teil des Buchs nicht gerade zimperlich mit dem Musikjournalismus um und fordert einen kritischen Journalismus im Gegensatz zu der fortwährenden Selbstinszenierung von "Pop" ein - und zwar von einem "Pop"-Begriff, der nahezu genauso inflationär benutzt wird wie der Begriff "Kultur", alles umfasst und einschließt und sich damit letztlich selbst zu einer hohlen, nichtssagenden Hülse degradiert. In den anschließenden Kurztexten zu einzelnen Protagonisten der Popgeschichte oder bestimmten Schallplatten hat sich Nonhoff etwas Unterstützung geholt. So findet man unter den Autoren Claudia Kaiser, Gitarristin und Sängerin von den Moulinettes, E-Moll Jones, ehemaliger Gitarrist der 'Legendary Golden Vampires' und Detlef Diederichsen, den man vielleicht noch als Autor und Redakteur des mittlerweile schon legendären Musikmagazins 'Sounds' kennt.

Und bei aller Kritik kommt "Don't believe the hype!" überraschend unterhaltsam daher, ist der spannendste Band dieser kleinen Auswahl und regt am meisten zu Diskussion mit anderen und vor allem mit sich selbst an. Dies mag nicht zuletzt an der treffenden, (selbst-)ironischen und pointierten Sprache liegen, die in manch furiosem "Ritt" durch die Aufzählungen aus dem Warensortiment der Pophistorie und den dabei verteilten Seitenhieben - und auch Totschlägen - gipfelt. Oder um es anders zu beschreiben: Oft hätte man es nicht besser formulieren können. Mit den Büchern ist es wie mit den Schallplatten - ein paar kann man getrost beiseite legen, manche aber auch nicht, denn: Don't believe the Hype!


Titelbild

Sky Nonhoff: Don't believe the hype. Die meistüberschätzten Platten der Popgeschichte.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
334 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3596164680

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

George Lindt / Susanne Halbleib (Hg.): Mein Lieblingslied. Songs und Storys.
Krüger Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
208 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3810511307

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Steffen Radlmaier (Hg.): Mein Song. Texte zum Soundtrack des Lebens.
ars vivendi Verlag, Caldozburg 2005.
382 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3897165341

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Meinecke / Klaus Walter / Frank Witzel: Plattenspieler.
Edition Nautilus, Hamburg 2005.
160 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3894014512

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch