"Sie sagen: er ist ein Jude"

Jakob Wassermanns autobiografische Schrift "Mein Weg als Deutscher und Jude"

Von Wulf SegebrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wulf Segebrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Wassermann 1921 seine autobiografische Schrift "Mein Weg als Deutscher und Jude" veröffentlichte, war er ein anerkannter und erfolgreicher Schriftsteller in Deutschland. Seine Romane "Caspar Hauser" (1908) und "Das Gänsemännchen" (1915) hatten ihm Ruhm und viel Zuspruch eingebracht. Dennoch wurde ihm - und das stellt Wassermann in seinem Buch in 24 kurzen Kapiteln in vielen Variationen dar - die gleichwertige Zugehörigkeit zu den Deutschen verweigert; von Kindheit an wurde ihm bedeutet, er sei andersartig, ein Außenstehender, nicht gleichberechtigt; und in vielen Lebenssituationen bekam er die Konsequenzen solcher Einschätzungen konkret zu spüren und erfuhr einen ausgesprochenen oder unausgesprochenen Antisemitismus. Der wiederum veranlasste ihn zur Solidarität und zum Zugehörigkeitsbekenntnis zu den Juden: "[D]as eine steht fest", schreibt er 1925 an den Schriftsteller Richard Drews (gedruckt in dem Band "Lebensdienst"), "daß ich mich als zugehörig und solidarisch erklären muß, solange die Schmach des gegenwärtigen deutschen Antisemitismus dauert".

Demgegenüber äußert Thomas Mann in einem Brief, den er an Wassermann schrieb, als er "Mein Weg als Deutscher und Jude" gelesen hatte, seine Zweifel daran, dass in Deutschland der "Antisemitismus je tief Wurzel fassen" werde fassen können - so als hätte es ihn damals nicht schon längst gegeben. Ist das Ahnungslosigkeit, Ignoranz oder bewusste Beschönigung? Marcel Reich-Ranicki beschließt sein nachdenkliches und empfehlendes Nachwort zu Wassermanns Schrift - es sei ein "ergreifendes Zeitdokument", sagt er, und heute so "notwendig und aufschlußreich" wie zu seiner Zeit - mit dem Hinweis auf diesen Brief Thomas Manns, den dieser später selbst bereut hat.

Das eigentliche Skandalon von Wassermanns Buch ist das "Und" in seinem Titel; denn gerade auf diesem "Und" besteht Wassermann, und genau dieses "Und", die gleichzeitige Zugehörigkeit zum Deutschtum und zum Judentum, wurde ihm verweigert. Es enthält die These, wonach es sich miteinander vereinbaren lassen müsse, zugleich Deutscher und Jude zu sein. Aber ebenso markiert das "Und" im Titel auch den unüberwindlichen Konflikt und die Diagnose der Unvereinbarkeit des Deutschen mit dem Juden.

Der Literaturkritiker Fritz J. Raddatz hat das Erscheinen dieses Buches in der "Zeit" (4. Mai 2005) mit großer Emphase begrüßt: "Endlich. Endlich ist dieses 1921 veröffentlichte Buch wieder da", schreibt er, als wäre es seit 1921 nicht wieder gedruckt worden. Dabei gibt es Wassermanns Schrift längst, seit 1994, auch als Taschenbuch bei dtv (Bd. 11867)! Gerade dieser Umstand hätte dem Jüdischen Verlag die Chance geboten, einen Blick in die verschiedenen Fassungen von Wassermanns Schrift, vor allem in das Manuskript, das in der Nürnberger Stadtbibliothek verwahrt wird, und in die veränderte Fassung der englischen Übersetzung des Buches zu werfen oder werfen zu lassen. Es ginge dabei nicht um selbstgenügsame Philologie. Vielmehr ließe sich durch solche Vergleiche zeigen, dass Wassermann hier wie sonst keine unumstößlichen letztgültigen Wahrheiten zu verkünden hat, sondern mit einer erschütternden Ehrlichkeit von seinen eigenen Zweifeln, Unsicherheiten, Skrupeln und Vorurteilen berichtet, die je nach der politischen Situation zu unterschiedlichen Akzentuierungen führen können und tatsächlich geführt haben. Will man sich die Intensität des Konflikts Wassermanns "als Deutscher und Jude" vergegenwärtigen, dann ist es durchaus sinnvoll, ja eigentlich notwendig, auch seinen ausgeprägten Antizionismus, seinen Stolz auf die vielhundertjährige Zugehörigkeit seiner Familie zur fränkischen Heimat, seine Bewunderung des deutschen Wesens und deutscher Charaktere, seine geradezu mythische Stilisierung des Juden als Orientalen, seine Abqualifizierung Heinrich Heines, seinen Ekel vor den Juden, die er in Österreich antraf, zur Kenntnis zu nehmen. Was heute als antisemitisches Klischee gilt, war für ihn erfahrene Wirklichkeit: "Die Banken, die Presse, das Theater, die Literatur, alles war in den Händen der Juden." Ihn trieb zur Verzweiflung: "das Idiom; schnelle Vertraulichkeit; Mißtrauen, das das unlängst verlassene Ghetto verriet; apodiktische Meinung; müßige Grübeleien um Einfaches; spitzfindiges Wortefechten, wo nichts weiter nötig war als Schauen; Unterwürfigkeit, wo Stolz am Platze war; prahlerisches Selbstbehaupten, wo es galt, sich zu bescheiden, Mangel an metaphysischer Befähigung": Erst vor diesem Hintergrund wird das ganze Ausmaß des Schmerzes erkennbar, der Wassermann die inzwischen vielzitierten Sätze über die Deutschen, wie sie der Jude erfährt, diktiert hat: "Es ist vergeblich, unter sie zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit? Es ist vergeblich, ihnen Treue zu halten, sei es als Mitkämpfer, sei es als Mitbürger. Sie sagen: er ist ein Proteus, er kann eben alles. [...] Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauchen frisches. Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude".

Mit dieser Begründung trieben ihn die Nazis aus der Preußischen Akademie, mit dieser Begründung verbrannten sie seine Bücher. Das Schlimmste wurde ihm jedoch erspart: Jakob Wassermann starb am 1. Januar 1934 in Altaussee in der Steiermark.


Titelbild

Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude.
Jüdischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
142 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3633542159

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