Genau hinsehen

Martin Mosebach schreibt Kunsterzählungen über alte und neue Meister

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kunsthistoriker haben oft ein großes Manko: Sie wissen zu viel. Und sehen zu wenig. Zu wenig die kleinen versteckten Witze, Hinweise, Anhaltspunkte. Zu wenig pure Technik, die auf die Interpretation hinweist. Spüren zu wenig Poesie. Nicht so der Jurist, Romancier und Essayist Martin Mosebach. Er verachtet die hypertheoretischen, narzisstischen, wissensprotzenden Kunstschwafeleien. Er sieht lieber genau hin, sieht auf die Oberfläche und auf das, was man sieht. Das hört sich sehr einfach an, aber es ist tatsächlich eine sehr schwierige Angelegenheit: vorurteilsfrei und kenntnisreich einfach nur sehen. Und sich Rechenschaft abzulegen über das, was man beim Sehen empfindet. Weswegen manche Kunstkritiker auch am liebsten zu Pressekonferenzen gehen, denn da bekommen sie von den Kuratoren die Kunstwerke gleich fertig erklärt. Zu schweigen von den Radioreportern, die oft sowieso nur das Mikrofon hinhalten und unkritisch einfach senden, was der Kurator sagt.

Mosebach dagegen ist ein Augenmensch. Deswegen entdeckt er auch immer wieder etwas Neues - in der Materialität des Werks, im Gegenständlichen, im Gegenstand. Natürlich kann man da auch immer widersprechen - vielleicht soll man das sogar. Aber man kann sich auf jeden Fall immer anregen lassen von Mosebachs privatem, sehr intensivem, andauerndem, durchdringendem Blick, den er auf ganz unterschiedliche Künstler wirft: auf Ingres, Miró, Hrdlicka oder Fabius von Gugel. Von Gugel? Nie gehört? Kein Wunder. Denn Mosebach schreibt nicht nur über die Großen, nicht nur über bekannte Maler, sondern auch über abseitige, unbekannte, vielleicht sogar "unwichtige". Aber was heißt schon wichtig? Manchmal sagen uns Bilder von einem Kunstakademiestudenten mehr als ein Picasso. Und manchmal bereichern uns misslungene Werke mehr als die so genannten Highlights. "Wichtig" ist sowieso oft genug nur ein Marktbegriff: Im Preis drückt sich dann die Wichtigkeit aus.

Nicht für Mosebach. In seinen manchmal ausschweifenden Kunstessays (eher Kunsterzählungen: denn sie sind mehr als Essays) schreibt er auch über Emma Lady Hamilton, die Frau des englischen Kunstsammlers und Gesandten am Hof von Neapel. Für Mosebach wie für Goethe scheint sie ein schönes, lebendes Bild gewesen zu sein, Goethe schrieb in seiner "Italienischen Reise" etwas ironisch: "Der alte Ritter Hamilton hat nun nach so langer Kunstliebhaberei den Gipfel aller Kunstfreude in einem schönen Mädchen gefunden." Ihre größte Rolle spielte Emma in einer berühmt-berüchtigten ménage à trois mit dem Seehelden Lord Nelson, den sie sich als Geliebten nahm. Alle reisten zu ihr, und viele malten sie: Tischbein, Romney, Reynolds... Mosebach konstatiert: "Sie war eine Künstlerin, die das immense Anschauungsmaterial, das ihr die Sammlung Sir Williams von griechischen Vasenbildern bis zu Barockgemälden bot, schöpferisch zu nutzen verstand." Denn sie war auch darstellende Künstlerin und trat als "lebendes Bild" auf, in einem riesigen Goldrahmen, als Kassandra, Niobe, Bacchantin. Und rührte die Betrachter zu Tränen. Nur Herder blieb kritisch und meinte, das sei eine Monstrosität, so ähnlich wie eine mit Fell behängte Marmorstatue einer Kuh.

Ein sehr passendes Beispiel für Mosebachs Kunstauffassung ist Meredith Frampton, ein verkannter und konservativer englischer Porträtmaler, der immer auf die "Picassos" geschimpft hat, die "so einfach zu machen sind", während er selbst manchmal ein ganzes Jahr lang an einem Bild arbeitete. (Was allerdings wirklich nicht etwas über die Größe der Kunst, über ihre Wirkung, über ihre Kunstfertigkeit aussagt.) Frampton sagte auch: "Ich empfinde beim Anblick der Arbeit eines Dentisten, bei einem gutgearbeiteten Gebiss zum Beispiel ebenso viel Vergnügen wie beim Anblick eines Gemäldes." Er ist ein Maler, der ohne Abstriche sehr schön in die Galerie der Exzentriker einer Edith Sitwell oder eines John Aubrey passen würde. Und wenn man sich die sehr steifen Porträts von Prinzen und Adeligen ansieht, weiß man nicht genau, was man von ihm halten soll.

Aber ebenso wie in seinem Kapitel über Hrdlicka oder die Pin-ups, über Peter Schermuly oder Werner Tübkes, über Felix Hartlaub oder Marcel Brodthaers lässt Mosebach durch seine erzählerische und so wenig apodiktische Art Platz für eine eigene Meinung, ja, er fordert sie geradezu heraus. Nicht durch zugespitzte Polemik. Sondern im Gegenteil durch seinen einfachen und genauen Blick und seine sanfte Formulierungskunst, bei dir wir Leser immer wieder merken, dass sich hier nicht ein Autor zum Platzhalter der Wahrheit hochstilisiert. Mosebach bleibt am Gegenstand und möchte, so ist der Haupteindruck, dass wir selber hinsehen, dass wir uns unsere eigene Meinung bilden, dass wir uns nicht um Kanon oder Kunstgeschichte scheren sollen.

Dabei ist erstaunlich, dass Mosebach nicht nur bei den Details bleibt und sie in einen großen Kontext einbettet, sondern dass er in seinen Kunsterzählungen mehrfach hin- und nachschaut. Doch, doch: Er kennt die Kulturgeschichte, kennt auch die Kunstgeschichte sehr gut. Und er findet, auch wir sollten sie durchaus kennen, aber vor allem sollten wir uns ein eigenes Bild machen von all den Bildern, die wir sehen.


Titelbild

Martin Mosebach: Du sollst dir ein Bild machen. Über alte und neue Meister.
zu Klampen Verlag, Springe 2005.
230 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3934920772

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