Apologet und Exeget des Menschen

Philipp Sarasin führt in das Werk Michel Foucaults ein

Von Berndt TilpRSS-Newsfeed neuer Artikel von Berndt Tilp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sekundärliterarische, einführende Werke verfolgen eine doppelte Absicht und vollziehen so unfreiwillig eine Gratwanderung zwischen akademischem Habitus und Feuilleton: Sie wollen gerade in Zeiten zunehmender Wissensbeschleunigung Primärtexte konzentriert und ökonomisch, gleichzeitig aber auch profund und kompetent darbieten. Bei einem Denker wie Michel Foucault, dessen Status als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts zum einen bereits in seiner Historizität evaluiert und zum anderen in seiner Aktualität weiterhin produktiv rezipiert wird, gerät die Janusköpfigkeit der Textsorte Einführung besonders anspruchsvoll. Foucaults trans- und interdisziplinäres Gewicht macht neben der Struktur seines Werks als unabgeschlossenes (und noch nicht zur Gänze veröffentlichtes) eine Präsentation seiner Denk- und Gedankenweise zu einem schwierigen Unterfangen zwischen Skylla und Charybdis.

Der Zürcher Historiker und Kulturwissenschaftler Philipp Sarasin, der sich bereits in seiner Habilitationsschrift zur Geschichte des Körpers in der Neuzeit als Foucault-Experte gezeigt hatte, hat nun in der Reihe "... zur Einführung" eine Näherung an dessen Werk verfasst, die auf anspruchsvolle und konzise Weise in den Kopf des Philosophen führt, ohne dabei Gefahr zu laufen, zu gelehrtenhaft-akademisch oder zu familiär-feuilletonistisch zu verfahren. Ausgehend von Foucaults "Wahnsinn und Gesellschaft" über die Arbeiten zur Psychiatrie, zu Verbrechen und Strafen und zur Literatur sowie die institutionenfeindliche Reflexion (und Agitation) und die Machtanalyse in den 70er Jahren bis hin zu den späten Werken zur Sexualität, zu den Selbstverhältnissen und ihren Technologien, legt Sarasin ein kulturwissenschaftlich akzentuiertes Kompendium vor. Es lässt den Vorläuferband von Hinrich Finck-Eitel überholt erscheinen und berücksichtigt die jüngsten postumen Veröffentlichungen aus dem Nachlass durch Daniel Defert und François Ewald. Foucault wird stärker als bisher in den zeit- und geistesgeschichtlichen Kontext des Frankreichs de Gaulles einbettet, und es wird dezent auf lebensgeschichtliche Umstände verwiesen. Dabei werden freilich bereits mehr oder minder bekannte Abgrenzungen bzw. Erweiterungen etwa zur Sprachwissenschaft und zur Psychoanalyse, zum Marxismus und zum Strukturalismus aufgezeigt, aber auch die vielfältigen Intertexte insbesondere zu Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Georges Bataille deutlich. Weniger stark herausgearbeitet, gleichwohl aber für den deutschen Leserkreis wohl von Interesse (und diesem wurde auch in der Kritik am Kant'schen Apriori, dem Einfluss Nietzsches und der Cassirer-Rezeption Rechnung getragen), sind gemessen daran die Verbindungen Foucaults zur Frankfurter Schule um Adorno und vor allem Horkheimer, in dessen Werk er trotz einiger beträchtlicher Abweichungen gegen Ende seines Lebens eine von ihm selbst zu spät bemerkte Kongruenz insbesondere im Hinblick auf die Analytik der Macht und ihr Verhältnis zur Rationalität bedauernd einräumte. Zu selten wird zudem der bisweilen berechtigten Kritik etwa an Foucaults Gender-Blindheit oder auch den einschlägigen Anmerkungen Charles Taylors und Nancy Frasers zu seinem "Antihumanismus" Raum gegeben, die deutliche Einschränkungen seiner Machttheorie zur Folge haben und einer kontroversiellen Näherung zugearbeitet hätten. Der Hermeneutikkritiker Sarasin stellt den Antihermeneutiker (und Antihegelianer) Foucault vor, und so ist es auch kein Wunder, dass Jürgen Habermas und Axel Honneth nur am Rande genannt werden.

Gleichwohl ist das ungemein luzide und stilistisch hervorragende Buch eine äußerst empfehlenswerte Einführung zu Foucault. Sein Ziel, vor dem Hintergrund der Subjektivierung und Diskursivierung des Menschen ein Subjekt jenseits von Gesetz und Macht denkbar zu machen und eine entsprechende Ethik des Selbst zu suchen, wird klar. Sarasin fordert und macht Lust auf eine weitere Auseinandersetzung mit Foucault, dessen eigene stilistische Brillanz eine Leseerfahrung ist, die durch den einführenden Charakter der Publikation nicht transparent werden kann. Nur etwas philosophischen Proviant muss man schon mitbringen, um unter 'Epistemai', 'Diskursformationen', 'Allianzdispositiven', 'Gouvernementalitätsformen' sowie der 'Dominanz des Gleichen' nicht zu darben und Sarasins Gedanken folgen zu können; dann allerdings sind sie verlässliche und anregende Begleiter auf den Spuren Foucaults.


Titelbild

Philipp Sarasin: Michel Foucault zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2005.
222 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3885066068

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