Geistige Maximen und emotionale Distanzierung

Heike Hendrix rechnet in ihrer Arbeit zu Bachmanns "Todesarten"-Zyklus mit dem Feminismus ab

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Feminismus-bashing ist eine der wenigen Disziplinen, die von Wissenschaftlerinnen öfter betrieben werden als von ihren männlichen Kollegen. Das dürfte allerdings kaum daran liegen, dass letztere theoretischen Fundierungen der Frauenemanzpation zugeneigter wären. Denn positive Bezugnahmen männlicher Wissenschaftler auf feministische Arbeiten sind noch seltener. Vielmehr spiegelt sich in deren Nichtbeachtung die Arroganz der Macht des wissenschaftlichen malestreams.

Heike Hendrix ist eine dieser Autorinnen, die der niederen Disziplin frönen. So sticht in ihrer Arbeit über die "Selbst- und Wirklichkeitsreflexionen" in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" und in dem unabgeschlossenen, da verworfenen Nachlasswerk "Das Buch Franza" vor allem ein oft dezidierter Antifeminismus hervor. Dieser antifeministische Impetus geht soweit, dass sie etwa der "Radikalfeministin" Elfriede Jelinek eine "teilweise nahezu totalitäre, persönlich motivierte Kampfansage an die als zerstörend empfundene Männerwelt" vorwirft. Als hinreichender Beleg für das Verdikt genügt ihr Jelineks "Bild von Ingeborg Bachmann als 'in ihrem Bett brennende[r] Dichterin (und mit ihr all die brennenden Frauen mittelalterlicher Städte, die ihrer weiblichen Bevölkerung mittels Feuer ledig geworden), [sie] ist alle Frauen und gleichzeitig keine Frau, weil die Frau nichts ist'".

Dabei hat Hendrix einen denkbar weiten Feminismusbegriff, unter den auch schon mal ein Autor subsumiert wird, dessen Selbstverständnis das kaum entsprechen dürfte. Peter von Matt etwa, der alleine schon deshalb des Feminismus' geziehen wird, weil er in seinem Buch "Die Treulosen in der Literatur" den Begriff "patriarchalisch" verwendet.

Dass Hendrix' Antifeminismus nicht immer trifft, bedeutet allerdings nicht, dass ihre Kritik an feministischen Interpretationen von Bachmanns Werk nie stichhaltig wäre. Geradezu milde nimmt es sich etwa aus, wenn sie die Lesart Alice Schwarzers, die aus den Traumkapiteln in "Malina" auf einen Missbrauch Bachmanns durch ihren Vater kurzschließt, als "fragwürdig und äußerst heikel" kritisiert.

Bei aller Feminismusschelte konzediert Hendrix feministischen Interpretationen, die "das Schicksal" der Prinzessin von Kagran und das der Ich-Figur in "Malina" "überwiegend als Darstellung der verhängnisvollen Existenz der Frau in einer sie unterdrückenden patriarchalischen Gesellschaftsordnung" auffassen, immerhin, dass sie neben mehreren anderen möglichen Lesarten ihre Berechtigung haben. Allerdings würden solche Interpretationen der "Vielschichtigkeit" von Bachmanns Werk "nur selten" gerecht.

Das mag wohl sein. Doch welche Interpretation leistet schon mehr als eine von mehreren möglichen Lesarten, die im besten Fall plausibel ist, andere darum aber nicht prinzipiell ausschließt? Den Anspruch, die eine, wahre Interpretation eines literarischen Werkes vorgelegt zu haben, dürfte schon lange niemand mehr erhoben haben. Und so ist auch Hendrix' Interpretation von Bachmanns Figuren als "Repräsentanten geistiger Prinzipien" der "abendländischen Tradition", "(Kultur-)Geschichte" und deren "geistiger Maximen", in der Jordan als "Faschist" auftritt und Iwan als "Repräsentant der zeitgeschichtlich vorherrschenden Gesellschaftsstruktur und menschlichen Bewusstseinslage", nur eine von vielen möglichen und diskutablen Lesarten, aber ganz sicher keine erschöpfende. Denn schließlich sind Bachmanns Geschöpfe alles andere als blutleere Figuren, deren literarisches Dasein darin aufgeht, Träger abstrakter Ideen zu sein.

Auch über Hendrix' Befund, "Malina" sei ein "poetischer Entwurf der schriftstellerischen wie der individuellen Existenz Ingeborg Bachmanns" ließe sich diskutieren. Doch selbst, wenn er zutreffend sein sollte, lässt sich daraus noch lange nicht auf die vermeintlich "fehlende Fähigkeit der Autorin zur emotionalen Distanzierung" gegenüber ihren Protagonistinnen schließen; und zwar auch dann nicht, wenn Hendrix zur Untermauerung ihrer Behauptung die autoritative Beglaubigungsinstanz Christa Wolf herbeizitiert. Dabei ist diese letzte These nur eine aus einer ganzen Reihe, die nicht zu überzeugen vermögen. Ein anderer lautet etwa, die "Beobachtung der gesellschaftlichen 'Greuel'" habe Bachmann mit "nahezu pathologischer Angst und Abscheu erfüllt".

Darüber hinaus assoziiert Hendrix gelegentlich allzu willkürlich. Etwa, wenn sie die Nummern der in "Malina" von der Ich-Erzählerin und von Iwan bewohnten Häuser in der Ungargasse anhand von deren zahlenmystischer Bedeutung interpretiert, ohne danach zu fragen, ob Bachmann sich überhaupt mit Zahlenmystik befasste. Und Stilblüten tragen zwar zur Erheiterung bei, sollten in einer wissenschaftlichen Arbeit dennoch möglichst unterbleiben. Bachmann, so stellt Hendrix etwa fest, sei "zu Lebzeiten" mit Toni Kienlechner befreundet gewesen. Ja wann denn sonst?

Es lässt sich also etliches monieren an Hendrix' Arbeit, im Großen wie im Kleinen. Doch soll dies nicht das letzte Wort sein. Kann man der Autorin in Anderem doch uneingeschränkt folgen. Bachmann hat mit dem "Todesarten"-Projekt wahrhaftig "einen bis heute wichtigen Beitrag zu der Diskussion über das kollektive Versäumnis der Deutschen wie Österreicher, sich ihrer Vergangenheit und der damit verbundenen Schuldfrage zu stellen" geleistet; Adam Opels Buchpublikation über seine Reise mit Bachmann geht tatsächlich bis zur "Grenze der Geschmacklosigkeit", ja sie nimmt diese Hürde sogar mit Leichtigkeit - und Hendrix' These, Bachmanns unvollendetes opus magnum zeige, "dass es einen Austritt aus der Geschichte in ein Niemandsland einer realitätsfernen Utopie nicht gibt und nicht geben kann", ist zumindest originell.


Titelbild

Heike Hendrix: Ingeborg Bachmanns "Todesarten"-Zyklus: Eine Abrechnung mit der Zeit.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005.
238 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3826031709

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch