Alltägliches Wissen in der Literatur - Über den Kalender als literarische Form

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem zehn Beiträge und eine Auswahlbibliografie umfassenden und von York-Gothart Mix herausgegebenen Sammelband steht der so genannte Volkskalender im Mittelpunkt. Er wird in seiner Bedeutung dabei dem Phänomen der Ausbreitung des Zeitschriften- und Zeitungswesen und der Gründung von Lesegesellschaften, Leihbibliotheken und Klubs für literarische Bildung zur Seite gestellt. Da das Forschungsgebiet "Kalender" ein nahezu unerschlossener Bereich der Lese(r)forschung ist, bietet der vorliegende Band vor allem eine überblickartige Skizze. Er ist Wegweiser für die immer noch vorhandenen Forschungsdefizite.

Wesentlichen Aufschluss über die aktuelle Forschungssituation zu der der Unterhaltungsliteratur zuzurechnenden Literatursorte gibt die Auswahlbibliografie von Mix und Carolina Kapraun am Ende des Bandes. Daneben findet man etwas zur strukturellen Analyse des Volkskalenders, zu den virtuellen Erzählerfiguren der Kalender und vor allem zu den nicht zu unterschätzenden und wohl auch die Beliebtheit der Kalender bedingenden visuellen Gestaltungskomponenten. Nicht fehlen darf der Bezug zur Aufklärung - ist doch Lesestoff und pädagogischer Impetus der Volkskalender durch und durch vom Gedankengut derselben geprägt.

Besonders hingewiesen sei auf den Beitrag über die "Lektüre für das Frauenzimmer", der die besondere Rolle der neuen - weiblichen - Lese(r)gruppe und deren Funktion in Bezug auf Kalender, Taschenbücher und Almanache untersucht. Dabei wird die Wandlung der Inhalte und Funktionen der Kalender besonders deutlich. Sie spiegelt sich in der Anpassung an die neuen Lese(r)bedürfnisse: "Noch stärker als der Kalender in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist das Taschenbuch bemüht, die Leserinnen zu unterhalten. Die Aufnahme belletristischer Texte, etwa Gedichte, Erzählungen, Anekdoten, dient gewiß diesem Zweck."

Dabei bleibt die Orientierung an den Lese(r)bedürfnissen immer nur insofern an die Wünsche der Leserinnen angepasst, sofern nicht die moralische Ermahnung aus dem Auge verloren wird: "Reinlich sey ein jedes Weib, / Um dem Gatten zu gefallen; / Puz ist nichts als Zeitvertreib, / Machet oft ins Auge fallen. / Drum gedenkt an mein Gedicht / Und versäumt die Seele nicht."

Zusammenfassend beschreibt den Inhalt des Buchs ein kleiner Absatz aus der Einleitung: "Der vorliegende Band referiert den aktuellen Diskussionsstand in der Volkskunde, den Literatur-, Kultur- und Geschichtswissenschaften [...]."

T. N.

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Titelbild

York-Gothart Mix (Hg.): Der Kalender als Fibel des Alltagswissens. Interkulturelle und populäre Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005.
233 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-10: 3484810270

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