Deutsche Karrieren

Journalismus und Propaganda im, für und nach dem Nationalsozialismus

Von Kurt SchildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kurt Schilde

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn biografische Veröffentlichungen zu Männern und Frauen auf den Buchmarkt kommen, deren Karrieren mit der Geschichte des Nationalsozialismus zusammenhängen, drängt sich eine vergleichende Besprechung geradezu auf. Die Journalistin und Publizistin Else Frobenius (1875-1952) hat sich zu ihren Lebzeiten nicht öffentlich biografisch geäußert. Die als Kolonialistin und Nationalistin politisch aktive und emanzipierte Frau tritt 1933 der NSDAP bei und setzt ihre schon lange vorher begonnene Karriere fort. Der nachfolgenden Generation entstammt Margret Boveri (1900-1975). Sie ist kein Parteimitglied und kann den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft als Karrierechance nutzen. Auch Gertrud Scholtz-Klink (1902-1999) - bereits seit Mitte der 1920er-Jahre überzeugte Nationalsozialistin - verbindet ihr Emporkommen mit dem Aufstieg der NS-Partei. Sie wird 1934 Reichsfrauenführerin und bleibt bis 1945 ranghöchste Nazisse.

Parteigenosse ist auch Wilfrid Bade (1906-1945?), der von 1933 an im Reichspropagandaministerium arbeitet und Propagandist des Nationalsozialismus ist. Dies trifft auch auf den etwas jüngeren Paul Karl Schmidt (1911-1997) zu, der als Pressechef im Reichsaußenministerium wirkt. Nach 1945 setzt er seine Karriere fort und prägt als Bestsellerautor Paul Carell das Bild einer sauberen Wehrmacht. Diese Männer und Frauen werden sich untereinander gekannt haben, sicher ist, dass sich einige von ihnen begegnet sind.

Else Frobenius stellt sich als eine selbstbewusste Journalisten und Publizistin dar, die zahlreiche Zeitungsartikel und Bücher schreibt und davon leben kann. Ihre Karriere baut die geschiedene Frau auf den neuen Frauenrechten auf und propagiert zugleich eine antidemokratische Politik - eine "nationale Feministin". 1943/44 hat sie sich entschlossen, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Die bisher im Familienarchiv aufbewahrte Autobiografie hat Lora Widenthal - leider nur äußerst sparsam kommentiert - herausgegeben. Sie bezeichnet sie als eine "marktorientierte Journalistin", die sich immer konform geäußert hat. Frobenius stellt sich als durch und durch unpolitischen Menschen dar. Sie preist zu Beginn der Weimarer Republik das Frauenwahlrecht ebenso wie 1933 das Ende der Demokratie und den Nationalsozialismus. Sie schreibt für eine Zeitschrift des Bundes Deutscher Mädel ebenso wie eine Schrift "Die Frau im Dritten Reich": Anhand von Adolf Hitlers "Mein Kampf" zeichnet sie ein Idealbild des nationalsozialistischen Frauenlebens.

Sie deutet ihr Leben als Erfolgsgeschichte. "Ich hielt mich lieber an das Gute als an das Böse." Dazu passt offenbar nichts, was diese Sicht trüben könnte: Dementsprechend erwähnt sie keine jüdischen KollegInnen und keine politisch bedingten Berufsverbote, keine kritischen Meinungen und auch keine Deportationen der jüdischen Bevölkerung. Sie hat ihr Leben dem Nationalsozialismus verschrieben - bis zum "Totaleinsatz des deutschen Volks im Kriege". Solche Aussage wirkt heute etwas irritierend. Hier wären einige vertiefende Informationen durch die Herausgeberin angebracht gewesen.

Ganz anders angelegt ist die von Heike B. Görtemaker erarbeitete Biografie von Margret Boveri, über die die Autorin schreibt: "Sie verkörperte gelebte Emanzipation." Boveri nutzt den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft als Karrierechance und arrangiert sich mit dem verbrecherischen NS-Regime - ohne selbst Nationalsozialistin zu werden oder werden zu wollen. Es gelingt ihr, eine Stelle bei der renommierten "Frankfurter Zeitung" zu bekommen, was für sie eine Nische darstellt. Für dieses Blatt arbeitet sie als Korrespondentin in Stockholm und in New York sowie in Lissabon und Madrid. Als sie das Kriegsende nahen sieht, geht sie nach Berlin und bleibt dort bis an ihr Lebensende.

Nach dem Ende des NS-Regimes will die inzwischen geachtete und beachtete Journalistin nicht mehr fest zu einer Redaktion gehören. Sie berichtet aus Berlin u. a. für die "Badische Zeitung", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Welt" und "Die Zeit" und schreibt zahlreiche Bücher. In ihren Veröffentlichungen setzt sich Boveri für die Wiedervereinigung Deutschlands ein, wirft Adenauer Verrat daran vor und plädiert bereits 1954 für die Anerkennung der DDR. Mit einer solchen Position gerät die politische Journalistin und Publizistin zunehmend in eine Isolation.

Sie schreibt ein Buch nach dem anderen, wie "Der Diplomat vor Gericht" (1948) über den Prozess des alliierten Militärgerichtshofs in Nürnberg gegen den ehemaligen Diplomaten Ernst von Weizsäcker - den Vater des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Damit beginnt ihre Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. In vier Bänden "Der Verrat im 20. Jahrhundert" (1956-1960), "Wir lügen alle" (1965) zur Geschichte des "Berliner Tageblatts" im Nationalsozialismus und "Tage des Überlebens" (1968) - ihren persönlichen Bericht über das Kriegsende in Berlin - setzt sie sich bis an ihr Lebensende schriftstellerisch mit der eigenen Schuld und "Verstrickung" im "Dritten Reich" auseinander. Aber wirkliche Zweifel lässt sie erst zum Ende ihres Lebens zu, als sie in Dialogen mit dem Schriftsteller Uwe Johnson ihre publizistische Vergangenheitsbewältigung anfängt und zu späten Einsichten kommt. Nach ihrem Tod gibt Johnson ihre Autobiografie "Verzweigungen" heraus.

Die Frage ihrer Verantwortung für das NS-Regime ist für Gertrud Scholtz-Klink nie ein Thema gewesen. Sie ist schon als junge Frau überzeugte Nationalsozialistin und wird 1934 mit rund 30 Jahren Reichsfrauenführerin. Massimiliano Livi porträtiert sie in seiner politikwissenschaftlichen Dissertation (Universität Münster 2004) in drei Schritten: Nachdem er ihre Biografie ausgebreitet und sich mit ihren Schriften auseinandergesetzt hat, beschreibt er kurz ihr Leben von 1945 bis 1950 - vom Untertauchen und illegaler Existenz bis zur Entnazifizierung. Scholtz-Klink hat viel veröffentlicht - über die Überlegenheit des nationalsozialistischen Modells und seine Vorteile für die Frauen sowie die Rolle der Frauen in der "Volksgemeinschaft". Ihre Texte erscheinen nicht nur in der NS-Frauenwarte oder im NSDAP-Organ Völkischer Beobachter, sondern z. B. auch in der "Frankfurter Zeitung" - wo auch Margret Boveris Artikel erschienen sind. Die wichtigsten Reden werden als Sonderdrucke herausgegeben und sie hat "erhebliche Honorareinkünfte" - Propaganda ist ein lohnendes Geschäft.

Livi versucht sich an einer politischen und historischen Bewertung, indem er Profil und Typus ihrer Führerinnenrolle analysiert. Um die Bedeutung seiner Arbeit ins rechte Licht zu rücken, kritisiert er die "feministische Geschichtsschreibung" und profitiert gleichzeitig von deren Forschungen. Er nimmt häufig für sich in Anspruch, bestimmte Erkenntnisse als erster gesehen zu haben und neigt ein bisschen zu Vereinfachungen. Zunächst stellt er fest, dass sie sich keiner Straftaten schuldig gemacht hat. Er präsentiert Scholtz-Klink als zugleich machtgierige und pragmatische Aufsteigerin. Ihre Karriere erklärt er wesentlich damit, dass sie sich jeweils zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort für sich selbst und die NSDAP stets erfolgreich profilieren konnte. Damit schreibt er ihrer nationalsozialistischen Weltanschauung eine reduzierte und ihrer politischen Gewandtheit sowie ihrem Organisationstalent eine wichtigere Bedeutung zu. Bei aller Kritik: Livi hat das Verdienst, die erste Biografie über die mächtigste Frau des NS-Regimes verfasst zu haben. Sie bietet zahlreiche interessante Ansatzpunkte für zukünftige Analysen über die Rolle von mächtigen Frauen im Nationalsozialismus.

Der im Vergleich zu Scholtz-Klink nur geringfügig jüngere Wilfrid Bade gehört schon als junger Mann der NSDAP an. Sein Aufstieg läuft parallel mit der Entwicklung des Reichspropagandaministeriums, wo er als Kulturpolitiker und Journalist die NS-Ideologie propagiert. Er hält sich zudem noch für einen großen Dichter und Schriftsteller und hat ein umfangreiches Werk hinterlassen. Darunter befinden sich "Das Hohelied vom Dritten Reich - Arbeit und Brot" (1934), das vierbändige Werk "Der Weg des Dritten Reiches" (1933-1938), "Die SA erobert Berlin - Ein Tatsachenbericht" (1933) und ähnliches. 1934 schreibt er Jugendbücher wie "Thiele findet seinen Vater" und "Trommlerbub unterm Hakenkreuz" und dichtet über "Tod und Leben - Verse des Krieges" (1943). Er bedient sich eines dumpfen Antisemitismus und nimmt es mit den historischen Fakten nicht immer genau. Mit seinen Honoraren kann er sein Einkommen erheblich aufbessern.

Christian Härtel beschreibt in einer biografischen Annäherung sehr anschaulich, wie Bade u. a. an der "Erziehung" der Auslandskorrespondenten zu guten Propagandisten für den nationalsozialistischen Staat mitwirkt. Er begleitet sie auf Auslandsreisen - auf einer solchen Reise nach Griechenland hat ihn Margret Boveri kennen gelernt. Sie erinnert sich an ihn: "Herr Bade war eisern."

Bade, der 1933 als Referent im Propagandaministerium angefangen hat, wird zum Regierungsrat, Ministerialrat und 1944 zum Ministerialdirigenten ernannt und Teil der NS-Funktionselite. Die Enthüllung seines Stromliniencharakters gelingt Härtel, nicht indem er chronologisch dessen Lebenslauf rekonstruiert, sondern thematische Schwerpunkte bildet. Den Porträtierten ordnet er an der Schnittstelle zwischen Partei- und Staatsapparat und den Massenmedien ein, der sein Leben mit dem des Regimes verknüpft. Mit dessen Untergang verschwindet Bade auf mysteriöse Weise im Jahr 1945: Er soll in einem Kriegsgefangenenlager in Litauen verstorben sein. Aber sicher ist dies nicht.

Im Gegensatz zu Bade hat Paul Karl Schmidt das Ende des nationalsozialistischen Regimes überlebt und es sogar geschafft, seine Karriereleiter weiter empor zu klettern. Wigbert Benz legt ebenfalls keine ausführliche Biografie vor, sondern bewegt sich auf den Spuren des NS-Propagandisten und Publizisten von den 1930er- bis in die 1990er-Jahre.

Seit dem 20. Lebensjahr gehört Schmidt der NSDAP an und wird einer der führenden NS-Studentenführer. 1936 promoviert er und gelangt 1938 in den "persönlichen Stab des Reichsaußenministers" - wie er in einem Lebenslauf für die SS schreibt. Schmidt schafft es mit 29 Jahren, als Legationsrat 2. Klasse Leiter der Nachrichten- und Presseabteilung des Auswärtigen Amtes zu werden. Zu seinen Aufgaben gehören die Analyse der Berichterstattung der in- und ausländischen Presse und die Unterrichtung des Ministers, die Beeinflussung der Auslandspresse und die Lenkung der deutschen Presse auf außenpolitischem Gebiet. Er führt täglich Pressekonferenzen für die Auslandskorrespondenten durch. 1944 formuliert er Vorschläge zur Rechtfertigung der Deportation von jüdischen Menschen aus Budapest - er ist ein Schreibtischtäter! In diesem Jahr wird er wie Bade zum Ministerialdirigenten befördert. Der 1945 Verhaftete und Internierte wird statt in einem der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse angeklagt zu werden, zum Belastungszeugen für andere Beschuldigte.

Seine Nachkriegskarriere beginnt Schmidt als Autor von Propagandabroschüren für den Marshall-Plan und die europäische Einigung. Er schreibt für "Die Zeit" über den Zweiten Weltkrieg, den "Spiegel" zur Reichstagsbrandstiftung und "Die Welt" über die Bundeswehr. Unter dem Pseudonym Paul Carell produziert er Beststeller zum Zweiten Weltkrieg, in denen die Wehrmacht als saubere, kameradschaftliche und heldenhafte Truppe dargestellt wird. Er gehört zu den engsten Freunden des Verlegers Axel Springer und ist für dessen Sicherheit zuständig. Über seinen Tod hinaus erleben seine Kriegsbücher zahlreiche Auflagen.

Diese hier vorgestellten (Auto)Biografien zeigen zum einen, dass es in der Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland immer noch unbearbeitete Forschungsfelder gibt. Die JournalistInnen nach 1945 hatten ja alle eine Vergangenheit, über die sie gerne geschwiegen haben. Wer wissen will, wie und warum das NS-Regime so gut funktioniert hat, muss sich auch mit den Biografien der Personen beschäftigen, die für dieses Regime Propaganda betrieben und in Zeitungen und Zeitschriften geschrieben sowie Bücher publiziert haben.


Titelbild

Christian Härtel: Stromlinien. Wilfrid Bade. Eine Karriere im Dritten Reich.
be.bra verlag, Berlin 2004.
287 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3937233105

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Heike B. Görtemaker: Ein deutsches Leben. Die Geschichte der Margret Boveri 1900 - 1975.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
416 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-10: 3406528732

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Else Frobenius: Erinnerungen einer Journalistin. Zwischen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg.
Herausgegeben von Lore Wildenthal.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
257 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3412196053

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Massimiliano Livi: Gertrud Scholtz-Klink: Die Reichsfrauenführerin. Politische Handlungsräume und Identitätsprobleme der Frauen im Nationalsozialismus am Beispiel der Führerin aller deutschen Frauen.
LIT Verlag, Münster 2005.
288 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-10: 3825883760

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Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmitt vor und nach 1945.
Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2005.
112 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 386573068X

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