"Du wirst nie glücklich sein"

Unermüdlich quält Joey Goebel in seinem neuen Roman den Künstler - alles im Namen der Kunst

Von Tanja SiegRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tanja Sieg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Entertainment braucht den archetypischen Künstler von früher: einen jungen Mann oder eine junge Frau, gequält, isoliert, ohne Liebe und Hoffnung, aber mit einer Kreativität begabt, die ihn oder sie dieses traurige Leben ertragen läßt." Diesem Bekenntnis folgend stellt der junge amerikanische Autor Joey Goebel (Jahrgang 1980) sein Werk in den Dienst der Kunst. Dabei bedient er sich des alten Klischees, dass nur ein leidender Künstler ein guter Künstler ist - "per aspera ad astra - ohne Leid kein Preis."

"Du wirst nie glücklich sein", bekommt die leidtragende Hauptfigur des Romans, der sechsjährige Vincent Spinetti, gleich zu Beginn seiner Ausbildung an der New Renaissance Academy mitgeteilt. Ziel dieses Internats ist es, Kindern mit außergewöhnlichem Talent eine kostenlose Ausbildung zukommen zu lassen und sie durch strenge Ausformung und eiserner Konditionierung zu außerordentlich kreativen Leistungsträgern des Landes zu machen. Dabei muss ihnen aber soviel Leid wie möglich zugefügt werden, damit sie, so wie Vincent, anspruchsvolle Drehbücher, Kino- und TV-Produktionen sowie Song-Texte für aufstrebende Pop-Künstler schreiben können. Vincents alkohol- und drogenabhängige Mutter, die mit fünfundzwanzig zum sechsten Mal schwanger ist, ist da nur froh, ein Maul weniger stopfen zu müssen.

Die Leitidee der Akademie stammt von Foster Lipowitz, Besitzer eines riesigen Medienimperiums. Auf Grund seines globalen Oligopols ist er einer der mächtigsten Männer des Landes. Doch schwer vom Krebs gezeichnet bereut der mittlerweile 70-jährige Medienmogul seine "sündigen Geschäftspraktiken" und beschließt dem Kitsch und Kommerz der Reality-Shows und dem total verkommenden Radio Pop den Rücken zu kehren. Er hofft, "daß sich die Waagschale der Mainstream-Unterhaltung eher zur Kunst als zum Kommerz hin neigt" und gründet die "New Renaissance Academy" in Kokomo, Indiana, weit ab von den Einflüssen Hollywoods und New Yorks.

Vincents Manager ist Harlan Eiffler, der ihn vertraglich gebunden fortan durch sein Leben begleitet. Eifflers Aufgabe dabei ist es, dem angehenden Künstler konstruktiven Schmerz zuzufügen und "dafür zu sorgen, daß der Künstler 1. einsam, 2. künstlerisch inspiriert und 3. kreativ bleibt." So gestaltet sich Vincents Kindheit und Jugend erwartungsgemäß tragisch: Früh muss das nach Liebe lechzende Kind erleben, wie ihn seine degenerierte Mutter abschiebt, seine Geschwister sterben, sein heruntergekommenes Zuhause abbrennt und zu guter letzt sein über alles geliebter Terrier vergiftet wird. Und als er zu einem jungen Mann herangereift ist, wenden sich ausgerechnet die Frauen von ihm ab, die von ihm hingebungsvoll geliebt werden. Aber "seit Vincent das Herz gebrochen worden war, wurde deutlich, daß Lipowitz' Experiment funktionieren könnte. Dank ein wenig frischem, greifbaren Leid produzierte Vincent [...] reichlich Kunst."

"New Renaissance braucht also eine einsame Seele, die das Leiden der Welt auf sich nimmt und in Meisterwerke verwandelt." Solche Seelen hat es immer schon gegeben: Dostojewski, Kafka, Rilke, Berlioz, Gogh und viele andere mehr. Auch infiziert sich Vincent mit Krankheiten wie Typhus und Syphilis, die bereits den archetypischen Künstler zum Schreiben im Angesicht des Todes animierte, denn "historisch betrachtet ist die Korrelation zwischen Tb und kreativer Produktivität unstrittig." So erkennt denn auch Vincent: Syphilis, "so etwas unangenehmes, aber so ein schönes Wort [...]. Ich bin tuberkulös und syphilitisch."

Dieser kollagenartige Zusammenschnitt aller erdenklicher produktionssteigender Leiden bis hin zum missglückten Selbstmord macht aus Vincent einen der bedeutendsten Kunstschaffenden des 21. Jahrhunderts. Doch irgendwann ist für Vincents Manager Eiffler der Punkt erreicht, an dem er seinen Schützling nicht länger leiden lassen kann und zieht seine Konsequenzen.

Und auch der Leser verliert sukzessive das Interesse am Weiterlesen, denn inhaltlich viel Neues wird dem Plot nicht beigefügt. Der Autor scheint fast nach einem adäquaten Schluss zu suchen und diese Suche nach dem passenden Ende zieht sich besonders im dritten Teil des Romans endlos hin.

Anfangs gefesselt von der raffinierten Idee des gequälten aber erfolgreichen Künstlers, belustigt und erfreut von der treffsicher geschilderten Medienschelte der amerikanischen Fernseh- und Rundfunklandschaft, wirkt der Roman letztendlich nur noch ermüdend und zieht sich zäh in die Länge. Die Geschichte rührt nicht am "Ende zu Tränen", wie der Klappentext suggeriert, sondern verfällt vielmehr in sämige Rührseligkeit.


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Joey Goebel: Vincent. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog.
Diogenes Verlag, Zürich 2005.
432 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257064853

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