Erinnerungen in Blau

Im Comic „Madeleine, die Widerständige“ erzählt Madeleine Riffaud von ihrem Weg zur französischen Résistance und wagt sich damit nicht nur an ein neues Medium, sondern auch Publikum

Von Elena HochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elena Hoch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ein Mann bei Madeleine Riffaud anruft und verkündet, einen Comic über sie machen zu wollen, lässt sie ihn eiskalt abblitzen: „Ein Comic? Das ist doch was für kleine Kinder!“ Erst ein Freund, der Regisseur Jorge Amat, schafft es, sie zu überzeugen, dem Medium eine Chance zu geben. Sie wolle doch möglichst viele Menschen mit ihrer Geschichte erreichen – vor allem die junge Generation –, dafür sei ein Comic perfekt. Riffaud lässt es auf einen Versuch ankommen und lädt den Mann, der ihr Leben in Panels packen möchte, zu sich ein. Bereits nach dem ersten Treffen steht für sie fest, dass noch viele weitere folgen werden. Und sie Autorin eines Comics wird.

Madeleine, die Widerständige heißt das Werk, das in Wort und Bild erzählt, wie die heute 98-Jährige einst Mitglied des französischen Widerstandes wurde. Die entsicherte Rose ist der erste Band und bildet den Auftakt einer Trilogie. Auf 115 Seiten porträtiert er Riffauds Kindheit und Jugend im Zeichen der Weltkriege. Die erste Erfahrung mit einer Granate, die drei ihrer Freunde das Leben kostet, macht sie im Alter von sechs Jahren, mit 15 bringt ihr Vater ihr das Schießen bei. Er ist es auch, der darauf besteht, dass sie Auto fahren lernt, denn wenn er zum Krieg eingezogen wird, möchte er, dass „sie weiß, wie sie zurechtkommt“.

Zwei Jahre später, 1940, ist ihre Heimat Frankreich von Nazis besetzt. Während andere sich vor den deutschen Soldaten ducken und ihnen Kirschaufläufe backen, möchte Riffaud kämpfen. Die pazifistische Bekannte ihres Vaters, bei der sie ab 1941 untergebracht wird, ist für sie ein Graus – anstatt „Friede über alles“ fordert das junge Mädchen „Krieg dem Kriege!!“ Mit gerade einmal 17 Jahren beschließt sie, sich der Résistance anzuschließen. Obwohl niemand ihre Ambitionen gutheißt oder gar unterstützt und eine Tuberkulose-Erkrankung sie über längere Zeit so stark schwächt, dass sie mehrere Monate in einer Klinik verbringen muss, verliert sie ihr Ziel zu keinem Zeitpunkt aus den Augen. Sie wird kämpfen, komme was wolle.  

Gemeinsam mit JD Morvan, der 2017 durch den Dokumentarfilm Résistantes von Pierre Hurgel auf sie aufmerksam wird, schreibt Riffaud den Text des Comics. In Ich-Form erzählt sie darin retrospektiv von ihrer Kindheit und Jugend. Die Sprache ist schmucklos, aber persönlich. An manchen Stellen sogar erstaunlich schroff. So heißt es zum Beispiel von einem Priester, dessen Knöchel zu sehen sind, „das kümmerte ihn einen Dreck“ oder als sie beim Küssen mit ihrem späteren Lebensgefährten erwischt wird, ärgert sie sich: „Schon hatten wir einen Bericht am Arsch!“ Sprachliche Entgleisungen wie diese lassen in Kombinationen mit der persönliche Du-Ansprache und Aussagen wie „du kennst mich ja“ den Eindruck entstehen, Madeleine Riffaud sitze leibhaftig mit Zigarillo im Mund (wie sie in einigen Behind-the-Scenes-Panels zu sehen ist) vor einem auf dem Sofa und erzähle ihre Geschichte.

Die Zeichnungen, die ihre Worte illustrieren, stammen von Dominique Bertail. Allesamt in gedeckten Blautönen gehalten erinnern sie an verblasste Schwarz-Weiß-Fotographien. Der Geist der Vergangenheit ist auf diese Weise allgegenwärtig. Vielleicht ergreift einen beim Betrachten deshalb so stark die Melancholie, während das Entsetzen größtenteils ausbleibt. Dabei werden Grausamkeiten weder beschönigt noch ausgespart: Madeleine entkommt nur knapp einer Explosion, friert, wird geschlagen und ungeniert angefasst. All das wird im Comic bildlich vor Augen geführt, trotzdem scheint es zu einer längst vergangenen Zeit zu gehören – zu einer Erinnerung, festgehalten auf einem Bild.  

Lange wollte sich Madeleine Riffaud, die sich in der Résistance in Anlehnung an ihren Lieblingsdichter Rilke den Decknamen Rainer gibt, überhaupt nicht an ihre Kriegsvergangenheit erinnern. „Wenn man von der Gestapo geschnappt wurde, hatte man zu sagen, dass man nichts weiß“, sagte sie gegenüber ihrem Freund, dem ehemals führenden Kämpfer der Résistance, Raymond Aubrac. „Ich wurde geschnappt, ich weiß nichts mehr.“ Erst mit 70 Jahren will sie sich wieder erinnern und von ihren Erfahrungen erzählen. Dabei geht es ihr aber nicht um sich als Person: „Ich bin kein Symbol. Ich bin keine besondere Frau. Was ich getan habe, haben Hunderte, Tausende andere auf der ganzen Welt gemacht.“ Sie möchte vor allem Erinnerung für all diejenigen schaffen, die nicht mehr selbst von ihren Taten erzählen können, aber niemals in Vergessenheit geraten sollen.

Wie es zu ihrer Meinungsänderung gegenüber der Erinnerung und dem Medium Comic kommt, erfahren Leser:innen durch zwei Vorwörter – ein allgemeines und ein spezielles an deutsche Leser:innen. Zudem gibt es im Anschluss an den eigentlichen Comic (der mit dem Comic-typischen „Fortsetzung folgt…“ endet) einen zweiten, der die Entstehungsgeschichte zu Madeleine, die Widerständige sowie einige zusätzliche Erinnerungen von Riffaud erzählt. Darin wird unter anderem berichtet, dass Riffaud dem Eifer Morvans, an ihre Kontaktdaten zu kommen, nicht etwa Bewunderung entgegenbrachte, sondern ihm (zumindest in dem Panel, das diese Anekdote erzählt) entgegenpfefferte: „Das ganze Theater, um an meine Nummer zu kommen?? Sie sind dumm, ich stehe im Telefonbuch!“

Barsche Aussagen wie diese überraschen deswegen so sehr, weil Riffauds Dichtung so vergleichsweise zart ist. Bereits in jungen Jahren verfasst sie erste Gedichte, von denen einige im Comic abgedruckt sind. In französischer Originalsprache und deutscher Übersetzung strukturieren und kommentieren sie die Handlung. Etwa den sexuellen Missbrauch durch einen jungen Mann, den Riffaud auf ihrer Reise in die Tuberkulose-Klinik im Winter 1942 erleidet:

Verletzlich ist der Schnee.
Vergänglich auch dein Herz.
Herz, das hingt und beharrlich ausharrt in jener Nacht.

Schmelzen wird der Schnee.
Schmelzen auch dein kleiner Körper.
Schon sticht dein Blick in See
Und dein Atem füllt sich mit Nacht.

Wer wird sich erinnern an den Schnee,
wenn der nächste Winter kommt?
Wenn der Morgen graut am Horizont?

Wer erinnert sich und wozu,
An deine Gedanken, deine Hände?
Wenn das Jahr sich neigt dem Ende?

Der Comic ist trotz einfacher Sprache keine leichte Lektüre. Und das auch im wahrsten Sinne des Wortes. Mit stolzen Maßen von 23,5 x 31 cm und mehr als einem Kilo Gewicht haben sich die Macher:innen für ein durchaus würdiges, aber leider auch unpraktisches Format entschieden. Zwar kommen die Zeichnungen auf diese Weise selbst bei mehreren Panels pro Seite gut zur Geltung, die eigentliche Lektüre erschwert es jedoch. Es in einer Hand zu halten, ist nahezu unmöglich. Da Riffaud mit ihrem Band besonders auf junge Zielgruppen zielt, hätte der Verlag womöglich besser daran getan, ein kleineres, handlicheres und auch günstigeres Format zu wählen. 

Denn es wäre doch mehr als schade, bliebe dieser eindrucksvoller Comic allein aufgrund des ungünstigen Formats ungelesen und seine wichtige Botschaft unvermittelt – die vom Geist der Résistance: „Klage nie über die Lage deines Landes oder dein eigenes Schicksal. Eine Sache ist nie aussichtslos, solange du sie nicht aufgibst. Ich bin kein Opfer. Ich bin eine Widerstandskämpferin.“

Titelbild

Dominique Bertail / Jean-David Morvan / Madeleine Riffaud: Madeleine, die Widerständige – 1. die entsicherte Rose.
avant-verlag, Berlin 2022.
128 Seiten , 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783964450807

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