Sie waren keine Helden
In seinem Roman „Glanz und Schatten“ erzählt Max Haberich von den Nöten der Filmschaffenden im Dritten Reich
Von Günter Rinke
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMax Haberich hat sich Großes vorgenommen. Er möchte eine neue Sicht auf Hitlers Reich eröffnen, fokussiert auf einen kleinen, aber sehr öffentlichkeitswirksamen Bereich, nämlich die Unterhaltungsindustrie und hier vor allem die Filmbranche. Ins Zentrum seiner hauptsächlich in Berlin spielenden Erzählung stellt er einen Schriftsteller namens Baltenried, der auf Auftrag auch Drehbücher liefert, und seinen Bruder Otto, der sich während des Krieges vom glühenden Hitler-Verehrer zum Widerstandskämpfer wandelt. Außerdem den Regisseur Dornheimer, der lange als Frauenheld gilt, bis herauskommt, dass er homosexuell ist. Schließlich gehören zum engeren Figurenkreis einige Schauspielerinnen, die nicht nur um die besten Rollen, sondern auch um die Gunst attraktiver Männer konkurrieren. Es sind vor allem die aus Schwaben stammende unerfahrene Clara Winter, ihre Freundin Lucia Pirker und die schon renommierte und sehr dominante Natalja Nemzowa.
Neben diesen fiktiven Figuren, die nach realen Vorbildern modelliert sind, werden immer wieder bekannte Namen aus der damaligen Filmwelt genannt, wie Willi Forst, Heinz Rühmann, Veit Harlan, Susi Lanner, Renate Müller, Sybille Schmitz und viele mehr. Die Nennung dieser Namen gehört ebenso zum Zeitkolorit wie zahlreiche Filmtitel und Zitate aus populären Schlagern der dreißiger Jahre. Im Anhang findet man Verzeichnisse dieser Schlager mit Erscheinungsdaten, Namen der Komponisten und Textdichter sowie der Filme, ebenfalls mit Daten ihrer Erstaufführung, Namen der Regisseure und der wichtigsten Darstellerinnen und Darsteller. Der Eindruck, es mit einem sorgfältig recherchierten Buch zu tun zu haben, wird dadurch vertieft, dass der Autor einen erst 2017 gemachten „Sensationsfund“, wie im Nachwort beschrieben wird, zu einem Handlungsstrang macht. Es geht um den Austausch von Fotografien zwischen der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press und dem NS-Regime während des Zweiten Weltkriegs. Im Roman wird erzählt, dass die Amerikaner sich weigerten, Fotos von den Vernichtungslagern zu veröffentlichen.
Der Roman, der bereits vor zwei Jahren erschienen ist, verdient vor allem wegen seiner zeitgeschichtlichen Brisanz Beachtung. Der in Deutschland (zur Zeit noch) weniger als in Österreich bekannte Haberich ist bislang vor allem mit einer Arthur Schnitzler-Biographie, mit Erzählungen sowie einem satirischen Wörterbuch und einer Streitschrift zur „Gender-Ideologie“ hervorgetreten. Glanz und Schatten ist also sein erster Roman. In seinem neuesten Buch Weltmeisterkäse (2024) folgt er seiner Neigung zur Sprachkritik und bemüht sich, „den Zeitgeist gegen den Strich zu bürsten“, wie es in der Verlagsankündigung heißt.
Die generelle Absicht, eine neue, noch unerprobte Sicht auf Zeiterscheinungen und, in diesem Fall, historische Zusammenhänge zu eröffnen, liegt auch dem vorliegenden Roman zugrunde, heißt es doch im Klappentext, dieser Roman könne „als Ergänzung und zugleich Korrektiv der häufig moralisch geprägten Sicht auf diese Epoche betrachtet werden“. Die meisten Figuren erleben einen Zwiespalt zwischen dem Willen, zu überleben und beruflich weiter zu reüssieren, und dem Anpassungsdruck, unter dem sie ständig Kompromisse mit dem Regime eingehen müssen. Da die Geschichte im Kulturbereich spielt, steht stellvertretend für das Regime vor allem der Propagandaminister Goebbels. Stillschweigendes Akzeptieren der herrschenden Verhältnisse reicht ihm nicht aus, er verlangt aktive Loyalitätsbeweise von den Künstlern. Das prominenteste Beispiel dafür ist, dass Baltenried aufgefordert wird, das Drehbuch für den Durchhaltefilm Kolberg zu schreiben, was er dann auch widerwillig tut.
Die reale Bedrohung, unter der Skeptiker, Regimekritiker und Abweichler jederzeit stehen, wird im Roman episodisch vorgeführt, etwa wenn der zunächst unauffällige, später im Widerstand aktive Wilhelm Rath im öffentlichen Lokal einen Hitler-Witz erzählt und dafür umgehend abgeholt wird. Oder wenn der Regisseur Dornheimer wegen seiner Homosexualität denunziert und bald darauf ins Gefängnis gesteckt wird. Ein Pfarrer namens Brausewetter, der als Beichtvater den Widerstand deckt, wird verhaftet und „über Jahre“ in ein Hotelzimmer gesperrt. Der Fall lässt an Stefan Zweigs Schachnovelle denken, in der Gleiches geschieht. Auch Baltenried steht unter Beobachtung, weil er sich nicht eindeutig genug zum Nationalsozialismus bekennt. Zeitweise hat er eine Schreibhemmung, dann verfasst er einen Roman mit dem Titel „Der Fürst des 20. Jahrhunderts“, der eine kalkuliert zweideutige Tendenz hat:
Die heikle Sache war die, das Buch so zu verfassen, dass es als Loblied auf den allseits bekannten Fürsten gelesen werden konnte, während es, verdeckt, so verstanden werden sollte, wie es gemeint war: als Plädoyer für die Freiheit.
Das Buch passiert „fast ohne Beanstandung“ die Zensur und verkauft sich 600.000 Mal. Baltenried hat die Hoffnung, dass dissidente Leser darin Trost finden, aber offenbar lässt der Roman auch eine konformistische Lesart zu. Als Modell könnte Haberich Ernst Jüngers Roman Auf den Marmorklippen (1939) gedient haben, bei dem auch diskutiert wurde, ob es sich um ein Widerstandsbuch handelte, obwohl es zunächst in Deutschland erscheinen durfte. Die Probleme der Inneren Emigration, die Haberich am Beispiel Baltenrieds thematisiert, werden am Ende des Romans in einem Nachkriegskapitel noch einmal aufgenommen. In einem Gespräch wird die Kontroverse zwischen Thomas Mann und Frank Thiess erwähnt, aber nicht über Handbuchwissen hinaus vertieft. Letztlich bleibt das Porträt des „daheimgebliebenen“ Autors, der dem Regime kritisch gegenübersteht, zu oberflächlich. Nur andeutungsweise erfahren wir, wodurch er sein hohes Renommee erworben hat – erwähnt wird ein gegen Remarque gerichteter, antipazifistischer Frontroman – und welches Weltbild er hat. Das Dilemma der zu Zeiten von Hitlers Herrschaft in Deutschland tätigen Künstler wird zugespitzt auf Formeln wie „Kunst oder KZ. Was sollten wir tun?“ oder „Helden waren wir keine“.
Insgesamt stellt sich der Eindruck ein, dass Haberich zu viel auf einmal wollte und daher manches offen bleibt. Den Künstlerroman reichert er mit vielen Liebeshändeln an, so dass diese Komplikationen über weite Passagen dominieren. Baltenried steht zwischen zwei Frauen, der Nemzowa, die ihn verlassen hat, aber noch liebt, und der jüngeren Clara Winter, die wiederum eigentlich seinen Bruder Otto liebt. Deren Freundin Lucia liebt Wilhelm Rath, der ebenso wie Otto zum Widerstandskämpfer wird. Die Geschichte verlagert sich auf das scheiternde Attentat vom 20. Juli 1944; Otto Baltenried fliegt Stauffenberg nach Ostpreußen zur Wolfsschanze, wird aber nicht dafür belangt, sondern erschießt sich in den letzten Kriegstagen, als Clara von einer Bombe getroffen wird. In der zweiten Hälfte des Romans werden neue Figuren eingeführt, damit der Presseskandal erzählt werden kann. Die Verbindung zwischen diesen Handlungssträngen ist ebenso lose wie bisweilen der Zusammenhang zwischen den jeweils mit Monatsnamen, Jahreszeiten und Jahreszahlen bezeichneten Kapiteln.
Dominierendes Mittel der Erzählung sind Dialoge, die oft recht kunstlos wirken, da auch Floskeln der Alltagssprache nicht ausgespart werden. Zuweilen wünscht man sich mehr innere Monologe oder erlebte Rede, die über das Innenleben der Figuren aufklären und Entwicklungen plausibler machen könnten. Das Thema „Glanz und Schatten“ der NS-Kulturindustrie wird von Max Haberich mit diesem Roman durchaus packend und abwechslungsreich vermittelt, aber vollständig ausgeleuchtet ist es noch nicht.
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