Als Joseph Roth im Himmel war

Der Germanist Jan Bürger versammelt in „Pariser Nächte“ Feuilletons und Briefe des österreichischen Journalisten und Romanciers

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Paris der Goldenen Zwanziger ließ etliche Schriftsteller in Verzückung geraten. Man denke nur an Ernest Hemingway, dem Frankreichs Kapitale „Ein Fest fürs Leben“ war. Kein Autor aber dürfte damals so sehr in Ekstase geraten sein wie Joseph Roth. Für ihn war Paris schlicht „die Hauptstadt der Welt“. Seinem Freund Benno Reifenberg beschied er kurz nach seiner Ankunft: „Wer nicht hier war, ist nur ein halber Mensch und überhaupt kein Europäer.“ Reifenberg war allerdings nicht nur Roths Freund, sondern auch sein Chef bei der Frankfurter Zeitung. Vor allem ihm hatte es der österreichische Journalist und Romancier zu verdanken, dass er im Mai 1925 als Korrespondent an die Seine geschickt wurde.

Unter dem Titel Pariser Nächte kann man nun die einschlägigen Feuilletons, Reiseberichte und Briefe Joseph Roths nachlesen, darunter auch die Texte aus den Jahren des Exils. Besorgt hat die Auswahl der Germanist Jan Bürger, der vor drei Jahren bereits den Roth-Reader Reisen in die Ukraine und nach Russland vorlegte. Was für den Leser der neuen Auswahl schnell deutlich wird: Es war vor allem das Erleben von Freiheit, das den damals 31-jährigen Joseph Roth in der französischen Metropole so bezauberte. Kein Wunder, denn Mitte der 1920er Jahre vibrierte Paris geradezu vor Modernität und Energie.

Hinzu kam Roths Lebenshintergrund, seine Herkunft als armer jüdischer Nobody aus der galizischen Provinz ebenso wie seine Erfahrungen: erst im Krieg, dann in Berlin. Die von Gewalt, politischem Fanatismus und Judenhass zerrissene Weimarer Republik noch vor Augen, erlebte er in Paris, wie die Menschen tagelang auf den Straßen tanzten, um die sich jährende Revolution zu feiern. Und während in Berlin die Parks mit Verbotsschildern zugestellt wurden, durften in Paris die Kinder spielen, wo sie wollten, ob auf den Champs-Élysées oder im Jardin du Luxembourg. So sehr steckte Roth die französische joie de vivre an, dass er das Segelschiffchen, das er für eines dieser Kinder gekauft hatte, am Ende selbst zu Wasser ließ, wie er seinen deutschen Lesern stolz berichtete.

Im Nachwort des Herausgebers wird Roths Paris-Erlebnis demjenigen Rainer Maria Rilkes entgegengesetzt, das eher von düster-bedrohlichen Facetten der Metropole geprägt war. Mindestens so aufschlussreich wäre jedoch der Vergleich mit den Paris-Erinnerungen Ernest Hemingways: Denn während der Amerikaner später vor allem von seinen Begegnungen mit Landsleuten wie Scott Fitzgerald erzählte, verwandelt sich in Roths Feuilletons das Paris der Goldenen Zwanziger in eine Wunderkammer voller Überraschungen: Da scheinen etwa in einem Wachsfigurenkabinett zwischen all den lebensechten Gestalten Kunst und Realität plötzlich die Plätze zu tauschen. Oder man kann ausgerechnet in einem schummrigen Kellerlokal den „Himmel“ finden und trunken glauben, „im kühlen Flug emporzufallen“. Ein Ort der Wunder also, der jedoch in den Augen Joseph Roths bedroht war: von aufdringlichen Reklameaktionen à la Broadway ebenso wie von sensationslüsternen Touristen aus Übersee.

Nicht sie allerdings sorgten für Roths Vertreibung aus dem Paradies, sondern seine Heimatredaktion. Kein Jahr später ersetzte ihn die Frankfurter Zeitung als Korrespondenten durch den, so Roth, „charakterlosen“ Friedrich Sieburg. Eindrucksvolle briefliche Wutausbrüche des ohnehin leicht kränkbaren Feuilletonisten waren die Folge.

Endgültig zur Exilheimat wurde ihm Paris nach Hitlers Machtantritt; hier lebte der Verfasser von solch großen Romanen wie Hiob und Radetzkymarsch bis zu seinem Alkoholtod im Jahr 1939. Seine immer pessimistischeren Texte aus dieser Zeit – geschrieben in Bistros und billigen Hotels – gehören nicht nur zu seinen stärksten Arbeiten, sondern verdienen gerade heute eine Wiederentdeckung, etwa seine Beobachtungen in den Wartezimmern der Polizei-Präfektur.

Dort saßen die jüdischen Flüchtlinge aus Wien oder Berlin, in noch guten Anzügen, aber mit „zerschlissenen“ Gesichtern, umgeben von Kindern, die längst die Illusionen ihrer Eltern durchschaut hatten. Das hatten sie mit dem politisch hellsichtigen Joseph Roth gemeinsam, der bis zu seinem Tod vor Hitler warnte.

Titelbild

Joseph Roth: Pariser Nächte. Feuilletons und Briefe.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jan Bürger.
Verlag C.H.Beck, München 2018.
144 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783406726316

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