Aber dazu später

Jaroslav Rudišʼ sympathischer Schelmenroman „Grandhotel“ als Hörspiel

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der tschechische Autor Jaroslav Rudiš, 1972 geboren, ist kein Geheimtipp mehr. Gerade erst hat er den Preis der Literaturhäuser 2018 erhalten und wird bei der Leipziger Buchmesse auf dem Blauen Sofa Platz nehmen. Da verwundert es, dass erst mit mehr als zehnjähriger Verspätung sein Romanzweitling als Hörbuch erscheint, noch dazu in einem Regensburger Kleinverlag. Oder auch nicht: Als Grandhotel 2006 auf Tschechisch, zwei Jahre später dann in deutscher Übersetzung erschien, war Rudiš hierzulande noch weitgehend unbekannt. Er ist ein umtriebiger Autor, der nicht nur eine Reihe von Romanen geschrieben hat – auf Deutsch erschien zuletzt Nationalstraße, der Monolog eines Rechtsradikalen aus der Prager Peripherie –, sondern auch in Bands gespielt, Drehbücher und Theaterstücke geschrieben und gemeinsam mit dem Sänger und Zeichner Jaromir 99 die Graphic Novel Alois Nebel komponiert. Mittlerweile schreibt er auch auf Deutsch.

Grandhotel erzählt die Geschichte des jungen Exzentrikers Fleischman, der in einem realsozialistischen Luxusbau aus den 1970er Jahren hoch über der nordtschechischen Stadt Liberec arbeitet und sich in Wolkenbeobachtungen flüchtet. Sein Cousin Jegr, der ihn nach dem angeblichen Tod seiner Eltern bei sich aufgenommen hat, ist ein fußballvernarrter Macho mit Ostblocknostalgie und tragikomischen Zügen, und leitet das Hotel, das in den langen regen- und schneereichen Monaten abseits der Saison oft leer steht. Um die beiden versammelt sich ein ganzer Ring skurriler Gestalten: Fleischmans zwielichtiger Ex-Mitschüler Patka, der von seiner Zeit in Amerika prahlt (aber doch nur wegen Autodiebstahl gesessen hat); das liebeshungrige Zimmermädchen Susanna, das die Zukunft durch Billigmystik und Psychotests beherrschbar machen will; der Rentner Franz, der in Liberec aufgewachsen ist, als es noch das sudetendeutsche Reichenbach war, und nun die Asche seiner engsten Freunde in Kaffeedosen zurückbringt; und schließlich die ätherische Schönheit Ilja, die Fleischman zunächst in verfänglichen Situationen ertappt und sich dann gegen alle Wahrscheinlichkeiten in ihn verliebt.

Der entrückte Schauplatz und die skurrilen Figuren erinnern an Wes Andersons Grand Budapest Hotel (2014), aber Rudišʼ Roman ist mehr als ein halbes Jahrzehnt älter. Was ihn so anziehend macht, ist die kindliche, bisweilen naive Perspektive von Fleischman, die zugleich etwas vom tumben Tor Parzival und seiner Herzensreinheit hat. Mit dem klaren Blick des Schelmenromans werden die Schwächen des Figurenensembles bloßgelegt, ohne dass Rudiš seine Figuren je ins völlig Lächerliche zieht. Man würde erwarten, dass Fleischman wie Parzival schließlich diese Perspektive verlässt und erwachsen wird, aber das Gegenteil ist der Fall – gerade indem er sich treu bleibt, gelingt es ihm, seine Probleme wenigstens zum Teil zu überwinden, etwa seine Schwierigkeiten mit Frauen oder seine jahrzehntelange Unfähigkeit, Liberec zu verlassen. Für Fleischman ist zudem der Wunsch des angeblichen Ex-Wehrmachtssoldaten Franz, ohne Gedanken an Revanche in seine Heimatstadt zurückzukehren, kein Problem – im Gegensatz zu den tschechischen Nationalisten, von denen nicht wenige das Buch bevölkern. Diese humanistische Grundhaltung mach Rudišʼ Buch und seinen Protagonisten grundsympathisch. Und das gerade, weil sie wie aus der Zeit gefallen wirken, heute, wo die nationale Abschottung wieder alle existenten und nicht-existenten Probleme lösen soll.  

Dieter Lohrs Aufnahme aus dem Jahr 2017 firmiert offiziell als Hörspiel, in dem allerdings der Monolog Fleischmans dominiert. Tendenziell nähert sich die Inszenierung der Lesung an. Matthias Winter überzeugt mit seiner Wiedergabe des kindlichen Tons, und Christoph Maltz als ewig polternder Jegr ist sein kongenialer Gegenspieler. Bis in die Nebenrollen hat Lohr eine glückliche Hand bei der Besetzung gehabt. In jedem Fall ist diese Aufnahme von Grandhotel ein großes Vergnügen und absolut empfehlenswert.

Titelbild

Jaroslav Rudis: Grandhotel.
LOhrBär-Verlag, Regensburg 2017.
4 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783939529170

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