Ein cooler Typ
Mit dem Erzählband „Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich“ kann man den in Vergessenheit geratenen William Saroyan wiederentdecken
Von Regina Roßbach
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin ausgebrannter Schriftsteller braucht einen billigen Haarschnitt. Er beobachtet die Menschen, die ihm im Friseursalon begegnen und die nicht weniger heruntergekommen wirken als er selbst. Da ist ein sechzehnjähriger Teenager, dem der Erzähler sein Tabakpäckchen reicht – weil der aussieht, als könnte er dringend ein bisschen Nikotin gebrauchen – und daraufhin erfährt, dass „Iowa“, wie er ihn nennt, auf den Feldern keine Arbeit finden kann. Dann ist da ein alter Tramp, dem das „Nichtsesshaftsein, das Nirgendwohingehören und das Nichtbesitzen“ ein „schreckliches Gesicht“ und noch dazu einen üblen Geruch verliehen haben. Und dann ist da Theodor Badal, der Friseur, dessen Name auf dem Spiegel geschrieben steht und den der Erzähler daraufhin fragt, ob er Armenier sei:
Er sagte: ‚Ich bin Assyrer.‘
Na, das war immerhin etwas. Die Assyrer kamen aus unserem Teil der Welt, sie hatten Nasen wie wir, Herzen wie wir. Sie hatten eine andere Sprache. Wenn sie etwas sagten, konnten wir sie nicht verstehen, aber sie waren uns sehr ähnlich. Es war nicht ganz so erfreulich, wie wenn Badal Armenier gewesen wäre, aber es war immerhin etwas.
Siebzigtausend Assyrer heißt die Geschichte, weil der Erzähler zu seiner Überraschung erfährt, dass auf der ganzen Welt nur noch siebzigtausend Assyrer leben. Dagegen ist er als Armenier ja noch gut dran; immerhin gibt es von seinem Volk noch rund eine Million.
Siebzigtausend Assyrer eignet sich perfekt als erste Erzählung des Bandes Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich, mit dem die dtv Verlagsgesellschaft zur Wiederentdeckung des in Deutschland weitgehend vergessenen US-amerikanischen Autors William Saroyan beitragen will. Denn in diesem Text stellt Saroyan nicht nur sich selbst dem Leser vor, sondern palavert auch im für ihn typischen, lässigen Ton und auf nicht immer ganz ernst gemeinte Weise über seine literarischen Prinzipien. Er erklärt zum Beispiel, dass der Bericht über einen Friseurbesuch alleine noch keine Erzählung wert sei. Aber spektakuläre Geschichten, die sich gut verkaufen, weil in ihnen so viel passiert, möchte er auch nicht erfinden. Ihm sei der Einzelne wichtig, eben der junge Mann, der ihm die Haare geschnitten hat, und die Tatsache, dass „ein ganzes Volk ist“. Dass sich das nicht gut verkaufe, und man aus seiner Geschichte wohl auch keinen Film machen werde; das sei ihm völlig egal.
Dass diese Gleichgültigkeit gegenüber dem Erfolg seiner Texte keine bloße Pose ist, zeigt Saroyans Ablehnung des Pulitzerpreis für sein Stück The Time of Your Life, mit der Begründung, Geschäftsleute hätten über Kunst nicht zu urteilen. Dass er den Preis überhaupt gewonnen hat, zeigt wiederum, dass Saroyan in den 30er Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg sehr wohl ein erfolgreicher, bekannter und viel gelesener Autor gewesen ist. Die Beliebtheit seiner Storys ließen sogar die Filmbranche aufmerksam werden; für das Drehbuch zum Film The Human Comedy gewann er einen Oscar, war über die Erfahrungen am Set allerdings so enttäuscht, dass er Adaptionen seiner literarischen Texte ab diesem Zeitpunkt ablehnte.
Saroyan wurde zwar im kalifornischen Fresno geboren, identifizierte sich jedoch wie der Erzähler von Siebzigtausend Assyrer stark mit seiner armenischen Herkunft und wird in Armenien bis heute als Nationalschriftsteller verehrt. Von seinen Geschichten lässt sich lernen, wie stark die Verbundenheit mit den Kulturen der Herkunftsländer auch unter den Kindern und Enkeln der amerikanischen Immigranten bleibt, die ihre Gemeinschaft in den USA weiterhin pflegen – nicht nur, um ihre Kultur zu bewahren, sondern auch, um ein Netzwerk gegenseitiger Hilfe und Unterstützung zu bilden. Wenn man die Herkunft teilt, fühlt man sich auch in der Ferne eng verbunden.
Saroyans literarische Gestalten scheinen durchweg gesellschaftlich Benachteiligte zu sein: Arbeitslose, Immigranten, Farbige, Indianer. Doch bei ihm hat endlich die Stunde der Ausgestoßenen geschlagen. Beinahe wie in einer verkehrten Welt sind sie entgegen den ersten Erwartungen – Saroyan konfrontiert den Leser andauernd mit seinen Vorurteilen – die eigentlichen Stars, die Helden und Gewinner. So stellt sich der Protagonist in Lokomotive 38, der Ojibwe-Indianer, der auf einem Esel in die Stadt geritten kam, später als Millionär heraus. In Unsere kleinen braunen Brüder, die Filipinos soll der Ringkämpfer Ramon Internationale sich besiegen lassen, obwohl klar ist, dass er der Stärkste von allen ist: „Internationale konnte jeden auf die Matte schicken, aber damit ist kein Geschäft zu machen.“ Dass Menschen wie Internationale – angewiesen auf Manager und den Regeln des Marktes ausgeliefert – sich unterordnen müssen, mag Teil der amerikanischen Realität sein; in Saroyans fiktiver Welt jedoch ist sich unterkriegen lassen keine Option. Von tausenden Fans bejubelt und mit der Unterstützung der sich vor den Menschenmassen ergebenden Polizei trägt Internationale völlig zu Recht den Sieg davon.
Ein geradezu rührendes Gerechtigkeitsempfinden transportiert auch die titelgebende Erzählung Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich, in der ein Angestellter einer Friedhofsfirma darauf besteht, seinen Job zu kündigen, damit die alte Mrs. Gilpley ihren behalten kann. „Wo ich herkomme, nimmt ein junger Mann einer Lady nicht den Job weg“, begründet der Erzähler. Dass die Formulierung an amerikanischen Unterschichts-Slang erinnert, dabei aber mit allen Klischeevorstellungen bricht, die man mit einer solchen Sprache verbindet, wird im Titel des Bandes nicht wirklich deutlich. Insgesamt hat der Übersetzer Nikolaus Stingl Saroyans alltagsnahe, witzige und häufig betont ‚coole‘ Sprache aber sehr gut ins Deutsche übertragen.
Haben Saroyans Humor und seine lässigen Typen, die ungewöhnlichen Helden der Herzen, uns schon völlig für ihn eingenommen, dann erfahren wir aus dem Nachwort des Literaturkritikers Richard Kämmerlings noch von so manchem, das Saroyan mit seinen Figuren gemeinsam hat. Auch er musste sich – wie der Botenjunge in Der Mann, der fett wurde oder der Sänger in Die presbyterianischen Chorsänger – nach dem frühen Tod seines Vaters mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Als chronisch verschuldeter Trinker mag er seiner Familie das Leben schwer gemacht haben, zum Beispiel der Schauspielerin Carol Grace, mit der er gleich zweimal verheiratet war. Aber das große Publikum mochte seinen Habitus des Enfant Terrible und seine lapidaren Sprüche. Auch literarisch hat Saroyan sich eine bedeutende Position erobert, wie Kämmerlings deutlich macht, indem er nämlich einen besonderen künstlerischen Sound für die Zeit der Great Depression gefunden hat, ohne dabei je den für ihn typischen Optimismus zu verlieren. Seine Geschichten vermitteln einfühlsam Erfahrungen von Menschen in Not, beschwören die tröstliche Macht der Fantasie und propagieren Nächstenliebe und soziale Mobilität. Gerade heute wären ihm wieder viele Leser zu wünschen.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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