Gerechtigkeit für Klaus Mann

Valentina Savietto analysiert wichtige Erzählwerke Klaus Manns und porträtiert den Autor als Kind seiner Zeit

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielen seiner Zeitgenossen galt Klaus Mann (1906–1949) als versnobter Dandy, Sprössling aus großbürgerlichem Elternhaus, ein Hans Dampf in allen literarischen Genres. Von den Nazis aus Deutschland vertrieben, trat der Schriftsteller mit seinem Werk in der Bundesrepublik erst seit den 1970er Jahren verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die von Fred Kroll herausgegebene sechsbändige Klaus-Mann-Schriftenreihe (1976–2006) wurde zum Motor der Wiederentdeckung Klaus Manns als Repräsentant des Exils und einer sich entwickelnden Homosexuellenbewegung. Das Interesse für die biografischen und politischen Zusammenhänge wuchs in dem Maße, in dem Thomas Mann mit den Seinen zur bedeutendsten Intellektuellenfamilie des Landes avancierte.

Das Lebenswerk Klaus Manns, der mit 42 Jahren starb, das neben dem umfangreichen Erzählwerk (Romane, Novellen, Erzählungen) auch drei Autobiografien, Reiseberichte, Sachbücher, Tagebücher, Couplets, Aufsätze, Reden, Kritiken und Theaterstücke umfasst, liegt nunmehr ziemlich komplett vor. Während jedoch zunächst biografische Fragestellungen wie Generationenkonflikte oder Homoerotik im Vordergrund standen, treten erst relativ spät, und zwar ungefähr mit der Jahrtausendwende, vermehrt literaturwissenschaftliche Werkanalysen in den Fokus der Forschung. Von Anfang an hatte das erzählerische Werk Klaus Manns gegen eine Welle von Verdikten zu kämpfen. Siegfried Kracauer urteilte wegweisend 1932: „Klaus Mann mit seinem Schreibtalent schreibt das schmierige Leben einfach ab, ohne ihm irgendeine Bedeutung zu entnehmen, und fühlt sich noch wohl dabei. Geschrieben muss werden. Der Skrupellosigkeit dieses Betätigungsdranges entspricht die der Mache. Sie ist modern frisiert und erstrahlt im Glanz flüchtig aufgelesener Effekte, die in diesem Zusammenhang nur leider nicht glänzen wollen.“ Der Freund Hermann Kesten schrieb: „Er war voller nervöser Daseinslust und heimlicher Todesbegier, frühreif und unvollendet, flüchtig und ein ergebener Freund, gescheit und verspielt.“ Auch sein Vater erkannte „Raschheiten und Leichtigkeiten“, die „seinem Werk abträglich sein mögen“. Und noch Marcel Reich-Ranicki meinte: „Er war in vielen Büchern um den Ausdruck für seine Qualen bemüht. Gefunden hat er ihn nie. In keinem einzigen seiner Werke vermochte er die Diskrepanz zwischen seinen schriftstellerischen Möglichkeiten und Absichten zu beseitigen.“

Diese vernichtenden Vorgaben versucht nun Valentina Savietto in ihrer Dissertation durch eine sorgfältige Analyse von fünf repräsentativen Romanen des Autors (Der fromme Tanz, 1925, Treffpunkt im Unendlichen, 1932, Symphonie Pathétique, 1935, Mephisto, 1936, Der Vulkan, 1939) zu erschüttern. Unterstützt durch eine umfangreiche Quellenlage deckt sie die zahlreichen biografischen und kulturellen Einflüsse auf, erörtert Erzählstrategien und durchleuchtet ein dichtes und anspruchsvolles Motivgeflecht. So interpretiert sie etwa die auffallende ästhetische Variabilität der Vorexil-Werke, die manchen Kritikern als juvenile Orientierungslosigkeit erscheint, als Merkmal der Epoche und nennt Treffpunkt im Unendlichen einen durchaus avantgardistischen „Roman des Nebeneinander“, für den sie als Vorbild Virginia Woolfs Roman Mrs Dalloway ausmacht, den Klaus Mann rezensierte. Darüber hinaus dient ihr eine intermediale Fragestellung als leitende Forschungsperspektive. Diese ist hier besonders fruchtbar, weil Musik, Tanz, Malerei, Film und Theater die Hauptthemen der ausgewählten Werke darstellen, was bereits im jeweiligen Titel deutlich wird. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht jedoch die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, ein Thema, das Klaus Mann zwar dem 19. Jahrhundert entnimmt, jedoch immer stärker auf die Problematik seiner Zeit und vor allem auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bezieht.

Besonders einleuchtend fällt der Vergleich zwischen den beiden verschiedensprachigen Fassungen des Tschaikowsky-Romans aus. Nicht nur, dass hier Klaus Mann seine eigene Lebensthematik auf vielen Beziehungsebenen mit der des russischen Komponisten verbindet, erscheint der Roman vielmehr als eindrucksvolle Symbiose zweier künstlerischer Zeichensysteme, mithin als „verbale Musik“. Weniger überzeugend ist, dass die Autorin das poetologische Konzept Klaus Manns mit einer ihrer Lieblingsvokabeln, „chiffrieren“, als Chiffrierungsprozess beschreibt, was allzu schematisch anmutet. Insgesamt aber ist es Savietto in ihrer Analyse, die vielfach dem sprachlichen Muster von Beweisen, Schlüssen und Folgerungen verpflichtet ist, gelungen, die ästhetischen Qualitäten von Klaus Manns Erzählwerk gegen seine Kritiker hervorzuheben. Trotzdem kann man sich als Leser seiner Schriften des Eindrucks nicht erwehren, als habe sich der älteste Sohn Thomas Manns im Erzählerischen zu sehr im hoffnungslosen Wettbewerb mit dem Vater gesehen, den er doch, übrigens im Einklang mit der Schwester, an politischer Weitsicht deutlich übertraf, was die journalistischen Aufsätze, auf die auch Savietto zurückgreift, belegen.

Ein Wermutstropfen, der sich in die Lektüre der ansonsten material- und erkenntnisreichen Arbeit mischt, sei nicht verschwiegen. In ihrer Danksagung erwähnt die in Italien geborene Autorin zahlreiche Unterstützer und Leser. Sind diesen denn nicht die unübersehbaren sprachlichen Fehler und Holprigkeiten aufgefallen, welche das Lesen beeinträchtigen? Einverstanden, Druckfehler („Einschatzwort“ (S.319) statt „Eigenschaftswort“) enthält fast jeder Text, zumal wenn er mit dem Computer und den üblichen Ver(schlimm)besserungsprogrammen geschrieben wird. Geschenkt! Störend sind eher Überkonnotationen wie: Ein Heft, „das Klaus Mann vollkommen gewidmet ist“ (S. 15), oder: „Durch seinen Satirenroman [sic!] hat Klaus Mann einen wahrhaftigen literarischen Gipfel erreicht“ (S.15). Nicht akzeptabel ist es hingegen, wenn der Dativ allzu häufig den Genitiv ersetzt („Das ist z.B. der Fall vom Literaturwissenschaftler Friedrich Albrecht“ (S. 15), „die Entstehung vom Frommen Tanz (S. 48)) oder einen Unklarheiten der Lexik ins Grübeln geraten lassen: „Es ist daher kein Fall, dass das Teufel- bzw. Schauspielermotiv die Aufmerksamkeit der Kritik erregte“ (S. 15). Generelle Unsicherheiten zeigen sich im Gebrauch der Präpositionen: „die Anlehnung auf Goethes Faust“ (S. 273), „die gescheiterte Ehe zu Antonia“ (S. 155) oder: „seine tiefe Enttäuschung für Amerika“ (S. 382). Was bisweilen im mündlichen Umgang mit nicht muttersprachlichen Germanisten noch als eine gewisse Drolligkeit durchgehen mag, stimmt bei einer von zwei Universitäten und einem Wissenschaftsverlag angenommenen Dissertation angesichts der mangelnden Unterstützung im Wissenschaftsbetrieb eher traurig.

Titelbild

Valentina Savietto: Kunst und Künstler im Erzählwerk Klaus Manns. Intermediale Forschungsperspektiven auf Musik, Tanz, Theater und bildende Kunst.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
411 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783826065170

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