Die Liebe, ein seltsames (Sprach-)Spiel?

Colin Schatzmann stellt anhand der ‚Jagd‘ Hadamars von Laber und der ‚Minneburg‘ die ‚Metasprache der Liebe‘ vor

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Liebe ist ein ‚ewiges Thema‘, wie nicht zuletzt auch die entsprechenden Fernsehformate in der ansonsten eher abgeklärten Gegenwart erkennen lassen. Dieses Sujet war und ist aber selbstverständlich gerade auch in der Literatur immer wieder aktuell, und das gilt nicht nur im Kontext fiktionalen Erzählens, sondern auch hinsichtlich der Betrachtung auf einer Metaebene. Dass in dieser Hinsicht ‚Ratgeberliteratur‘ wohl immer schon ein gewisses Interesse zu wecken vermochte, wird etwa durch den Blick auf die Ars amandi des Ovid deutlich, und Ähnliches lässt sich durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart beobachten – wobei Qualität und Ästhetik der Textzeugen stets erkennbar unterschiedlich waren und sind.

Für das Mittelalter lässt sich hier – unter allem Vorbehalt – die Gattung der ‚Minnereden‘, wenn schon nicht explizit als ‚Ratgeber‘, so doch zumindest in Näherung, als Metagattung der Texte definieren, die die Liebe behandeln. Colin Schatzmann nimmt in der Metasprache der Liebe, seiner überarbeiteten Dissertation zu diesem Thema, zwei Texte des 14. Jahrhunderts in den Blick, von denen Hadamars von Laber Jagd vom Titel her zunächst nur bedingt erkennen lässt, worum es geht, während die Minneburg hier schon eindeutiger ist. In beiden Texten geht es – auch wenn der Autor hier verschiedene Positionen definiert sieht – um das Thema ‚Liebe‘, oder mit den Worten des Verfassers ausgedrückt: „Wie redet man über Liebe und vor allem – wie redet man über das Reden über Liebe?“

Für eine wissenschaftliche Untersuchung überraschend, steigt Schatzmann mit einem Jazzstück der 20er-Jahre – Stardust – ein, anhand dessen Text er Parameter definiert, die er in Zusammenhang mit den mittelalterlichen Texten dann zur Anwendung bringen wird. Metaphorische Aspekte wie das ‚Ich‘ des Sängers, auch die ‚Jagd‘, der besungene Ort, ein ‚kosmologisches Element‘ oder etwa auch die personale Spiegelung des Sängers mit Hinweis auf die Nachtigall werden hier vorgestellt und zu einem Erklärungs- beziehungsweise Interpretationsschema zusammengefasst. Damit werden auf aktuelle und gleichzeitig epochenübergreifende Art und Weise nicht nur die Mechanismen der Metasprache der Liebe exemplarisch dargelegt, sondern es wird eben auch ihre über den konkreten Zeithorizont der Texterstellung hinausweisende Gültigkeit deutlich gemacht.

Dies gelingt und kann nur vollumfänglich gelingen, indem ein Gegenbeleg aus dem späten Mittelalter hinzugezogen wird; und genau das tut Schatzmann mittels einer Textpassage aus der Minneburg, die in der Kontrastierung mit dem Songtext des frühen 20. Jahrhunderts die Überzeitlichkeit der entsprechenden ‚pattern‘ beziehungsweise die metaphorische Universalität der Texte zur und über die Liebe belegt. Neben diesen allein schon lesenswerten Vorüberlegungen führt der Verfasser über „Thema und Erkenntnisinteresse“ sowie den Forschungsstand zur Erläuterung seines methodischen Vorgehens und den abschließend-einleitenden theoretischen Vorüberlegungen. Damit wird gleichzeitig auch verdeutlicht, wie sehr Schatzmann die Tatsache bedauert, dass diese literarische Gattung einen längeren Zeitraum quasi im ‚Windschatten‘ der Forschung lag und erst (wieder) allmählich in der jüngeren Vergangenheit als Objekt des Interesses gewürdigt wurde.

Das vorliegende Werk stellt demgemäß eine Fortschreibung der ‚neuen‘ Minneredenforschung dar. Hier bereits ist die Stringenz der Argumentation erkennbar, die das Buch als Ganzes so angenehm zu lesen macht. Vermutlich hängt das – auch wenn derlei Perspektiven in den rigorosen fachwissenschaftlich orientierten Kreisen mitunter weniger gerne gesehen sind – damit zusammen, dass Schatzmann den Weg in die Schule gewählt hat, und mitunter ist eine adäquate pädagogische Orientierung nicht der schlechteste Weg, Fachwissenschaft darzustellen.

Zwei Texte sind es also, die der Verfasser in den Fokus stellt, und nach der lesenswerten, knapp über 40 Seiten umfassenden Einleitung wird dann zunächst Hadamars von Laber Jagd als zweiter (das heißt natürlich eigentlich erster) Hauptpunkt in den Blick genommen. Dabei wird deutlich, dass es dem Verfasser darum zu tun ist, neben dem ‚einfachen‘ Narrativ weitere Diskursebenen einzubeziehen und die entsprechenden Parameter nachzuweisen. In beiden Beispieltexten erkennt Schatzmann, dass hier mithilfe verschiedener Schreibweisen, geprägt von Klangrhetorik, Intertextualität und Metaisierung, eine eigene Metasprache gesucht und erarbeitet wird, wodurch eine Verschränkung verschiedener Diskurse und Genera erreicht werden kann.

Beginnend mit Hadamars Jagd werden die entsprechenden Aspekte dargelegt, anhand derer die vorgegebenen Leitfragen noch einmal explizit gestellt und bearbeitet werden. Bereits der Verweis auf das Zitatformat des ‚Einstiegs‘ zur Jagdhüet alweg dîn geselle! – (es handelt sich um eine hochhöfische, nicht zuletzt auch bei Wolframs von Eschenbach Texten belegte Formel) wird durch Hadamar von Laber eine Überzeitlichkeit und entsprechend epochenübergreifende Intertextualität vorgegeben, die der Verfasser dann im engeren Kontext weitergehend in den Blick nehmen wird.

Die Strukturierung dieses Vorgehens ist stringent: Mit den Unterpunkten „Textpoetologie“, „Selbstinszenierung und Rollenpluralität des Ich“ sowie dem Thema „Tradition und Meisterschaftsdiskurs“ sind die Rahmenlinien gezogen, anhand derer der Text durchleuchtet wird. Dabei zieht Schatzmann immer wieder längere Textbelege als Kronzeugen für seine Überlegungen heran und es wird deutlich gemacht, dass die Vielschichtigkeit der transportierten Bedeutungsmuster und -ebenen auch eine gewisse Selbstreferentialität mit sich bringt. Damit werden über die naheliegenden und auch zutreffenden Deutungsebenen hinaus Strukturen erschlossen, die dann eher im weiteren Sinne mit dem eigentlichen Sujet zu tun haben beziehungsweise damit – und das ist ja ein Kernanliegen der Verfassers – Meta-Verknüpfungen mit anderen Texten der Gattung ‚Minnereden‘ ermöglichen.

Dass die Jagd neben dem Kernanliegen der nach außen weisenden Liebessehnsucht (oder vielleicht erweitert ausgedrückt: ‚strategischer‘ Überlegungen zu deren Stillung) auch Momente der Selbstreflexion aufweist, gestaltet den Text in der Tat noch interessanter. Hierzu zählt ebenfalls das ‚In-die-Handlung-Dringen‘, das mit Perspektivwechseln verbunden wird, etwa wenn der Liebende, der ‚Jäger‘, der Geliebten ein Blatt aushändigt, auf das sie ihre Wünsche aufschreiben solle (do gab ich ir versiegelt ein membran […] daran so mocht sie schrîben swaz sie wolde). Der aktive Part geht hiermit (zumindest vermeintlich) an das Objekt der Sehnsucht über, was eigentlich jagduntypisch ist, aber eben die Vielfalt dieser Minnerede ausmacht. Der Verfasser operiert mit derlei Textauszügen und er liefert dazu auch die neuhochdeutsche Übertragung. Unter dem Blickwinkel eines mediävistischen Purismus ist das zwar eine Todsünde, es erleichtert andererseits insbesondere etwa Studierenden der Anfangssemester den Zugang und verweist auf die auf Vermittlung angelegte Ausrichtung des Verfassers, die ein wesentlicher und positiver Aspekt des vorliegenden Buches ist.

Dies soll gleichwohl nicht bedeuten, dass zugunsten einer (dann allerdings höchst fragwürdigen) ‚Vermittlungsvereinfachung‘ die ambitionierte und auf einen hohen wissenschaftlichen Standard des Werks ausgerichtete Sorgfalt aufgegeben wäre! Bei der Jagd etwa werden die notwendigen Parameter durchgearbeitet, die bereits erwähnten Perspektivwechsel des Textes aufgezeigt und dabei der Blick auf eine komplexe Metastruktur gelenkt, die eine Abstrahierung auch im Sinne einer komplementären Vergleichbarkeit zu anderen Minnereden ermöglicht. Im vorliegenden Falle ist es die anonym verfasste Minneburg, die in der Argumentation Schatzmanns den ergänzenden Kontrapunkt zur Jagd setzt. Hier wird allerdings zunächst auf die Diversität der Überlieferung eingegangen sowie darauf, dass der eingängige und gebräuchliche Titel des Textes erst später aufkam und die früher belegte, wohl auch ursprüngliche Bezeichnung als der minne buch durch diese griffigere Formulierung ersetzte, die dem metaphorischen Textgehalt entsprach.

Dabei ist die Minneburg womöglich ein noch erfolgreicherer Text gewesen als die Jagd, aber es bleibt sicherlich bei spätmittelalterlichen Überlieferungen immer auch die ‚Dunkelziffer‘ an verloren gegangenen Exemplaren zu berücksichtigen. Die Minneburg ist in gewisser Weise ein ‚Itinerar der Liebe‘, und einen adäquaten Aufbau weist Schatzmann dann auch nach. Die Handlung ist bereits insofern dynamisch angelegt, als ein Weg in eine Burg führt, wo dann die Minne erfahrbar gemacht wird. Dabei wird – und das ist ein Analogon zur Jagd – deutlich erkennbar, dass eine Referentialisierung auf traditionelle Stoffe erfolgt, die bisweilen sogar leicht parodistisch anmutet: Etwa dann, wenn auf das Nibelungenlied verwiesen wird (By miner trawen Niblung zyt, hi vor do ich der frawen min, gerucht zu erste ir diner sin – Während meiner treuen Nibelungen-Zeit, bevor ich erstmals begehrte, meiner Frau ein Diener zu sein), in dem zwar Liebe und Treue durchaus eine Rolle spielen, das aber kaum als ‚Minneroman‘ angesehen werden kann und konnte. Dementsprechend muss es für die Nennung eine andere Ursache geben.

Derlei Wendungen dienen natürlich, von einem zu vermutenden Unterhaltungswert abgesehen, ebenfalls dazu, ein Element der Authentizität zu generieren, das auf die von Schatzmann thematisierten Meta-Strukturen verweist. Mit der Referentialisierung derlei traditioneller Motive und Strukturen steckt unter anderem, so Schatzmann, eine Aufforderung an die Rezipienten, selbst zu interpretieren. Die vom Verfasser parallel dazu immer wieder betonte Selbstreflexivität in der Minneburg bindet demnach diejenigen, die sich mit dem Werk befassen, in den textbasierten Prozess der ‚Enthüllung‘ ein, denn es sei nicht daran gelegen zu verdunkeln, sondern aufzuklären. Ein weiterer Querbezug liegt zu Meister Egen von Bamberg vor, auf den in der Minneburg explizit Bezug genommen wird. Entgegen anderer Forschungsansätze geht Schatzmann nach einer deduktiven Indizien-Beweisführung davon aus, dass Egen, dessen Texte dann vor der Minneburg verfasst worden wären, nicht als ältere Autorität herangezogen worden, sondern selbst Autor der Minneburg sei. Anhand längerer Textpassagen werden dann diese Überlegungen weiter fundiert, wie auch die Metaebenen der Minneburg beleuchtet werden.

Wichtig ist dem Verfasser, dass Jagd und Minneburg nicht nur thematisch-textgattungsbezogen in einen Kontext gehören, sondern tatsächlich aufeinander Bezug nehmen, so dass beide auch Teile eines zeitgenössischen poetologischen Diskurses sind. Die entsprechenden Bezüge und Gegenbezüge werden anhand der Beispiele und der damit verbundenen Argumentation deutlich gemacht. Dass dies gelingt und dabei auch noch anregend zu lesen ist, scheint mir einer der wesentlichen Vorzüge des Werkes zu sein.

Bei aller wissenschaftlichen Seriosität kann kein ‚Gewöhnungseffekt‘ aufkommen. So ist allein die Vorgehensweise, in der Einleitung einen Song des frühen Jazz als erste Matrix vorzustellen und daraus bereits weitergehende Aspekte abzuleiten, als geradezu genial zu bewerten. Natürlich bietet das Meta-Sujet ‚Liebe‘ hier eine Chance, die bei anderen mittelalterlichen Textsorten beziehungsweise Thematiken nicht unbedingt gegeben wäre, aber dies ist genau die Form von ‚Eyecatcher‘, die mitunter anderen Untersuchungen einfach fehlt. Colin Schatzmann hat insofern den Vorteil auf seiner Seite, als er, wenngleich auf eher indirektem Wege, mit dem Phänomen ‚Liebe‘ ein nicht nur literaturgeschichtlich interessantes und relevantes Thema ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt. Eine umfangreiche Bibliographie rundet die Untersuchung ab, die sicher nicht nur frisch Verliebte in ihren Bann schlagen wird.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Colin Schatzmann: Die Metasprache der Liebe. Poetologische Implikationen in Hadamars von Laber ‚Jagd‘ und in der ‚Minneburg‘.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2018.
347 Seiten, 75,95 EUR.
ISBN-13: 9783034332033

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