Wie haben sich die frühchristlichen Griechen und Römer die Welt vorgestellt?
In „Cosmographia Christiana“ beantwortet Frank Schleicher diese Fragestellung unter Berücksichtigung von mehr als 50 antiken Autoren
Von Salvatore Martinelli
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Verbindung zwischen Kosmologie und Geographie erlebte in den vergangenen Jahren einen wahren Aufschwung, der sich über sämtliche Zeitepochen erstreckt. Besonders der interdisziplinäre Forschungsansatz in diesem Bereich eröffnet Zugänge zu gesellschaftlichen, kulturellen und naturwissenschaftlichen Fragestellungen. Im Rahmen der hier vorliegenden Dissertation an der Jenaer Universität von Frank Schleicher ist dieses Thema gleichfalls zum Gegenstand der Arbeit erhoben worden und möchte im Wesentlichen zwei Anforderungen gerecht werden: Zum einen handelt es sich um eine Darstellung zur Entwicklung und Tradition einer von christlichen Autoren der Spätantike erwachsenen Weltanschauung in über 700 Jahren. Daneben zielt der Text darauf ab, als Nachschlagewerk dem Leser schnelle und präzise Aussagen zu christlichen Autoren beziehungsweise deren Schulen anzubieten, die sich aus drei thematischen Schwerpunkten zusammensetzen: einerseits aus dem griechischen Kontext, der sich nochmals in West und Ost aufteilt, andererseits aus dem römisch-christlichen Kontext des Okzidents.
Statt einer Einleitung entschied sich der Verfasser, eine Einführung in die „Naturphilosophischen und Wissenschaftlichen Grundlagen“ vorzunehmen, und stellt dadurch dem Leser ein Handwerkszeug bereit, das sich neben den Themen Erdkugel, Geographie und Kartographie mit namhaften Autoren wie Homer, Platon, Aristoteles, Ptolemäus oder Strömungen wie den Atomisten auseinandersetzt und damit wesentliche Grundlagen heidnischer Theorien abdeckt. Beabsichtigt der Verfasser, die Differenzen zwischen der Weltanschauung von Aristoteles und Platon herauszuarbeiten, beruht dies nicht allein auf der Ablehnung der Sphärenmusik durch Aristoteles. Ein signifikanterer Kontrast zwischen beiden Autoren besteht in der Positionierung einzelner Elemente: Im Gegensatz zu Platon, der nur Erde, Wasser und Luft im sublunaren Raum ansiedelt und den weiteren Raum mit Feuer füllt, platziert Aristoteles alle vier Elemente unterhalb des Mondes.
Danach verlagert sich die Aufmerksamkeit auf die philosophische Weltanschauung der christlich-griechischen Autoren, indem der Verfasser die Schule von Alexandria im Verlauf von über 650 Jahren untersucht und sich dabei besonders mit kosmologischen und geographischen Weltbildern beschäftigt. Zur Annäherung an dieses Thema sind einzelne Schriften dieser Strömung untersucht worden, was mit Athenagoras von Athen beginnt und mit Johannes von Damaskus abschließt.
Als Resultat der Auseinandersetzung bildete sich im christlichen Gedankengut sehr früh eine eigenständige weltanschauliche Konzeption heraus, die in engem Zusammenwirken mit der Elementenlehre zur Grundlage des Weltbildes geworden ist. Der Einsatz zahlreicher Illustrationen erleichtert sowohl das Erfassen einzelner Transformationsprozesse als auch ein schnelles Erschließen zusammenhängender Weltbilder. Dem Verfasser ist der Nachweis einer engen Verbindung zwischen christlicher Lehre und paganer Philosophie gelungen, die sich spätestens mit der Wende vom fünften zum sechsten Jahrhundert zunehmend zu verzahnen beginnt. Zu betonen ist hierbei insbesondere die systematische und übersichtliche Gliederung der einzelnen Unterabschnitte, wodurch gewisse Themenschwerpunkte sowie Autoren aus unterschiedlichen Epochen ohne Vorkenntnisse erschlossen werden können, was sich zum Wohlgefallen des Lesers auch durch die nachfolgenden Kapitel zieht.
Ein weiterer Gegenstand von Schleichers Untersuchungen ist die Entwicklung von der Erdkugel zur flachen Erde. Den Ausgangspunkt hierzu bildet der Bibelabschnitt (Jesaja 40,22), der die Weltanschauung eines Zeltes vermittelt, was die Grundlage der antiochenischen Tradition konstituierte. Im ersten Unterabschnitt bietet der Verfasser eine Begründung der Abkehr vom Erdkugelmodell, das sich auf Bischof Theophilos von Antiochien stützt. Diese Annäherung ist eine notwendige Grundlage zum Verständnis der fortschreitenden argumentierenden Betrachtungsweise der übrigen Autoren der östlichen Schule.
Hieran schließt sich in gewohnter Form eine Vorstellung verschiedener Autoren und deren Schulen an, die ihre Ansichten in schriftlicher Weise darlegten, was letztendlich um 550 in der Konzeption einer flachen Erde des Kosmas Indicatopleustes gipfelte. Seine Konstruktion fand nicht nur in zwölf Büchern Berücksichtigung, sie wurde auch kartographisch aufgearbeitet und avancierte zum Inbegriff der Kosmologie der syrisch-antiochenischen Tradition. Der Verfasser setzt auch hier geschickt auf Abbildungen, die dem Leser den Zeltbegriff des Kosmos verdeutlichen, was bei einigen Textstellen der vorgestellten Autoren durchaus irritierend anmuten mag.
Im letzten Kapitel behandelt der Verfasser schwerpunktmäßig die kosmologischen Vorstellungen der römischen Christen im lateinischen Westen und geht dabei wie in den vorangegangenen Kapiteln systematisch vor. Im Zuge der Erörterungen kristallisiert sich eine unterschiedliche Perspektive zwischen römischen und griechischen Christen heraus: So behandelten etwa die Griechen vornehmlich kosmologische Fragestellungen, wohingegen sich die Römer vielmehr praktisch und intensiv mit geographischen Gegebenheiten auseinandersetzten, die nach Auffassung des Verfassers gerade bei Augustinus und Orosius ihren Höhepunkt fanden. Dies wurde in der kartographischen Ausführung des Anonymus von Ravenna sowie der Weltkarte des Beatus implementiert, damit der Leser das Geschriebene besser nachvollziehen und gleichzeitig mit dem Geist in ferne Länder reisen konnte.
Doch gerade kartographische Räume leisten weit mehr als reine Wiedergabe oder Abbildung. Sie sind gemäß ihrem jeweiligen kulturellen System kodiert, wodurch sie sich hervorragend zur Dechiffrierung von Ordnungssystemen und Weltbildern anbieten. Die Annäherung an diese Thematik ist seitens des Verfassers unbefriedigend, denn sie beruht weitgehend auf veralteten Forschungsmeinungen, wobei aktuelle Forschungsergebnisse zur Kartographie komplett unberücksichtigt bleiben. Zudem hat sich ein kleiner Fehler in den Text eingeschlichen, da der Verfasser anscheinend mit Abbildung 24 auf Seite 380 auf die Beatuskarte referieren will, dort aber einen Ausschnitt der Tabula Peutingeriana abbildet. Stattdessen findet der Leser in Abbildung 25, was er eigentlich erwartet.
Als Zusammenfassung sollen die zwei geforderten Ansätze besprochen werden, nach denen zum einen auf die Entwicklung und Tradition von Weltbildern eingegangen sowie zum anderen ein Nachschlagewerk vorgelegt werden soll.
Was den ersten Punkt anbelangt, gelingt es dem Verfasser, im historischen Zusammenhang – gerade in den unterschiedlichen Ballungsräumen der verschiedenen Denkansätze der christlich-griechischen Autoren des Westens und des Ostens, die sich mit der Bibelexegese sowie mit dem eigentlichen Wortlaut der Bibel auseinandersetzen und zwei ganz verschiedenartige Weltansichten herausarbeiten – eine profunde Entwicklungsgeschichte zu erstellen. Der als ambitioniert zu bezeichnende letztgenannte Punkt erfüllt die Erwartungshaltung des Rezensenten allerdings nicht vollständig. Die klare und gute Struktur bietet zwar einen schnellen Zugriff auf Autoren und deren Schulen, doch wird das positive Gesamtbild mitunter durch Irrtümer beeinträchtigt. Ebenso wäre eine Unterteilung in ein Personen- und Sachregister sinnvoll gewesen, hätte das Buch optimal ergänzt und als Nachschlagewerk zweckmäßiger gestaltet. Übrig bleibt eine Arbeit, die die eigens gestellten Anforderungen zum Teil gut erfüllen und dem interessierten Leser somit einen Einstieg in die Thematik bieten kann.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
|
||