Stereotype Konstrukte von ethnischer Alterität bei Stefan Zweig
Bastian Spangenberg fordert in „Zweigs Andere“ eine kritische Neulektüre der Schriften Zweigs
Von Horst Schmidt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) war bereits zu Lebzeiten einer der international auflagenstärksten Autoren deutscher Sprache und ist auch acht Jahrzehnte nach seinem Freitod im brasilianischen Exil noch ein in aller Welt viel gelesener und geschätzter Autor. Zweigs Ansehen zu Lebzeiten und sein anhaltender literarischer Nachruhm beruhen vor allem auf seinen mitreißenden biographischen Romanen und Essays. Werke wie die Sternstunden der Menschheit, die Schachnovelle oder seine Autobiographie Die Welt von gestern zählen zum Kanon der Weltliteratur.
In der Sekundärliteratur zum polyglotten Stefan Zweig wird häufig dessen Kosmopolitismus betont, gerne preist man den im habsburgischen Wien sozialisierten deutschsprachigen Schriftsteller jüdischer Konfession als großen Europäer. Dabei wird oftmals übersehen, dass die erste Hälfte des 20. Jahrhundert in Europa maßgeblich von Nationalismus, Kolonialismus, Eurozentrismus und Rassismus geprägt gewesen ist. Es wäre naiv zu glauben, dass diese ideologischen Strömungen ohne Wirkung auf Zweigs Weltbild und auf seine literarische Produktion gewesen sind.
In Bastian Spangenbergs als 20. Band der „Schriftenreihe des Stefan-Zweig-Zentrums Salzburg“ erschienener Monographie über „Zweigs Andere“, der leicht gekürzten deutschen Fassung der 2021 in Paris vorgelegten französischsprachigen Dissertation des österreichischen Germanisten, stehen die Darstellungen und Konstruktionen von (ethnischer) Alterität in Zweigs Werken im Fokus.
Der Autor sieht sich methodologisch in der Tradition der postkolonialen Studien und der literaturwissenschaftlichen Alteritäts- und Identitätsforschung. Seine Untersuchung ist mithin im Großen und Ganzen ein Beitrag zur komparatistischen Imagologie, auch wenn Spangenberg es leider unterlässt, sich mit deren Positionen in der gebotenen Ausführlichkeit auseinanderzusetzen. Methodologische Gewährsleute für seinen postkolonialen literaturwissenschaftlichen Zugang zu Zweigs Auseinandersetzung mit seiner eigenen Identität und seinem Umgang mit ethnisch „Anderen“ sind für den Autor insbesondere Tzvetan Todorow, Clemens Ruthner, Andrea Polaschegg und Edward Said.
In der Einleitung seines Buches erläutert Spangenberg knapp seine Methodik und referiert den Forschungsstand. Richtig hebt er unter anderem hervor, dass ethnische Eigen- und Fremdbilder (in der Terminologie der Imagologie würde man von Auto- und Heteroimages sprechen) eines Autors sich stets gegenseitig bedingen und somit gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille sind. Wer also verstehen will, wie Zweig „Andere“ (bzw. Fremde) gesehen und dargestellt hat, muss auch nach Zweigs Selbstbildern bzw. seinem ethnischen Selbstverständnis fragen.
Im ersten Kapitel zeigt der Autor auf, welche „status-groups“ für Zweigs Selbstverständnis von Relevanz waren: Wiener, Österreicher, „kulturell Deutscher“, Europäer, Jude.
Das zweite Kapitel widmet sich Zweigs Darstellungen der kolonialistischen Vergangenheit Europas, die vor allem in seinem Buch über Magellan in einem positiven Licht dargestellt werde.
Das dritte Kapitel widmet sich Zweigs Darstellungen des „Absolut-Anderen“, mithin vornehmlich journalistischen Texten, in denen Zweig sich mit der arabisch-islamischen Welt, Indien und Südostasien sowie Afro-Amerikanern auseinandersetzt. Spangenberg kann aufzeigen, dass Zweig sich hierbei oft rassistischer und kolonialistischer Klischees bedient, die den „großen Humanisten“ und „Weltbürger“ Zweig als von typischen ethnischen Vorurteilen seiner Zeit geprägten „weißen“ Europäer zeigen.
Im vierten Kapitel wendet sich Spangenberg Zweigs Darstellung der „relativ Anderen“ (US-Amerikaner, Russen, Brasilianer) zu. Er kann nachweisen, dass Zweigs diesbezügliche nationale Images wenig originell und oft sehr stereotyp sind. Vergleiche mit den US-, Russland- und Brasilienbildern anderer Schriftsteller seiner Zeit unterstreichen Zweigs Festhalten an traditionellen Nationalstereotypen und sein Denken in obsoleten völkerpsychologischen Kategorien.
Als Fazit seiner Analyse der Schriften Zweigs durch die postkolonialistische Brille kommt Spangenberg zum ernüchternden Fazit, dass Zweig im Rahmen seines Alteritätsdiskurses in der Regel deterministisch argumentierte und häufig bestehende Stereotypen unterstrich. Spangenberg wörtlich:
Zweigs Fremdheitsdarstellungen deuten darauf hin, dass die Kenntnis der Fremde oft an der Oberfläche verharrte und der Schriftsteller sich damit begnügte, Stereotype wieder- und weiterzugeben. Stereotype, die auch vom imperialistischen Kontext geprägt worden waren […]. So hat Zweig, der die humanistischen Ideale der Aufklärung hochzuhalten vorgab, diese durch seine imperialistisch gefärbten Darstellungen selbst unterminiert. […] Immer wieder waren Zweigs Darstellungen nicht nur stereotypisierend, sondern auch deterministisch. Mit anderen Worten: Fremdheit wurde als unveränderbar dargestellt, Inder, Algerier, Russen würden für immer fremd und inferior sein.
In Anbetracht dessen kann man Spangenberg nur zustimmen mit seiner Forderung nach einer kritischen Re-Lektüre des umfangreichen Werkes von Stefan Zweig.
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