Kein Kotau vor Islamisten
Susanne Schröter nimmt in „Politischer Islam, Stresstest für Deutschland“ die deutschen Islamverbände unter die Lupe
Von Sylke Kirschnick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs gibt Bücher, auf die man ungeduldig gewartet hat, weil ihr Gegenstand längst einer Klärung bedurfte. Susanne Schröter hat mit „Politischer Islam, Stresstest für Deutschland“ ein solches Buch geschrieben. Wie der Titel verrät, geht es nicht um Muslime und auch nicht um die spirituelle Seite der Religion. Unter „politischem Islam“ versteht die Leiterin der Frankfurter Forschungsstelle „Globaler Islam“ einen religiös fundierten „Gegenentwurf“ zur westlichen Moderne mit ihrem Säkularitätsprinzip sowie ihren individuell einklagbaren Freiheits- und Bürgerrechten. Statt letzterer sollen Islamische Werte und Normen die Gesellschaft, die Politik, die Justiz und die Kultur bestimmen. Das bedeutet, dass sämtliche Lebensbereiche nach Maßgaben religiöser Regularien gestaltet werden, die festlegen, was erlaubt oder verboten ist, wie man sich kleiden soll, wie die Geschlechter einander begegnen sollen und welchen Stellenwert Frauen im privaten und öffentlichen Raum einnehmen dürfen. Im Zugriff auf den ganzen Menschen besteht der totalitäre Charakter des politischen Islam, den Schröter klar benennt.
Man könnte einwenden dass der Islam anders als das Judentum und das Christentum, die ebenfalls fundamentalistische Strömungen aufweisen, keine Trennung zwischen weltlicher und religiöser Sphäre kennt und folglich das Attribut „politisch“ eine Tautologie darstellt. Doch zeigt die innermuslimische Islamkritik, dass eine Säkularisierung unter Muslimen nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Als Ethnologin legt Schröter das Augenmerk auf die Religionspraxis. Darum verwundert es nicht, dass sie sich die Islamverbände in Deutschland genauer anschaut, die zusammengenommen lediglich etwa 15 % der hier lebenden Muslime repräsentieren. Wohl nur wenige werden die Akteure und die politisch-ideologische Agenda der islamischen Dachorganisationen, Vereine, Kulturzentren und Moscheegemeinden kennen, geschweige denn die auch durch wiederholte Umbenennungen immer komplizierter gewordene, bundes- und europaweite Netzwerkstruktur des politischen Islam. Schröters Quellen sind eigene Forschungen, Interviews, Gespräche, ferner islam-, politik- und sozialwissenschaftliche Studien, Verfassungsschutzberichte, publizistische Arbeiten und die Berichterstattung in Qualitätsmedien. In zehn übersichtlich gegliederten Kapiteln behandelt die ebenso schnörkellos wie differenziert argumentierende Frankfurter Wissenschaftlerin den Aufstieg des politischen Islam auf globaler wie auf (west-)europäischer Ebene. Schröter belegt, wie die Islam-Funktionäre die liberale Demokratie der Bundesrepublik erfolgreich herausfordern.
Globale und lokale Verflechtungen
Um die Wechselwirkungen beider Ebenen zu beschreiben, umreißt Schröter maßgebliche historische und aktuelle Entwicklungen in der islamischen Welt von Saudi-Arabien über den Iran bis hin zur Türkei und Indonesien. 1979 war ein Schlüsseljahr: Im Iran hatten Ajatollah Chomeini und seine Anhänger eine Theokratie (Gottesstaat) errichtet, im saudischen Mekka wurde die große Moschee durch Islamisten besetzt und in Afghanistan mobilisierte der Einmarsch sowjetischer Truppen einheimische Mudschaheddin (Gotteskrieger) sowie internationale Dschihadisten wie den Palästinenser Abdallah Azzam oder den Saudi Osama bin Laden, der das Terrornetzwerk Al-Qaida ins Leben rief. In der Türkei begründete Necmetin Erbakan – der Mentor Recep Tayyip Erdogans – in den siebziger Jahren die islamistische Milli-Görüs-Bewegung, später mehrere islamistische Parteien und von einer von ihnen spaltete sich im August 2001 die heutige Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) Erdogans ab. Sie wiederum steht der im Jahr 1928 in Ägypten von Hassan al Banna begründeten antidemokratischen und antisemitischen Muslimbruderschaft nahe, die als Initiator des modernen politischen Islam gelten kann. Wahhabismus und Salafismus bilden historisch ältere Formen des islamischen Fundamentalismus, üben aber heute international einen vergleichbar verheerenden Einfluss aus wie die Bruderschaft. Mit ihr kooperieren sie seit 1962 in der „Islamischen Weltliga“ (gegründet gegen den sowjetischen Einfluss und den Panarabismus in Nahost). Schröters Aufbereitung dieser komplexen Verzweigungen ist für die Leserschaft ausgesprochen hilfreich, zumal diese fundamentalistischen Strömungen in der islamischen Verbände- und Vereinslandschaft der Bundesrepublik wiederkehren. Was sie bei aller Verschiedenheit eint, hat Schröter gut belegt: Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Judenhass, der Hass auf die westliche Welt, anders gesagt, die Gegnerschaft zur rechtsstaatlich verfassten demokratischen Ordnung und zur offenen, pluralen Gesellschaft. Trotz gegenteiliger Beteuerungen und Lippenbekenntnisse ziehen die Islamverbände das religiöse Regelwerk der Scharia dem bundesrepublikanischen Grundgesetz vor, das sie (ähnlich den Rechts- und Linksextremisten) mit der Verabsolutierung der positiven Religionsfreiheit nur taktisch und strategisch zu ihren Gunsten auslegen, sonst aber ablehnen, weil es ihre totalitären Ansprüche einschränkt. Schröter gelingt es, das zu verdeutlichen.
Verbands- und Vereinslandschaft des politischen Islam in Deutschland
Etabliert haben sich Islamisten Schröter zufolge in der Bundesrepublik bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Islamische Zentrum München entstand ursprünglich als Moscheebau-Projekt vor allem für die muslimischen SS-Veteranen aus Zentralasien, die mit ihren deutschen Waffenbrüdern gemeinsam auf dem Balkan gekämpft und den Warschauer Aufstand niedergeschlagen hatten. Konnte der Münchner Moscheebau erst in den siebziger Jahren realisiert werden, so dominierten das Zentrum seit Ende der fünfziger Jahre vor allem ägyptische Muslimbrüder und deutsche Konvertiten, die das Schlagwort von den Muslimen als den neuen Juden verbreiteten und die Behauptung in Umlauf brachten, Muslime würden in Deutschland verfolgt und unterdrückt. Rassismus- und Islamophobievorwürfe – sie trafen im Jahr 2019 auch die Buchautorin – waren und sind ein altes Kritikabwehrmanöver des politischen Islam. Wie die später entstandenen islamischen Zentren in Aachen – wo vor allem syrische Muslimbrüder das Sagen hatten –, in Köln, Nürnberg oder Erlangen, ist die Münchner Einrichtung im „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) organisiert, der als Dachverband gleichfalls den Muslimbrüdern nahesteht. Der mitgliederstärkste Verein des „Zentralrats“ ist ATIB, eine türkische islamistisch-nationalistische Vereinigung, die aus den „Grauen Wölfen“ hervorging, mithin den türkischen Rechtsextremisten zuzuordnen ist, und der wie die Muslimbrüder und das Münchner Zentrum vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Beides gilt auch für das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), dessen Leiter immer der amtierende Stellvertreter des Obersten Revolutionsführers im Iran ist. Es betreibt die Imam-Ali-Moschee an der Außenalster, hat den Dachverband der Gemeinschaft der Schiiten in Deutschland gegründet und die jährlichen Al-Quds-Märsche gegen den Staat Israel in Berlin organisiert. Als Mitglied der Hamburger Schura, dem Rat der islamischen Gemeinden, ist das Zentrum offizieller Partner des Hamburger Senats und ausgezeichnet in der SPD vernetzt.
Mit dem Verein der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) hat auch Erbakans Bewegung Mitte der neunziger Jahre in Deutschland Fuß gefasst. Lange war der Verein ein Fall für den Verfassungsschutz und zählt heute zum Netzwerk Erdogans in der Bundesrepublik. Milli Görüs ist eng verbunden mit der DITIB, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde Dyanet, von welcher sie ihre Imame, die Inhalte ihrer Freitagspredigten, die nationalistische Propaganda, das Liebäugeln mit dem Dschihadismus (einschließlich IS) sowie das militaristische Kulturprogramm bezieht. Ihr Ziel ist laut Schröter die Segregation und Desintegration ihrer Mitglieder aus der deutschen Gesellschaft. Die große Sympathie für Terrorgruppen wie die Hamas teilt sie mit der ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Neuköllner Begegnungsstätte (NBS), die eine überwiegend von palästinensischen Muslimen besuchte Moschee betreibt. Ihr Schachzug, sich vom Antisemitismus zu distanzieren, um desto offensiver den Antizionismus zu predigen, ist eine in Deutschland jahrzehntelang eingeübte, gut funktionierende judenfeindliche Propagandamasche. Schröter zufolge zelebrieren alle genannten Verbände und Vereine eine in der Regel mit starken antiisraelischen Reflexen gepaarte Palästinasolidarität, die angesichts der panislamischen Orientierung wenig erstaunt. Wie die Verbände und Vereine sich und ihre Projekte finanzieren, wer als Imam predigt und Kinder unterweist, zählt zu den wichtigsten Fragen, die Schröter wiederholt aufwirft.
Scharf kritisiert Schröter Wissenschaftler wie Werner Schiffauer, Yasemin Shooman oder Wolfgang Benz für ihre Weigerung, das Segregationsbestreben und den islamischen Antisemitismus wahr- und ernst zu nehmen, womit sie dem politischen Islam Schützenhilfe leisten. Schröters unnachgiebiger Blick trifft auch die unkritische Förderpraxis und Kooperationsbereitschaft bundesdeutscher Verwaltungsbeamter und Politiker mit ausgewiesenen Islamisten auf Länder- und Bundesebene. Die Frage, weshalb von der Bundesrepublik ausgerechnet jene Akteure und Strukturen gefördert werden, die ihre Institutionen auszuhöhlen streben, mag sich auch Susanne Schröter beim Schreiben ihrer Studie auf Schritt und Tritt gestellt haben. Sie zu beantworten ist Aufgabe der Parlamentarier, auf deren Arbeitstisch Schröters Buch unbedingt gehört.
Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Judenhass, Demokratiefeindlichkeit und der Hass auf die westliche Welt stehen auch auf den Agenden von AfD, Rechtsextremisten und mit Ausnahme von Frauenfeindlichkeit und Homophobie von Linksextremisten. Zu begreifen, dass man die einen nicht durch die Förderung der anderen schwächt und in Schach hält, sondern stärkt, weil sie einander gegenseitig radikalisieren, sollte im Rückblick auf die vergangenen hundert Jahre niemandem mehr allzu schwerfallen.
|
||