Phänomen „Maschine“: Menschenfreund – Menschenfeind?

Der Einfluss der Technik im Werk Heinrich Hausers

Von Wolfgang BühlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Bühling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Und ich lausche; ich vernehme das Summen der Dynamos im Krafthaus hinter den eisendrahtdurchflochtenen Fenstern. Ich vernehme das Dröhnen des gespannten Rauches in den stählernen Röhren der Schlote, das Knirschen von Koks auf den Wanderrosten der Kessel und das Summen des Dampfes und das Pfeifen der Turbinenräder. Ich höre das alles heraus, obwohl es nur ein Ton ist, der hohe, singende Ton. […] Ich möchte eine Dynamomaschine sein mit sausendem Anker, von Strömen durchflossen, mit einem Gesang von knatternden Funken zwischen den Kohlenbürsten, sauber von blitzendem Kupfer und öligem Stahl. Schwingend mit zweitausend Touren, mit sich reißend einen Strom von Luft, Kraft empfangend und verwandelnd.

Diese Zeilen aus dem autobiographisch unterlegten Werk Noch nicht von 1932 beziehen sich – gemäß einschlägiger Forschungen des Rezensenten – auf eine nächtliche Wanderung von Hausers Notwohnung im leerstehenden Hotel Falkenthal zum Kraftwerk Schulau an der Elbe. Hausers „sechster Sinn für Maschinen“ war ihm zweifellos angeboren. In Time Was (New York 1942) schildert er eine Jugenderinnerung an ein Erlebnis als Dreizehn- oder Vierzehnjähriger auf dem Berliner Flugplatz Johannisthal:

Seine Stimme, zauberhaft weich und musikalisch, wurde sofort vom Dröhnen des Motors übertönt, als er mich zu seinem Flugzeug führte. Es war ein Albatross Doppeldecker. Er stand auf seinen Bremsklötzen, bebend wie ein Vollblutpferd. Die gespannte, glänzende, gelackte Oberfläche der Tragflächen vibrierte, der Propeller kämpfte seinen Weg wie eine Schwertklinge der aufgehenden Sonne entgegen, die Verspannungen sangen und mein Herz sang ebenfalls.

In vorliegender Dissertation untersucht Mirjam Schubert die vielfältigen Einflüsse technischer Phänomene, die immer wieder, ähnlich wie in obigen Beispielen, ihren Niederschlag in Hausers Werk fanden. Dies zeigt sich schon 1928 im Roman Brackwasser mit der Beschreibung des Maschinenraums eines Dampfschiffes, wobei der Autor zweifellos aus den Eindrücken aus seiner eigenen Fahrtzeit als Seemann in den Jahren 1922 bis 1926 schöpft. 1928 erschien auch das Reclam-Bändchen Friede mit Maschinen, das unter anderem eine Reihe von zuvor in der Frankfurter Zeitung abgedruckter Beiträge enthält. Hauser wirbt eingangs mit dem Satz: „Wir wollen zeigen, daß der feindliche Gegensatz Mensch–Maschine im Grunde ein künstlich konstruierter Gegensatz ist, eine Fiktion.“

Die Autorin bringt zunächst eine Übersicht zur literaturgeschichtlichen Forschungslage zu Hauser, wobei dargelegt wird, dass der zeitliche Schwerpunkt der Befassung mit dessen Werken in den 1970er und 1980er Jahren lag. Daran anschließend werden, sozusagen in Form von Kurzrezensionen, diejenigen Werke Hausers vorgestellt, die Gegenstand der Untersuchung sind. Hier finden sich sowohl fiktionale als auch faktuale Titel. Fast 50 Seiten umfasst der Abschnitt Leben und Arbeiten im zeit- und literaturgeschichtlichen Kontext, in dem unter anderem die Problematik von Hausers publizistischer Tätigkeit im Dritten Reich bis zu seiner Emigration 1938 angesprochen wird. Interessant ist, dass im Rahmen dieser literaturwissenschaftlichen Betrachtungen auch Hausers multimediales Wirken unter Einschluss der fotografischen und filmischen Produktionen eine Würdigung findet.

Der Kernbereich der Arbeit beginnt mit einer akribischen statistischen Untersuchung darüber, welche Arten von Maschinen und Fahrzeugen in den einzelnen, von der Verfasserin bearbeiteten Werken vorkommen. In den folgenden Abschnitten werden danach kenntnisreich und unter zahlreichen Zitierungen aus Hausers Werken seine Beziehungen zum Phänomen Maschine beleuchtet. Das Kapitel Die Maschine als Mittel zum Zweck setzt den Schwerpunkt auf die Industrieliteratur, auf die er in den 1930er Jahren auswich, um nicht, wie er es selbst einmal formulierte, die vor der Nazi-Führung geforderte „Blut und Boden-Literatur“ schreiben zu müssen.  Der Abschnitt Die Maschine als Kunstwerk fokussiert Hausers Sehweisen als Reporter, der die Welt „vom Auge her“ begreift. Die „Verlebendigung“ von Maschinen durch Analogien und Metaphern bei Hauser wird unter der Überschrift Die Maschine als Kreatur angesprochen. Ein typisches Beispiel findet sich im Titel des 1951 erschienenen, im Auftrag der Opelwerke verfassten Bands Bevor dies Stahlherz schlägt.

In ihrer Schlussbetrachtung erwähnt Schubert, dass einschlägige Texte aus Hausers Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften – wobei seine Artikel in der Frankfurter Zeitung wohl besonderes Gewicht hätten – nicht in die Untersuchung einbezogen wurden.

In vorliegender Arbeit wurde ein wichtiger Aspekt in Hausers Werk, der bisher nur en passant immer einmal wieder berücksichtigt wurde, eingehend untersucht. Es ist zu hoffen, dass Mirjam Schuberts aktuelle Publikation die Diskussion um Hausers Werk neu beleben wird. Dabei wird es der „schwierige Mensch“ Hauser der Literaturwissenschaft allerdings, wie in der Vergangenheit, nicht einfach machen. Die Widersprüchlichkeit, die in seiner Biographie dokumentiert ist und die sich in seinen Werken widerspiegelt, lässt, wie es im Klappentext der vorliegenden Publikation heißt, eine „vereinfachende Kategorisierung“ nicht zu.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Mirjam Schubert: Das Verhältnis von Mensch und Maschine im Werk Heinrich Hausers.
Peter Lang Verlag, Berlin 2021.
290 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783631821671

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