Wie ist der Rechtsruck zu erklären?

Markus Metz‘ und Georg Seeßlens Überlegungen zum politischen Kulturwandel

Von Felix BreuningRSS-Newsfeed neuer Artikel von Felix Breuning

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht erst seit der PEGIDA-Bewegung und den Wahlerfolgen der AfD streiten sich Publizistik und Sozialwissenschaft über die Frage, woher der Aufwind rechter Politik in Deutschland und Europa stammt und wohin er führen kann. Nun haben Markus Metz und Georg Seeßlen zu dieser Frage einen Band vorgelegt. In der unnachahmlichen Seeßlen’schen Art der Kulturkritik sammeln, verknüpfen und assoziieren sie eine Fülle an Material und Thesen. Wer eine ihrer zahlreichen Schriften gelesen hat, weiß, welches blühende Dickicht einem dort begegnet. Hier ist Vieles, aber keine Ordnung oder gar abschließende Klärung zu erwarten.

Anhand verschiedener, letztlich unsystematisch ausgewählter Momente der gegenwärtigen Rechtsentwicklung entfalten die Autoren ihren Ideenreichtum. Unter anderem geht es um nach rechts wandernde linke Intellektuelle, theoretische Erklärungsversuche des Rechtspopulismus, gesellschaftliche Verblödung und rechte Ideologie in der Esoterik. Zusammengehalten werden die Fragmente von der Grundannahme, der Rechtsruck sei vor allem dem Übergang vom sozialstaatlich „gebremsten, demokratisch-liberalen, aufklärerisch gezügelten Wohlfahrtskapitalismus“ zum „anarchisch-deregulierten ‚neoliberalen‘ Kapitalismus“ geschuldet. Nicht aber diese These, sondern das Bekenntnis zum Fragment ist die größte Stärke des Buches. Keine akademische Fülle mit absichernden Zitaten und Bezügen musste hier entstehen, auch keine globale oder historisch umfassende Perspektive auf die rechte Konjunktur. Aus dieser Freiheit heraus konnten Seeßlen und Metz mit gutem Gespür Beobachtungen über Brüche und Widersprüche in der Inszenierung und dem Verständnis von rechter Politik anhäufen. So zeigen sie etwa ausgehend von den Volksmusik-Sendungen im Stile Karl Moiks, dass rechter Populismus sich keineswegs in einer bloßen Ablehnung der Globalisierung erschöpft, sondern gerade eine Globalisierung der Provinzialität betreibt und damit vielleicht die erfolgreichste Strategie besitzt, um ökonomische Globalisierung ideologisch abzustützen. Diese Art deutender Beobachtungen hält sicher auch für Kenner der einschlägigen Diskussionen um Rechtspopulismus und Rechtsextremismus etwas Neues bereit.

Aber die unsystematische Fülle hat ihren Preis. Während eine These auf die andere folgt, wird nicht eigentlich argumentiert, sondern meist nur vorläufig gedeutet. Dem wohlwollenden Leser können die Deutungen Ausgangspunkte für weitere Überlegungen und genauere Untersuchungen sein. Dem kritischen Leser aber wird stellenweise wenig geboten, auf das er sich argumentativ stützen könnte. Dafür wären gelegentlich Rückgriffe auf ältere Analysen produktiv gewesen, etwa auf die klassischen Untersuchungen Leo Löwenthals über die Propaganda der „falschen Propheten“ oder Theodor W. Adornos über die „autoritäre Persönlichkeit“. Die Erklärungen rechter Widersprüchlichkeit geraten mitunter selbst widersprüchlich oder enden etwas zu häufig damit, „Paradoxien“ zu konstatieren, wo eine genauere Analyse nötig wäre. Auch einige begriffliche Unklarheiten tragen eher zur weiteren Verwirrung bei. So wird etwa der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen als „früher Rechtspopulist“ bezeichnet. Dem „Konzern- und Finanzmarktkapitalismus“ attestieren die Autoren rundheraus „Stalinismus“. Und wenn Metz und Seeßlen am Ende des Buches alle Hoffnungen in die „demokratische Zivilgesellschaft“ setzen, bleibt die Frage offen, inwiefern diese nicht selbst vom „Rechtsruck“ betroffen ist.

Schließlich kann bei allem Lob des Unabgeschlossenen doch auch die Auswahl der untersuchten rechten Ideologien und Strömungen in Zweifel gezogen werden. Es erscheint etwa fragwürdig, dass die Autoren rechten Terrorismus beinahe ausschließlich anhand des völkischen NSU und des christlichen Kreuzrittertums Anders Breiviks behandeln, dem islamischen Fundamentalismus und Terrorismus dagegen nur Randbemerkungen widmen. Müsste nicht auch der politische Islam als Teil eines „Rechtsrucks“ in Europa interpretiert werden? Und entsprechend auch eine dezidierte Analyse und Kritik dieser Strömungen von links formuliert werden? Aus Seeßlens und Metz‘ Andeutung, dass rechte Islamfeindschaft zu einem Großteil einfach den eigenen Neid auf repressive Gemeinschaften und reaktionäre Geschlechterverhältnisse verbergen könnte, folgt leider nichts. Hier zeigt sich eine Schwäche des Kompilierens: Verschiedenes steht nebeneinander und behauptet Ähnlichkeit oder gar Verwandtschaft, wo es gerade auf die Spezifik ankäme. Es bleibt der aufmerksamen Lektüre überlassen, nicht jede solcher Wendungen unbesehen mitzugehen, sondern das viele Produktive und Geglückte weiterzuverarbeiten.

Titelbild

Markus Metz / Georg Seeßlen: Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels.
Bertz + Fischer GbR, Berlin 2018.
237 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783865057471

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