Showdown auf der Loreley

In „Menschenfischer“ ermittelt Jan Seghersʼ Frankfurter Kommissar Robert Marthaler in einem 15 Jahre alten Fall und bekommt es mit einem gefährlichen Menschenhändlerring zu tun

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Pseudonym Jan Seghers veröffentlicht der in Frankfurt am Main lebende Schriftsteller, Kritiker und Essayist Matthias Altenburg seit 2006 Kriminalromane. Im Mittelpunkt seiner mit Menschenfischer nun schon auf sechs Bände angewachsenen Buchreihe steht der Frankfurter Hauptkommissar Robert Marthaler. Der ist akribisch, was den Job, glücklos, was die Liebe, und gelegentlich ein bisschen schroff, was sein Auftreten gegenüber Vorgesetzten und all jenen betrifft, die sich ihm bei seinen Ermittlungen – aus welchem Grund auch immer – in den Weg stellen. Unsympathisch freilich ist er nicht. Politisch korrekt auch nicht immer. Doch seine Ermittlungserfolge, die sich hauptsächlich genauen Szene-, Mentalitäts-  und Ortskenntnissen sowie einer guten Portion Intuition verdanken, schützen ihn immer wieder vor allzu heftiger Kritik.

Sein sechster Auftritt führt Seghersʼ Helden im ersten Teil zunächst zu einem alten Kollegen in die französische Kleinstadt Marseillan. Rudi Ferres hat sich dort nach seiner Pensionierung niedergelassen, arbeitet aber weiterhin besessen an dem Fall, der ihm nacheinander seinen exzellenten Ruf, Ehe und Familie sowie letztlich auch seine bürgerliche Existenz gekostet hat. Denn trotz 150.000 Seiten Papier in mehr als 300 Aktenordnern, trotz einer Tag und Nacht arbeitenden Sonderkommission mit mehr als 140 Mitgliedern und trotz ständiger Präsenz in den Medien – der bestialische Mord an dem 1998 13-jährigen Tobias Brüning konnte nie aufgeklärt werden. „Ausermittelt“ hieß es schließlich im Fachjargon, als alle Zeugen befragt, sämtliche Verdächtigen durchleuchtet, hunderte von Spuren verfolgt und unzählige Hypothesen widerlegt worden waren.

Allein Ferres hat nicht aufgegeben. Denn als er Marthaler, der sich in den letzten beiden Bänden der Serie nachgerade zu einem Experten für die so genannten „cold cases“ gemausert hat, eines Tages überraschend kontaktiert und darum bittet, ihm am Mittelmeer einen Besuch abzustatten, verspricht er dem alten Kollegen auch aufregende Neuigkeiten im Fall Brüning. Marthalers Anwesenheit  in der Main-Metropole, wo im Vorfeld eines angekündigten Obama-Besuchs ein blutiger Anschlag auf die Gäste eines Großrestaurants zahlreiche Todesopfer gefordert hat, wäre eigentlich dringend vonnöten. Doch andererseits fühlt der Kommissar sich auch reichlich überarbeitet und von seiner immer lockerer werdenden Beziehung zu der Tschechin Teresa gestresst, sodass er der Aussicht auf ein paar Tage unter südlicher Sonne nicht zu widerstehen vermag.

Dass in Marseillan gleich nach seiner Ankunft ein hinterhältiger Mordanschlag auf ihn verübt werden wird, ahnt er da freilich noch nicht. Doch die Gespräche mit dem eigenwilligen Aussteiger über den anderthalb Jahrzehnte zurückliegenden Mord an einem Kind und das gemeinsame Studium der von Ferres in sein freiwilliges Exil mitgenommenen Aktenkopien zum Fall Tobias rüsten ihn mit dem Mut aus, sich nach seiner Rückkunft in Frankfurt noch einmal mit all den Ungereimtheiten zu beschäftigen, die rund um die alte Mordermittlung –  der Seghers übrigens den realen Mord an dem 13-jährigen Frankfurter Tristan Brübach im März 1998 zugrunde gelegt hat – aufgetreten sind.

Wie alle Romane der Reihe bringt auch Menschenfischer das Kunststück fertig, am Anfang Disparates immer enger miteinander zu verzahnen. Bis aus mehreren scheinbar unverbundenen Fällen schließlich einer wird, dessen einzelne Aspekte sich gegenseitig erklären. Dass der in einer alten Schiefergrube im Rheintal allein lebenden Biobäuerin Louise Manderscheid zur selben Zeit, als Seghersʼ Held sich in Frankreich müht, seinem arg angeschlagenen Ex-Kollegen wieder neuen Lebensmut einzuflößen, zwei Roma-Jungen zulaufen, die sie letztlich nicht vor ihren Verfolgern beschützen kann, hat nämlich sowohl mit dem 15 Jahre alten Fall Brüning als auch mit dem Anschlag in dem Frankfurter Restaurant zu tun. Und während Robert Marthaler dem Geheimnis um den Tod des 13-jährigen Tobias immer näher kommt und den Fall schließlich – anders als in der realen „Tristan“-Geschichte, in der sich der Mörder auch nach gut 20 Jahren noch auf freiem Fuß befindet – auch löst, führen ihn seine Ermittlungen andererseits auf die Spuren eines Menschenhändlerrings, der die Hilflosigkeit von Menschen, die es auf der Suche nach Schutz und einer lebenswerten Existenz nach Deutschland verschlagen hat, für seine unmenschlichen Zwecke ausnutzt.

Mit Kizzy Winterstein, Kommissarin im Polizeipräsidium Westhessen in Wiesbaden, führt Jan Seghers in in Menschenfischer übrigens eine neue Figur ein, von der man sich gut vorstellen kann, dass sie demnächst die durch den wohl endgültigen Abgang seiner langjährigen tschechischen Freundin vakante Stelle in Marthalers Privatleben einnehmen könnte. Dass der Frankfurter Autor, damit dies geschieht, seine erfolgreiche Serie fortsetzen muss, ist dafür natürlich die wichtigste Voraussetzung. An exotischen Schauplätzen für weitere krachende Romanfinale – diesmal findet der Showdown im Rheintal auf dem berühmten Loreley-Felsen statt – dürfte es freilich nicht mangeln. Also, Jan Seghers: Ans Werk!

Titelbild

Jan Seghers: Menschenfischer. Roman.
Kindler Verlag, Berlin 2017.
429 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783463406701

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