Misslungen und verzichtbar

Bina Shahs Science-Fiction-Roman „Die Geschichte der schweigenden Frauen“ ist inkonsistent und ohne Tiefgang

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie Nnedi Okorafor und andere VertreterInnen des Afrofuturismus zeigen, verstehen sich nicht nur westliche Science-Ficition-AutorInnen darauf, dystopische Zukunftswelten zu entwerfen. Das ist wenig überraschend. Zumal auch anderorts rund um die Welt Werke ähnlicher Qualität entstehen. Wer aber hätte hierzulande damit gerechnet, den dystopischen SF-Roman einer pakistanischen Autorin in Händen halten zu können, die sich zudem als Feministin versteht? Er stammt aus der Feder von Bina Shah und wurde unter dem Titel Die Geschichte der schweigenden Frauen vom Golkonda Verlag auf den hiesigen Markt gebracht.

Nach vernichtenden Kriegen, die sich vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten von der Levante über das südliche Asien hin ausdehnten, und diversen Umweltkatastrophen starben die meisten Frauen an einer Mutation des Gebärmutterhalskrebses, sodass zur Handlungszeit ein gewaltiger Männerüberschuss herrscht. Dies ist die Situation in Green City, der Hauptstadt Südwestasiens, deren diktatorisches Überwachungsregime „ebenso ungerecht wie unnatürlich“ ist. Die Herren der Stadt haben eine Gesellschaft errichtet, in der Frauen mehrere Männer heiraten müssen, unter denen sie „wie Vieh oder Waren“ aufgeteilt werden. Die Polyandrie geht mit einer strikten Unterdrückung der Frauen einher, die mit „Fruchtbarkeitsmedikamenten“ vollgepumpt werden, damit sie Mehrlinge zur Welt bringen.

Eine kleine Gruppe illegaler Frauen, „kaum ein halbes Dutzend“, hat als „rebellische Untergrundkommune“ in Panah genannten unterirdischen Gewölben außerhalb der Stadt Zuflucht gefunden. Die Anführerin dieses an sich bedeutungslosen Häufleins Illegaler hat enge, ja intime Kontakte bis in die höchsten Spitzen der Regierung, sogar zum „Vorsitzenden der Obrigkeit“. So können sie ihren Lebensunterhalt damit bestreiten, nächtens heimlich die wichtigsten Männer in Green City aufzusuchen und ihnen beim Einschlafen zu helfen, indem sie sich zu ihnen legen, ohne allerdings Sex mit ihnen zu haben. Denn eigentlich, so glaubt zumindest eine der illegalen Frauen, sehnen sich alle Männer nicht nach Sex, sondern nach einer Geborgenheit, die ihnen ihre Ehefrauen nicht geben können. Denn „der körperliche Appetit eines Mannes ist riesig, aber sein emotionaler Hunger ist grenzenlos“. Sie „brauchen“ daher „nicht unseren Körper oder unser Geschlecht, sondern unsere Liebe und unsere Fürsorge“.

Nach Margaret Atwoods Der Report der Magd und Amin Maaloufs Das erste Jahrhundert nach Beatrice ist die zugrunde liegende Idee wenig originell. Vor allem aber ist der Roman wesentlich schlechter geschrieben. Vieles wird bloß behauptet, wenig gezeigt. Außerdem ist er in vielerlei Hinsicht inkonsistent, klischeebeladen und voller Ungereimtheiten. Sowohl die Gesellschaft als auch die Handlung und die Figuren, ja selbst die den Geschlechtern jeweils zugeschriebenen Charaktereigenschaften sind in sich nicht stimmig. Dabei wird die Welt nicht einmal näher ausfabuliert und die Figuren bleiben ohne jede Tiefe.

Erotik und Sex werden als Kampf geschildert, dessen „Spannung zwischen Zurückhaltung und Kapitulation“ in einer „Eroberung“ mündet. Seine Schilderung wächst sich bis zu ausgemachtem Vergewaltigungskitsch aus:

Er wusste nicht, welche Macht ihn trieb, aber unvermittelt drückte er seinen Mund fest und ausdauernd auf ihre Lippen. Sie wehrte sich, aber er konnte sich nicht zügeln. Einen Augenblick später schien es, dass auch ihr dies schwerfiel. Er küsste sie gierig und wütend weiter, und sie erschauderte in seinen Armen.

Zudem lieben es die Frauen, wenn Männer ihnen Schmerzen zufügen, zeigt es ihnen doch, dass sie „ihm etwas bedeuten“, wie eine der Frauen meint. Vom „Verstand“ eines Mannes heißt es hingegen, er arbeite „immer logisch und wissenschaftlich“, daher wisse er, dass es „ein unmögliches Paradox“ sei, „einen Mann und eine Frau in einer Wohnung allein zu lassen und zu erwarten, dass nichts passiert“. Nun mag man dem Roman zwar zugute halten, dass er multiperspektivisch erzählt ist – im Falle der Zitate einmal aus der Sicht einer der Ich-Erzählerinnen und zweimal aus der eines Mannes –, doch vermögen sie es durchaus, das sprach- und inhaltliche Niveau des Romans zu veranschaulichen. Eine Lektüre, auf die sich leicht verzichten lässt.

Titelbild

Bina Shah: Die Geschichte der schweigenden Frauen. Roman.
Golkonda, Berlin 2019.
332 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783946503941

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