Moral und Maschine

Roberto Simanowski markiert Fluchtpunkte einer noch unvollendeten Debatte

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel des schmalen Essays Todesalgorithmus, geschrieben vom Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski, besticht zunächst durch seine Doppeldeutigkeit, die zugleich den Sog zwischen geradliniger Kulturkritik und utopischem Möglichkeitsraum andeutet: Wer hier gewissermaßen den metaphorisch zu verstehenden Abgesang auf den überwundenen Menschen durch den Algorithmus (seinen Tod als moralisches Subjekt) erwartet, liest diese Abhandlung genauso mit Gewinn wie derjenige, der in konkreter Weise eine Antwort auf die Frage erwartet, wie Szenarien des Umgangs mit dem Tod durch technische Handlungsmöglichkeiten und -automatismen durchgespielt werden.

Simanowskis Überlegungen sind dabei im besten Sinne essayistisch und vereinen in diesem Formbezug eine weit ausgreifende Vielfalt diverser Überlegungen, ein vielfältiges Potpourri an Denkanstößen in einer luziden Hybridstellung zwischen Kritik und Zukunftsvision: In der schieren Endlosigkeit von thematischen Anknüpfungspunkten an das Feld der Digitalisierung wählt der Autor einen pointierten Haltepunkt und fragt in eigentlich sehr präziser Weise nach der ethischen Dimension und Tragweite des Algorithmus als einem praxisnahen Werkzeug im Umgang mit automobiler Fortbewegung, den Folgen des Klimawandels oder dem Gebrauch von Waffen.

Interessanterweise breitet er im Hintergrund dieser konkreten Fragestellungen eine metatheoretische Technikreflexion aus, die wiederum sehr grundlegend auf den Zusammenhang von Technik und Moral abhebt. Sein Dilemma ist dabei einleuchtend: Versteht man Technik (und Automatisierung und Künstliche Intelligenz als ihre jeweiligen Spielarten und moderne Umsetzungsformen) als Ausgangspunkt einer Komplexitätsreduktion und Lösung von Konfliktkonstellationen (etwa in der Verringerung der Zahl an Verkehrstoten, im gerade wieder ubiquitären Sicherheitsversprechen einer Präventionsgesellschaft), dann erscheint es umso schwieriger, mit ihren Schattenseiten aufzuwarten.

Als Signum einer grundökonomischen Stoßrichtung der spätmodernen Gesellschaft liegt das Spezifikum Künstlicher Intelligenz doch in ihrer Kraft zu standardisieren, etwas wiederholbar zu gestalten und darin zu objektivieren – welches Verständnis von Moral wohnt dieser Gesellschaft dann also inne, wenn sie hochgradig ethische und humanistische Fragestellungen über Formen der Automatisierung lösen will? Wenn sie gewissermaßen in einen Modus von Vergleichbarkeit, Verrechnung und Kollektivität gelangt, wenngleich die Geschichte menschlicher Aufklärung und menschlichen Selbst-Bewusstseins im echten Sinne von genau gegenläufigen Prozessen des Hochhaltens aller Individualität, der Nicht-Verrechenbarkeit des Einzelnen geprägt war und ist?

Simanowskis Einwurf wird verkannt, wenn man von ihm Abschließendes zur Thematik erwartet, in jedem Fall aber erinnert er an ein Strukturparadox im Umgang mit Technik, an die notwendigerweise auszuhandelnden Widersprüche im kommenden Umgang mit ethischen Fragen des Gebrauchs automatisierter Formen der Alltagsbewältigung. Das Streiflichtartige und Punktuelle seiner Darstellung verweist dabei auf eine dezidierte Stärke, Schneisen innerhalb eines Diskurses zu schlagen, der noch vollends zur Geltung kommen wird. Hierin wird der Mensch – der in seiner Verkettung und Vernetzung mit seinen technischen Schöpfungen immer noch zentraler Impulsgeber ist – als zentrale Bezugsgröße eine hervorgehobene Rolle gegenüber dem vielbeschworenen scheinbar allmächtigen Algorithmus spielen.

Titelbild

Roberto Simanowski: Todesalgorithmus. Das Dilemma der künstlichen Intelligenz.
Passagen Verlag, Wien 2020.
112 Seiten , 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783709204177

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