Claudes Martyrium

Dirk Stermann schreibt mit „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“ einen modernen Hiob-Roman

Von Dennis GerstenbergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Gerstenberger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Entertainer Dirk Stermann wurde 1965 in Duisburg geboren und lebt seit 1988 in Österreich. Dort machte er sich einen Namen als Radio- und Fernsehmoderator, insbesondere mit der Satiresendung Stermann & Grissemann. Auch hat er bereits mehrere Gedicht- und Erzählungsbände veröffentlicht und trat als Schauspieler in verschiedenen Filmen auf. Der Junge bekommt das Gute zuletzt ist sein aktueller Roman, der ob seiner Qualität mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

Im Roman gibt der 13jährige Ich-Erzähler Claude Einblick in ein schicksalhaftes halbes Jahr seines Lebens. Zu Beginn lebt er noch mit seinen Eltern und jüngerem Bruder in Wien, doch haben sich seine Erziehungsberechtigten getrennt. Zunächst teilt sich die Familie noch die Wohnung, baut eine trennende Wand ein, doch schon bald zieht seine Mutter mit ihrem neuen Freund und dem Bruder aus. Auch der Vater findet eine neue Partnerin, mit der er ein weiteres Kind erwartet und deswegen auszieht. Claude bleibt allein zurück, und sein Martyrium nimmt biblische Ausmaße an.

Ein schwerer Schlag nach dem anderen ereilt Claude, doch kann er glücklicherweise Halt bei anderen Personen finden. Ein Taxifahrer aus Serbien, der im selben Haus wohnt, übernimmt die Vaterrolle. In einer japanischen Mitschülerin findet er eine erste Freundin, deren Mutter Claude ebenfalls sehr herzlich empfängt.

Doch ist der Roman keineswegs romantisch, sondern wird durch den Tod bestimmt. Überall tritt er auf, schlägt immer wieder zu. Fast könnte man meinen, Claude sei ein moderner Hiob, der von Gott auf die Probe gestellt wird, denn er verliert alles: seine Eltern, seine Wohnung, seine Freunde. Jedoch ist nicht Religion das zentrale Motiv des wuchtigen Romans, auch wenn sie immer wieder thematisiert wird. Stermann steckt seinen Protagonisten nicht in einen religiösen beziehungsweise metaphysischen Kontext, sondern verdeutlicht an ihm in überspitzter Form die heutige Ellbogengesellschaft voller egozentrischer Individuen, an der man zugrunde gehen kann. Noch nicht einmal die eigenen Eltern übernehmen Verantwortung für ihre Kinder, die gnadenlos auf sich selbst gestellt werden. Claude wird gezwungen, sich seine Bezugspersonen selbst zu suchen und findet sie auch, doch verliert er auch diese und steht am Ende ganz alleine dar.

Das Erstaunliche an Stermanns Geschichte ist die lakonische Sprache, mit der er die schlimmsten Schicksalsschläge einfangen kann. Claudes Emotionen müssten angesichts der Geschehnisse durchdrehen, doch bleibt und handelt er fast immer sehr überlegt. Dialoge machen einen Großteil des Romans aus, sind brillant auf den Punkt gebracht und strotzen dabei vor Satire, so wie Stermann auch in seinen Fernsehsendungen mit seinem Partner Grissemann auftritt. Manche Pointen mögen dem einen oder anderen Leser zu hart sein, doch handelt es sich bei dem Roman um ein Werk, das unter die Haut geht und einen sprachlos zurücklässt. Der Leser wird gezwungen, Claudes Entsetzen zu spüren.

Titelbild

Dirk Stermann: Der Junge bekommt das Gute zuletzt.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
224 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064389

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch