Eine überladene Eröffnung

Der erste Fall von Anna Benz in „Tödliche Jagd“ von Silvia Stolzenburg wartet mit zu vielen Details auf

Von Sophie MahrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sophie Mahr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Auftakt der Kriminalreihe um das Stuttgarter Ermittler-Duo Benz und Hauer verfolgt einen Serienmörder von Stuttgart über Tübingen bis in die Schweiz. Das erste Opfer, Dr. Sarah Martin, ist die ehemals beste Freundin der Hauptkommissarin. Emotional betroffen, setzt diese alles daran, den Täter zu finden. Die Spuren führen in ein Domina-Studio. Im Verlauf der Untersuchung scheint es sich dabei um eine Sackgasse zu handeln. Besonders rätselhaft wird es, als ein zweiter Toter im Züricher Tigergehege gefunden wird, der eindeutig von der gleichen Person ermordet worden ist. Es stellt sich die Frage, in welcher Verbindung diese Taten stehen und ob noch weitere Morde folgen werden.

Das Grundgerüst des Plots verspricht einen spannenden Fall. Das wird dadurch verstärkt, dass das Motiv des Mörders erst am Ende entschlüsselt wird. Hierbei wird zudem ein Aktualitätsbezug konstatiert (Stichwort: Abgasskandale und Diskussionen um Feinstaubplaketten). Bemerkenswerterweise bleibt die Identität des Täters bis kurz vor dem Ende der Ermittlungen unbekannt, obwohl auch aus dessen Perspektive erzählt wird. Zu Beginn steigern die verschiedenen Blickwinkel die Spannung, doch im späteren Verlauf wird das Geschehen dadurch zu vorhersehbar. Anhand der zusätzlichen Informationen aus Sicht des Mörders wird der Weg der Ermittler prognostizierbar. Die Teams der Ermittler befinden sich schnell auf dem richtigen Pfad und der Fall kann ohne die Kenntnisse um das Motiv gelöst werden.

Silvia Stolzenburg versucht mit diesem Krimi, Laien die Hintergründe der Polizeiarbeit näher zu bringen. So ist es beispielsweise interessant zu erfahren, wie bei einer kriminaltechnischen Untersuchung vorgegangen wird. Allerdings wird dieses Prozedere teilweise zu ausführlich beschrieben – was womöglich daran liegt, dass die Autorin zuvor im Genre der historischen Romane beheimatet war. Gleichzeitig werden Abkürzungen wie PvD (Polizeiführer vom Dienst) und KDD (Kriminaldauerdienst) verwendet, die nicht näher erläutert werden, wodurch Fachwissen vorausgesetzt wird. Dieses ist aber eher bei solchen Krimifans vorhanden, für die die einführenden Informationen über das Vorgehen der Polizei nicht interessant sind. Insbesondere die detailverliebte Beschreibung der Polizeigebäude in Stuttgart und Zürich lähmt das Voranschreiten der Handlung und senkt den Spannungsbogen weiter ab.

Die Figuren der Ermittler, vor allem Anna Benz, werden auch über die Arbeit hinaus näher beschrieben und erhalten mehr Konturen. Doch nehmen die privaten Probleme der Protagonistin eine viel zu große Rolle ein. Noch nach der Auflösung des Falls wird aufgedeckt, was ihre Ängste sind. Daher entsteht beim Lesen das Gefühl, nicht die Morde und deren Aufklärung, sondern die persönlichen Belange der Kommissarin seien der Kern des Geschehens. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die gehäuften Rückblenden in die Vergangenheit der Kriminalbeamtin. Obwohl diese zu Beginn der Freundschaft mit dem Opfer geschuldet waren, haben die Kindheitserinnerungen nur wenig mit den Ermittlungen zu tun. Auch die mehrmals täglich hervorgerufenen Wutausbrüche Annas sowie ihr Bedürfnis, Sport zu treiben, um mit sich und der Welt umgehen zu können, sind störend.

Als Kapitelüberschriften werden jeweils der Ort und das Datum ausgewählt. Die Nennung des Ortes ist hilfreich, da die Erzählstränge parallel in Tübingen, Stuttgart, Zürich und am Zürichsee verlaufen. Die Datierung hingegen sorgt stellenweise für Verwirrung, da es nicht genau ersichtlich wird, wann ein Tag endet. So beginnt in der Kapitelüberschrift bereits der 15. März 2015, während sich die Kommissarin noch beim Abendessen des 14. März befindet. Deshalb wäre es förderlicher, die Uhrzeit als Anhaltspunkt zu verwenden, um darauf zu verweisen, wann etwas wo geschieht.

Durch das Wechseln der Erzählperspektiven wird die Teamarbeit, die hinter den Ermittlungen steckt, besonders deutlich. Wie es für das Genre des Polizeiromans üblich ist, stehen nicht nur die Kommissare Benz und Hauer mit der Lösung des Falls in Verbindung. Die zweimal täglich stattfindenden Meetings zeigen auf, wie viele Ermittler mit einem Mord betraut sind. Mit den Augen des Chefs der Kriminaltechnik wird ein sehr guter Einblick in kriminaltechnische Untersuchungen ermöglicht. Außerdem ist er es, der die richtigen Schlüsse über das Motiv des Täters zieht. Diese Feinheiten verweisen auf die genaue Recherche Stolzenburgs. Sie zeigt, wie Kriminalbeamte vorgehen und welche (technischen) Hilfsmittel zur Lösung eines Falles beitragen können.

Die gelungene Verwendung mehrerer Figuren zur Aufklärung des Falls wird durch die permanente Benutzung von Vor- und Zunamen der Charaktere überschattet. So heißt es überwiegend Alexander Wolf, Markus Hauer, Rainer Stemmler, Urs Wachter oder gar „Der Chef von ‚Leib und Leben‘“. Lediglich bei Anna Benz wird der Nachname regelmäßig weggelassen, aber dafür betont, dass sie die C-Klasse fährt. Der Schreibstil ist locker gehalten, was den Lesefluss begünstigt, allerdings trüben umgangssprachliche Formulierungen wie „Es hat noch mehr [Essen]“ anstelle der Verwendung von ‚Es gibt noch mehr‘ das Lesevergnügen.

Tödliche Jagd hatte das Potenzial, ein guter Krimi zu werden. Die mit Details überladene Handlung erstickt leider die aufkeimende Spannung. Durch die gute Recherche der Autorin könnten weiterführende Fälle um das Stuttgarter Duo erfolgreich werden. Es gilt jedoch: Weniger ist mehr.

Titelbild

Silvia Stolzenburg: Tödliche Jagd. Kriminalroman.
Bookspot Verlag, München 2015.
283 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783956690525

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch