Die Mieselsüchtige

„Alles muss man selber machen“: Daniela Strigl über die Kunst des Schreibens

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jedes Publikum hat die Literaturkritik, die es verdient. Zu diesem ernüchternden Schluss kam Daniela Strigl, als unlängst im Fernsehen ein Kritikerkollege erklärte, Nobelpreisträger wie Günter Grass oder Elfriede Jelinek seien doch einfach nur „Idioten“. Ein erstaunlich dürftiges Urteil, das der Moderator der Sendung aber für so treffend hielt, dass er noch ergänzte: „von Bob Dylan ganz zu schweigen“. Für Daniela Strigl dagegen war diese Szene Anlass zu einer fulminanten Polemik – weil sich die Literaturkritik selbst aufgebe, wenn sie sich dem Stammtisch anbiedert, einfach mal „die Sau rauslässt“ oder „das Florett gegen den Dreschflegel“ tauscht. 180 Leserkommentare habe sie daraufhin erhalten, berichtet die österreichische Kritikerin – doch die meisten hätten nur davon gehandelt, wer von den Genannten den Preis denn nun wirklich nicht verdient hätte.

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die deutschsprachige Literaturkritik in der Krise steckt. Dieser Befund ist freilich nicht neu, das weiß auch Daniela Strigl. Statt Krisenlamento liefert sie lieber Beispiele, wie es besser geht. Mit ihren eigenen Kritiken, etwa für die Wochenzeitung Die Zeit oder den österreichischen Standard, hat sich die gebürtige Wienerin längst in die erste Liga der deutschsprachigen Kritik geschrieben. Nicht nur diverse Preise bezeugen ihr Renommee, sondern auch ihre Tätigkeit als Jurorin, etwa für den Ingeborg-Bachmann-Preis oder den Preis der Leipziger Buchmesse. An der Universität Graz gab Daniela Strigl nun Auskunft über die Kunst des Schreibens, und zwar zu allen drei Spielfeldern, auf denen sie aktiv ist: der Biografie, der Kritik und dem Essay.

Die drei Vorlesungen – ergänzt um Textbeispiele und Diskussionsauszüge – weisen interessante Parallelen auf. Denn so unterschiedlich diese Genres auch sind, sind sie alle doch seit Postmoderne und Poststrukturalismus fragwürdig geworden. Biografien zum Beispiel: Sind Lebensgeschichten nicht viel zu chaotisch und disparat, als dass sie sich noch chronologisch auffädeln ließen? Und können sich Kritiker im Zeitalter der „Kundenrezension“ überhaupt noch als Kunstrichter aufspielen? Ganz zu schweigen von dem längst als Illusion entlarvten Subjekt des Essays, das scheinbar freischwebend mit sich und der Welt experimentiert wie einst Montaigne oder Lichtenberg.

Wer heute noch als Biograf, Kritiker oder Essayist tätig sein wolle, könne dies daher nur noch im Modus des „Als ob“, betont Strigl. Am Beispiel der Kritik: Natürlich wisse sie, dass sie als Rezensentin mit den Verlagen und Autoren im selben Boot sitze – einem mutmaßlich längst leckgeschlagenen Boot übrigens. Aber um Romane zu beurteilen, müsse sie zumindest so tun, als gehöre sie nicht zum gemeinsamen Markt. Weil die Literaturkritik ein Marktkorrektiv sei – und keine „Lektürepartnervermittlung“, wie Daniela Strigl unter Berufung auf ihr Vorbild Sigrid Löffler betont. Unlängst verriss sie zum Beispiel das Romandebüt André Hellers, einem „Unantastbaren“ in ihrem Heimatland – und brachte damit prompt den österreichischen Literaturbetrieb gegen sich auf.

Alles muss man selber machen lautet der Titel ihrer Poetikvorlesungen. Das ist zum einen eine Anspielung auf Kant, der die Aufklärung ja unter die Maxime stellte, „jederzeit selbst zu denken“. Nicht zufällig ist die Literaturkritik ein Kind eben dieser Epoche. Worauf der Titel aber noch hinweist: In allen drei Genres, Biografie, Kritik wie Essay, äußert sich das, was die Postmoderne seit langem als tot erklärt hat: das „verflixte Subjekt“. Und das ist in diesem Fall ein sympathisch eigensinniges.

Denn Daniela Strigl ist – in Anlehnung an ihren Landsmann Hugo von Hofmannstahl – eine „Schwierige“, der nichts fragwürdiger ist, als jener Rezensententypus, der als „gesellschaftspolitischer Wetterfrosch die Trend-Leiter rauf- und runterhastet“. Schon als Kind sei sie „lieber dagegen als dafür“ gewesen, gesteht sie selbst und attestiert sich eine „Neigung zur Renitenz“. Also dem, was man in ihrer Heimatstadt Wien als „Mieselsucht“ bezeichnet, als Lust an der Miesmacherei. Strigls Vorlesungen zeigen eindrucksvoll, warum man diese Eigenschaft viel mehr schätzen sollte.

Titelbild

Daniela Strigl: Alles muss man selber machen. Biographie. Kritik. Essay.
Literaturverlag Droschl, Graz 2018.
152 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783990590126

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