Adam, Eva und die Aporien von Frauenliteraturgeschichten

Erdmute Sylvester-Habenicht beantwortet 33 Fragen rund ums Thema „Frauen und Literatur“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die promovierte Literaturwissenschaftlerin Erdmute Sylvester-Habenicht hat ein schmales Bändchen mit dem Titel Die Muse hat genug geküsst, sie schreibt! veröffentlicht. Nicht zuletzt aufgrund des Ausrufezeichens mutet er zwar aufsässig an, was das interessierte Publikum erwartet, lässt er jedoch eher offen. Soviel wird immerhin klar: Eine wissenschaftliche Studie dürfte es wohl kaum sein. Tatsächlich handelt es sich um ein Sachbuch, das gelegentlich einem Essay nahekommt.

Näheres zu seinem Inhalt verrät der Untertitel Frauen und Literatur. Spannende Antworten auf 33 verblüffende Fragen. So verblüffend sind die Fragen allerdings nicht, werden sie doch schon seit einigen Jahrzehnten von der feministischen Literaturwissenschaft gestellt und auf gelegentlich unterschiedliche Weise beantwortet. Den meisten von ihnen hat die Autorin sich auch schon selbst vor bereits 10 Jahren in ihrer Dissertation Kanon und Geschlecht gewidmet.

Inhaltlich gleichen ihre heutigen Antworten in der Regel den damaligen Befunden. Allerdings sind sie nun nicht mehr in einen wissenschaftlichen, sondern einen allgemein verständlichen Jargon gekleidet. Denn die Zielgruppe des Bandes dürfte im interessierten Laienpublikum und künftigen GermanistInnen zu Beginn ihres Studiums bestehen. Dies rechtfertigt nicht nur die Publikation als solche, sondern auch ihren Titel. Denn für eine solche Zielgruppe dürften die Fragen und ihre Antworten durchaus verblüffend und spannend sein.

Wie eng sich das Bändchen an einige Abschnitte von Sylvester-Habenichts Dissertation anlehnt, wird schon deutlich, wenn man die Kapitelüberschriften vergleicht, die sich auch schon mal frappierend ähneln können. So trägt einer der Abschnitte in Sylvester-Habenichts damaliger Qualifikationsarbeit den Titel „‚Frauenliteraturgeschichten’ zwischen Aufbruch und Aporie: das literaturgeschichtliche Projekt“. Die entsprechende, in eine rhetorische Frage gekleidete des neuen Bandes lautet „Frauenliteraturgeschichten – ein Projekt zwischen Aufbruch und Aporie?“ Die Inhalte der beiden Kapitel gleichen sich entsprechend.

Auch manch anderes, das bereits in der Dissertation zu lesen war, findet sich in dem Musen-Band wieder. Allerdings sprachlich neu aufbereitet. So befasst sich die Autorin wie schon in Kanon und Geschlecht mit der von Virginia Woolf erdachten Schwester Shakespeares, die zwar ebenso genial war wie dieser, aber an der misogynen Gesellschaft scheiterte. Und ebenso wie in der Dissertation lässt Sylvester-Habenicht auch diesmal unerwähnt, dass die deutsche Feministin Hedwig Dohm eben die hinter Shakespeares Schwester steckende Idee bereits etliche Jahrzehnte vor der englischen Frauenrechtlerin hatte. Nur heißt die geniale Frau in Dohms 1874 erschienener Schrift Die wissenschaftliche Emancipation der Frau Friederike Schiller.

Zwar finden sich viele, jedoch keineswegs alle Gedanken des neuen Buches von Sylvester-Habenicht bereits in ihrer Dissertation. So geht die Autorin etwa auf einige jüngere Ereignisse und Entwicklungen ein, wie etwa ein „sensationelle[s]“ Vorkommnis beim „großen Wettlesen in Klagenfurt 2019“. Auch gelten die ersten Fragen noch nicht ihrem eigentlichen Thema, dem Verhältnis von Frauen und Literatur.

Bevor Sylvester-Habenicht hierauf zu sprechen kommt, geht sie zurück bis zu „Adam und Eva“. Genauer gesagt, bis zu Eva. Lautet doch die zweite ihrer Fragen „‚Was heißt schon Frau?’ Und wer fühlt sich berufen, darüber zu befinden?“. Auch anschließend stürzt sie sich noch nicht in medias res, sondern befasst sich erst einmal mit den Geschlechtszuschreibungen nach der Geburt eines Menschen und mit Butlers Gender-Theorie. Anders als die US-amerikanische Philosophin versteht die Autorin es, deren Überlegungen weitgehend allgemeinverständlich darzulegen, um sodann weiter zu fragen „Gibt es noch Frauen oder nur noch Gender?“.

Nach diesen ersten Abschnitten, die man als propädeutische Erörterungen durchaus gelten lassen kann, kommt Sylvester-Habenicht auf literarhistorischem Weg zur Sache selbst und fragt nach der „Geburtsstunde der Frauenliteratur“, welche bekanntlich 1771 mit Sophie von la Roches Briefroman Geschichte des Fräulein von Sternheim das Licht der Welt erblickte. Allerdings unternimmt die Autorin auch später noch einmal den einen oder anderen Ausflug in allgemeine Geschlechterfragen. Warum, wird nicht ganz deutlich.

Dafür sind ihre Darlegungen zu ihrem eigentlichen Thema „Frauen und Literatur“ in aller Regel leicht verständlich, einleuchtend und plausibel. Ihre Kritik an der noch immer verbreiteten Vorstellung, Frauen schrieben Frauenliteratur und Männer die „eigentliche“, ist zwar nicht neu, aber sie bringt sie überzeugend vor. Wie überhaupt das meiste von dem, was sie zum vielschichtigen Verhältnis von Frauen und Literatur zu sagen hat, zwar nicht neu, aber plausibel ist und in dieser allgemein verständlichen Art bisher noch nicht oft gesagt wurde. Seien es nun ihre Ausführungen zur „geringschätzigen Absicht“, die hinter der „Kombination aus bestimmtem Artikel und Namen“ steckt, von der zwar Autorinnen wie ‚die Bachmann’ und ‚die Jelinek’ betroffen sind, nicht aber Autoren wie Kafka oder Brecht, oder ihre Erklärung, warum Frauenliteratur ein „prekärer Begriff“ ist und Frauenliteraturgeschichten „ihre Fallstricke“ haben. Außerdem erläutert sie mit Ina Schabert, wie die „Aporie“ letzterer zu lösen ist: „Literaturgeschichte als Geschlechtergeschichte ist der Königsweg“.

Mögen Sylvester-Habenichts Fragen für Menschen, die sich schon ein wenig mit dem Thema befasst haben, weder verblüffend sein, noch ihre Antworten spannend, so sind sie doch wenig kritikwürdig. Jedenfalls zumeist. Denn gelegentlich finden sich Ausnahmen von dieser erfreulichen Regel. So erklärt die Autorin etwa, „Frauenforscherinnen und Feministinnen“ würden „eher von einem biologisch definierten weiblichen Subjekt aus[gehen]“. Abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine fragwürdige Feststellung handelt, stellt sich die Frage, ob sie meint, dass Frauenforscher und Feministen es anders halten. Sie schweigt dazu. Oder kann sie sich beide nur weiblich vorstellen?

Auch nährt Sylvester-Habenicht den heute weitverbreiteten Mythos, die FeministInnen und FrauenforscherInnen der Neuen Frauenbewegung seien „von einer allen Frauen gleichen weiblichen Erfahrung und einer gemeinsamen weiblichen Identität“ ausgegangen, von der allerdings „nicht die Rede sein“ könne. Letzteres ist zweifellos richtig. Doch wurde die kritisierte Auffassung auch vor einem halben Jahrhundert allenfalls von einer kleinen Minderheit verfochten. So hat Ilse Lenz, in Sachen Neue Frauenbewegung in Deutschland die Expertin, erst jüngst in einem Aufsatz über „Die Neuen Frauenbewegungen und soziale Ungleichheiten nach Klasse, ‚Rasse‘ und Migration“ einmal mehr darauf hingewiesen, dass „die neuen Frauenbewegungen […] in einem Wirbelsturm von Ungleichheitsdiskursen zu Klasse und ‚Rasse‘ und zu autoritärer Herrschaft in globaler Perspektive [entstanden]“ und von Beginn an „einen globalen Horizont“ besaßen. Ihr „Frauenbild“ war entgegen heutiger Unterstellungen „universal angelegt und deshalb anschlussfähig für weitere Teilbewegungen bisher intersektional ausgeschlossener Gruppen, wie Lesben oder Migrantinnen“. Auch brachen die FeministInnen der frühen 1970er Jahre „ethnozentristische oder germanozentrische Normierungen“ auf und gingen entgegen der Auffassung von Sylvester-Habenicht eben nicht von „der Frau als einem Kollektivsingular“ aus, der „für alle Frauen steht“.

Man mag solche Kritikpunkte mit einigem Recht als randständig abtun, da sie nicht das eigentliche Thema des Buches, Frauen und Literatur, betreffen. Die schwerwiegendste Kritik an dem vorliegenden Band ist allerdings eine andere. Sie betrifft das fehlende Literaturverzeichnis. Die Quellenverweise im Text – etwa schlicht „(Hausen 1976)“ oder „(Lindhoff 1995)“ – schreien geradezu danach, zumal oft im gesamten Text weder der Vorname der herangezogenen AutorIn noch der Titel des Buches, auf das verwiesen wird, genannt werden. Ein Manko, das den Nutzen, den der Band jungen Studierenden bietet, erheblich einschränkt. Sollte der Mangel in einer künftigen Auflage behoben werden, wird man ihnen das Buch guten Gewissens in die Hand drücken können.

Titelbild

Erdmute Sylvester-Habenicht: Die Muse hat genug geküsst, sie schreibt! Frauen und Literatur. Spannende Antworten auf 33 verblüffende Fragen.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2019.
144 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783897414372

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