Zwei auf einen Streich

Scott Thornleys „Der gute Cop“ zieht ein paar Leichen aus dem Wasser

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Moderne Krimi-Kriminalisten sind ziemlich gefordert, müssen sie doch nicht nur einen, sondern gleich mehrere Fälle gleichzeitig lösen, was umso schwerer fällt, weil die Besetzung der Behörden eh immer schlechter wird, alle anderen Kolleg/innen in anderen Fällen absaufen und der Druck der Politik, schnelle Lösungen zu präsentieren, auch nicht geringer wird. Wie soll man sich da noch auf eine Sache wirklich einlassen, wenn schon das nächste Opfer im Leichenschauhaus wartet? Vorbei die guten Zeiten, in denen das private eye oder der Cop sich tagelang wie die herumschweifenden Haschrebellen haben treiben lassen, um auf diese Weise dann den Fall aller Fälle zu lösen. Hinzu kommt auch noch, dass diese Ermittler mittlerweile auch noch die Aufmerksamkeit ihrer Täter auf sich ziehen, die sich ganz kräftig in ihr Privatleben mischen. Als wäre das nicht schon zerrüttet genug (wie viele geschiedene Krimiermittler gibt’s noch mal? Haferkamp? Kennt man den noch?).

Aber sie müssen sich damit abfinden, denn auch ihre Leser/innen haben keine Scheu, sich in das Privatleben ihrer Ermittler zu drängeln. Wobei der Musikgeschmack noch das Harmloseste ist, was sie offenlegen (Ian Rankins Rebus hat immerhin einen respektablen gehabt, solange er noch ermittelte), über das Liebesleben überhaupt ist schon mal erst recht viel zu reden. Immerhin will man wissen, auf wen man sich ein paar Stunden lang einlässt und wer einem die Welt geraderückt.

Der neue Krimi des kanadischen Autors Scott Thornley (lebt abwechselnd in Kanada und Südfrankreich – bitteschön, was mache ich falsch?) scheint das oben skizzierte Muster auf das Wunderbarste zu erfüllen: Der Cop mit einem zerrütteten bis einsamen Privatleben, hartnäckig auf Fährten, die niemand außer ihm sieht, überlastet und eigentlich ein sozialer Analphabet, dem man allerdings alle seine Sympathien entgegenbringt. Woran man auch gut tut, denn er scheint – gerade weil er alle Anzeichen einer a-sozialen Figur abgibt – der verbliebene Garant dafür zu sein, dass die Welt wenigstens noch halbwegs zusammenhält.

Was könnte es Angenehmeres im Krimi geben, zumal dann, wenn die Verbrechen selbst, die den destruktiven Kern des Daseins anzeigen, von derart unerhörter Brutalität und Grausamkeit sind, dass man mit ihnen doch sehr fremdelt. Wer sind wir, dass wir in einer Welt solcher Gewalttaten leben?

Im Hafen einer kanadischen Stadt, die ihre besten industriellen Zeiten hinter sich hat, wird ein großes Projekt aufgelegt, in dessen Rahmen das alte Hafenbecken saniert und ausgebaggert werden soll. Und was findet man bei dieser Gelegenheit? Natürlich ein paar Betonsäulen, in denen sich tatsächlich Leichen befinden. Allerdings stammen nur zwei aus den guten alten Mafiazeiten, in denen man unangenehme Kontrahenten auf dieser Weise drastisch entsorgte. Zwei der Leichen sind erst in jüngster Zeit versenkt worden, was aus dem Ganzen keinen alten, sondern einen ziemlich heißen Fall macht. Zumal einem der beiden Opfer Gesicht und Hände weggeschnitten wurden, um seine Identifizierung zu erschweren. Selbstverständlich findet sich ein Nümmerchen irgendwo im Haaransatz, durch das der arme Kerl dann doch einen Namen bekommt. Aber das ist vielleicht vor allem für das Seelenheil oder Nervenkostüm von Lesern relevant, nicht jedoch für die Szenerie, die hier aufgerollt wird, denn der Krimiplot wird – und da wird’s heftig ironisch – immer eng am Beton entlang entwickelt.

Die Ermittler um DSI MacNeice können die neuen Betonleichen mit der Konkurrenz der Betonlieferanten um den Großauftrag Hafenbecken Dundurn in Verbindung bringen, und das hat Größe: Der Brückenschlag zu unfasslichen Welt des Mafia-Krimis gelingt Thornley nämlich dabei auf zumindest interessante Weise, denn eine der Firmen gehört tatsächlich einer italienischstämmigen Familie, was selbstverständlich und mit aller Macht sämtliche Glocken der Krimileser läuten lässt. Aber gepfiffen, was der Auflösung dieses Falles tatsächlich zu einer vorteilhaften Wendung verhilft. Dass das alles mit dem Biker-Massaker zusammenhängt, das am Anfang die Ermittler, allerdings hier nur einen Kollegen MacNeices intensiv beschäftigt, ist zwar kaum überraschend, aber hier kommt es in der Tat auf die Machart an – und auf die Zeitschiene, denn seit den Zeiten, in denen das Müll- oder eben Betonbusiness eine willfährige Fassade für ein kriminelles Imperium war, sind schon wieder ein paar Jahre, ja Jahrzehnte vergangen.

Ganz auf der Höhe der gesellschaftlichen Problemlagen freilich ist der Serienkiller, dem sich MacNeice nebenher auch noch widmen muss, und der es offensichtlich auf Aufsteigerinnen aus dem Zuwanderermilieu abgesehen hat. Das riecht von vorneherein nach einer machistischen weißen Suprematiefantasie irgendeines missratenen jungen Kerls mit fatalen Folgen. Und so ist es denn auch, was Thornley offen verhandelt. Kein suspense im gewöhnlichen Sinn, der Mörder ist bekannt, aber wird er gefasst? Kein Zweifel. Was diese Untaten angeht, scheint Thornley etwas anderes als in seinem Mafia-Beton-Massaker-Fall angetrieben zu haben, nämlich die Beschreibung einer bornierten Gedankenwelt,  die politisch oder gesellschaftlich von falschen Kräften hervorgerufen wird. Die Folgen nationalistischer, rassistischer oder chauvinistischer Zuspitzungen erleben wir im gesellschaftlichen Leben allenthalben. Und das ist mit gutem Recht sehr ernst zu nehmen, will man sich solchen vermeintlichen Patrioten nicht ausliefern.

Leider bleibt aber nur ein armes verirrtes Würstchen übrig, das gewalttätig wird. Und genau darin liegt der Grundfehler dieses Ansatzes (gegen den ich schon seit Jef Geeraerts Sanpaku wettere): Die inneren oder halblaut gesprochenen Monologe des Serienkillers (der sich dann später auch noch in zwei Persönlichkeiten aufspaltet, die heftig aufeinander einquatschen), klären über nichts auf, was man sich nicht denken könnte. Sie repetieren nur ein Muster, und das eben nicht einmal besonders unterhaltsam, geschweige denn überraschend. Niemandem fehlt etwas, wenn diese Seiten überschlagen werden. Und was den unvermeidlichen Showdown zwischen Ermittler und Killer angeht… nicht drüber reden.

Titelbild

Scott Thornley: Der gute Cop. Kriminalroman.
Aus dem Amerikanischen von Andrea O‘Brien und Karl-Heinz Ebnet.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
523 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518470817

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