Fruchtbare Infiltration der Sprache

Annäherung an den begriffsgeschichtlichen Mehrwert der „Wörter aus der Fremde“

Von Sebastian SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Falko Schmieder und Georg Toepfer rekurrieren mit dem Titel Wörter aus der Fremde ihres ungewöhnlichen Bandes auf Theodor W. Adorno und seine Sprachtheorie, spezieller auf seine Gedanken zur epistemischen Wirkung und Funktion von Fremdwörtern im System. Als „exogamische Elemente der Sprache“ lässt sich an ihnen geradezu plakativ veranschaulichen, wie der Mehrwert einer Begriffsgeschichte aussehen kann, die mittels etymologischer Spurensuche einen hervorragenden Zugang zur Erforschung der Konstruktion unserer Sprache und damit unserer Kultur bietet. Oder wie Reinhart Koselleck resümiert: „Jede Übersetzung in die eigene Gegenwart impliziert eine Begriffsgeschichte.“ Auf der bisherigen Missachtung Adornos in der Begriffsgeschichte fußt das Desiderat des Buchs, das im Rahmen der Forschungsvorhaben des Berliner Zentrums für Literatur- und Kulturforschung entstand. Selbsterklärtes Ziel des Bandes ist es,

in Form von miniaturartigen Fallstudien begriffs- und übersetzungsgeschichtliche Aspekte zusammenzuführen. Auf einer allgemeineren Ebene möchte der Band aber auch einen Beitrag dazu leisten, die Überlegungen zu Perspektiven der Erforschung geschichtlicher Grundbegriffe mit der Reflexion von Übersetzungsvorgängen und kulturhistorischen Übersetzungspraktiken zu verbinden.

Die Komposition, mittels derer sich dem Thema genähert wird (denn dass das Thema letztlich noch „Darstellungen umfassenderen Anspruchs“ benötigt, wird ausdrücklich hervorgehoben), ist ungewöhnlich. Einer thematischen Einleitung durch die Herausgeber schließen sich 49 von den Beitragenden frei gewählte Lemmata sowie drei kurze Abhandlungen an. Die Begriffe changieren zwischen Fremdwörtern in der deutschen Sprache (beispielsweise „Agent“, „Coming-out“ oder „Utopie“) und deutschen Begriffen, die eine neue Heimat in anderen Sprachen gefunden haben (beispielsweise „Kitsch“, „Welt“ oder „Weltschmerz“). Ihre Auswahl ist keine systemische, sondern in den individuellen Interessen und Forschungsprofilen der Beiträger verankert. So wird dem Leser eine Sammlung höchst unterschiedlicher begriffsgeschichtlicher Vignetten präsentiert, seien es Gallizismen, Anglizismen, Germanismen, Latinismen oder Hebraismen, die über etymologische Herleitungen und begriffsgeschichtliche Prämissen zu epistemologischen Gedanken führen sollen.

Besonders frucht- und dankbar sind dabei selbstreflexive Lemmata („avant la lettre“), die aufgrund ihrer eigenen Beschaffenheit die Begriffsgeschichte und deren Theorie selbst thematisieren können. Auch die Frage der Unübersetzbarkeit von Begriffen tritt leitmotivisch im Buch auf und verdichtet seine grammatologische Fragestellung, oder wie Robert Stockhammer in seinem Abschnitt zu „Welt“ formuliert:

Das Unübersetzbare ist dasjenige, was Widerstand gegen die Übersetzung aufbietet, die dennoch permanent zu unternehmen ist, wobei jedoch ebenso permanent der Widerstand gegen diese Unternehmung als solcher auszuweisen ist. […] Dann ließe sich von Welt wie vo[m Begriff] Welt sagen: Stets in Übersetzung begriffen, stets auch der Übersetzung Widerstand leistend, überladen mit Sinn, durchkreuzt von Nicht-Sinn, ist sie immer mehr und zugleich weniger als eine Totalität des Sinns, nie nur, aber immer auch ein Fremdwort.

Das poststrukturalistische Herz lacht bei solchen Formulierungen wie auch bei der Konzeption des Bandes als Materialsammlung von „Spotlights“ auf ein inkommensurables Thema, dem sich nicht in Form einer seit Jean-François Lyotard abgesegneten métarécit genähert werden kann. Wörter aus der Fremde ist kein etymologisches Lexikon, in dem man die Begriffsgeschichte der Fremdworte nachschlagen kann, und es ist auch kein wissenschaftlicher Sammelband zur Rolle der Übersetzung in der philosophisch-philologischen Disziplin. Viel eher liegt hier eine sprachspielerische Annäherung an ein Thema vor, die sowohl Laien als auch Vertraute ansprechen wird. Der höchst interessante Band gerät dabei durch seine Machart zwangsweise in eine bockige Schwebe zwischen Essay und wissenschaftlicher Abhandlung. Aber: Die sprachspielerische Rhetorik zahlreicher Beiträge ermöglicht philosophischen Mehrwert unter Aufopferung szientistischer Genauigkeit (sofern es diese in den Geisteswissenschaften überhaupt geben kann).

Der Heterogenität der Lemmata entspricht selbstredend auch die unterschiedliche Qualität der Beiträge, was bei der beachtlichen Anzahl an Forschenden niemanden überraschen wird. Doch wenn man sich auf die verspielte Art dieses merkwürdigen Bandes einlässt, fordern zahlreiche Beiträge dazu auf, sich über die Herkunft unserer Sprachmuster sowie die damit verbundene Konstitution unseres Selbst Gedanken zu machen – gelingt das, befinden wir uns bereits verstrickt in den Denkstrukturen einer Begriffsgeschichte.

Titelbild

Falko Schmieder / Georg Toepfer (Hg.): Wörter aus der Fremde. Begriffsgeschichte als Übersetzungsgeschichte.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2017.
318 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783865993731

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