Hiobs letzte Prüfung

„Umsonst leiden“: Christoph Türcke rekonstruiert, wie das Hiob-Märchen ausgegangen wäre, ehe der Zensor eingriff

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gott, das ist quasi ein Synonym für Vollkommenheit, zumindest in den abrahamitischen Religionen – mag der Zustand der Schöpfung diese Vorstellung auch noch so zweifelhaft erscheinen lassen. Genau genommen wird Gott diesem Ideal aber nicht einmal in der Bibel gerecht, jedenfalls nicht im Buch Hiob. Von Verehrungswürdigkeit keine Spur; der Jahwe, der sich in diesem Teil der Thora beziehungsweise des Alten Testaments präsentiert, ist ein ziemlich unreif wirkender Angeber, der für seinen Ruhm bedenkenlos über Leichen geht, wie Christoph Türcke in seinem neuen Buch Umsonst leiden mit Recht feststellt.

So protzt dieser Allmächtige vor Satan zuerst mit dem Prunkstück seiner Sammlung menschlicher Untertanen, dem gottesfürchtigen, ahnungslosen Hiob. Dann lässt sich Jahwe dazu verführen, Hiobs Glauben auf, man kann es nicht anders sagen, menschenverachtende Weise auf die Probe zu stellen, gleich zweimal sogar. Dass Gott hinterher nicht die Verantwortung für seine Entscheidung übernimmt, sondern alles auf seinen listigen Widersacher schiebt, passt ins Bild.

Letzterer beeindruckt als „wandelnde Majestätsbeleidigung“ schon deshalb, weil er sofort durchschaut, wie fade Jahwes Eigenlob ist. Wohl auch deshalb lässt sich Gott sofort von dem Argument provozieren, Hiob habe bei all dem ihm bis dato widerfahrenen Lebensglück doch allen Grund gehabt, Jahwe zu lobpreisen, folglich sei sein Glaube wenig wert. Und so nimmt das Unglück seinen Lauf, müssen erst Hiobs Tiere sterben, dann seine Nachkommen; schließlich sitzt der arme Tropf als Inbegriff des leidenden Gerechten nackt und mit Geschwüren übersät in einem Aschehaufen, mit sich und seinem Glauben ringend. Fürwahr, es ist „ein Frömmigkeitstest von beispielhafter Skrupellosigkeit“, von dem da berichtet wird, wie der emeritierte Philosophie-Professor urteilt.

Wie es dieser Skandaltext über Sinn und Umgang mit Leiderfahrung dennoch in den Kanon der heiligen Schriften des Judentums schaffen konnte, versucht Türcke in einem aufregend zu lesenden Essay zu erklären. Und damit einhergehend auch, warum das Buch Hiob „ein Formungetüm mit Ungereimtheiten an allen Ecken und Enden“ ist. Tatsächlich wirkt ja der Gegensatz zwischen der knappen, märchenhaft anmutenden Rahmengeschichte und dem ausufernden Hauptteil, die endlosen Dispute des leidgeprüften Hiob mit seinen Freunden, höchst irritierend.

Türcke ist durchaus nicht der erste, der vermutet, dass hier einst zwei Texte miteinander verschmolzen wurden und dass die ursprünglich eigenständige Rahmengeschichte der ältere Teil ist. Neu ist jedoch seine These, warum dies geschah: nämlich um mit einem „Ablenkungsmanöver“ das ursprünglich noch viel skandalösere „Hiobmärchen“ des Rahmens zu entschärfen und für die Kanonisierung zu retten. Den „Schlüssel zum Betriebsgeheimnis“ des Buches Hiob soll dabei die traditionelle Märchenform und ihre Vorliebe für Wiederholungen und die magische Dreizahl liefern. Mit ihrer Hilfe und im Rückgriff auf die Eskalationslogik des erhaltenen Textes versucht Türcke in einer Art philologisch-theologischem Krimi den Ur-Hiob zu rekonstruieren, genauer: das ursprüngliche Ende des „Hiobmärchens“, bevor dieses von einem unbekannten „Zensor“ verstümmelt und als Rahmen marginalisiert worden sei.

Denn wie in jedem Märchen müsse es auch im „Hiobmärchen“ einst eine dritte Runde gegeben haben, die das Muster durchbricht, vermutet Christoph Türcke. Der wahre „Härtetest“ für Hiobs Frömmigkeit wäre erst dann eingetreten, wenn sich Gott ihm offenbart hätte, wenn er Hiob also über seinen Status als Versuchskaninchen in einem Wettstreit zwischen Himmel und Hölle aufgeklärt hätte. Hätte Jahwe sich in der, so die These, zensierten dritten Himmelsszene, auch auf diesen abgründigen Vorschlag Satans eingelassen, er hätte den Wettstreit wohl krachend verloren.

Bevor sich Gott selbst kompromittierte, habe er lieber den Satan verstoßen und dem armen Hiob alles doppelt und dreifach zurückerstattet, lautet Türckes Erklärung für das märchenhafte Happy End des überlieferten Textes. Eine ebenso reizvolle wie plausible philologische Spekulation, die der Philosoph da vorlegt, die aber einen Schönheitsfehler hat: Ob Hiob am Ende die Wahrheit über sein Leid erfahren hätte oder nicht, ist viel weniger entscheidend als das, was das „Buch Hiob“ dem Leser über Gott und das Leid verrät. Und der weiß nach der Lektüre, mutmaßlicher Zensor hin oder her, auch so mehr als genug.

Titelbild

Christoph Türcke: Umsonst leiden. Der Schlüssel zu Hiob.
zu Klampen Verlag, Springe 2017.
120 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783866745629

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