(K)ein Sieg gegen den Antisemitismus im Ring

Szczepan Twardochs Romanheld in „Das schwarze Königreich“ steht in einer langen Tradition jüdischer Boxer

Von Karl-Josef MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl-Josef Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1976 erscheint Jurek Beckers Roman Der Boxer, zweiundvierzig Jahre später wird Szczepan Twardochs Roman Król, wörtliche Übersetzung ‚König‘, publiziert. Der deutsche Verlag entscheidet sich allerdings für einen anderen Titel: Der Boxer.

2020 wurde der Nachfolgeband dieses Romans der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht, wiederum kongenial übersetzt von Olaf Kühl. Unklar bleibt erneut die Abweichung vom Originaltitel, der Roman erschien 2018 in Polen unter dem Titel Królestwo, wörtlich übersetzt ‚Königreich‘. Der Rowohlt-Verlag entschied sich für den Titel Das schwarze Königreich.

Geboxt wird auch in Philip Roths Roman Der menschliche Makel, das Original erschien im Jahr 2000 unter dem Titel The Human Stain.

Im gleichen Jahr – 2002 – veröffentlicht der Eichborn-Verlag den zweiten Teil der autobiografischen Erinnerungen von Michael Moshe Checinski Der traurige Frühling. Und auch in diesem Buch wird geboxt. 1948 arbeitet Checinski für den polnischen Geheimdienst und trifft dort auf Menschen, die ihm „unkompliziert, freundlich und zugänglich“ erscheinen, doch es gibt auch einen Kollegen mit Namen Bolek, der aus seinem Antisemitismus kein Hehl macht. Schließlich wollen die Kontrahenten ihre „Differenzen wie Männer mit den Fäusten austragen“, ein aussichtsloser Kampf, wie es scheint: Checinski misst ein Meter sechzig, sein Gegner ist „zwanzig Zentimeter größer als ich und doppelt so schwer.“

Ergänzen ließen sich diese fiktiven und autobiografischen Beispiele durch jüdischstämmige Boxer wie Victor Perez, französischer Nationalität und Boxweltmeister, ermordet 1945 auf dem Todesmarsch aus dem Lager Auschwitz. Oder Salamo Arouch, griechisch-israelischer Boxer, der in Auschwitz 200 Kämpfe vor den Augen der SS-Wachmannschaften bestritt und so sein Überleben sicherte.

Checinski gewinnt den aussichtslos erscheinenden Kampf – allerdings nur im Ring; 1968 verlässt er Polen und geht nach Israel. Im Klappentext seines Buches heißt es dazu lapidar: „1968 artikulierte Parteichef Gomulka in einer Rede den Antisemitismus offen und fordert alle Juden zum Verlassen des Landes auf.“

Im Boxring zählt nicht die Herkunft, nicht einmal die körperliche Überlegenheit ist ausschlaggebend. Hier, auf einem Feld von etwa fünf mal sieben Metern, gewinnt der bessere Sportler. Und so trägt es sich auch zu in Twardochs Roman Der Boxer. Der Jude Jakub Shapiro steigt im Warschau des Jahres 1937 gegen einen Christen in den Ring, beobachtet von Mojżesz Bernstein, dem es „nicht in den Kopf“ will, „dass ein Jude im Ring einen Christen besiegen könnte“.

Jakub Shapiro ist aber nicht nur Boxer, sondern entwickelt sich parallel zum König der mafiösen Warschauer Unterwelt. Im Nachfolgeband allerdings verliert er unter der Herrschaft der deutschen Besatzer sein ergaunertes Hab und Gut, sein schwarzes Königreich befindet sich nunmehr in verlassenen Kellern ausgebombter Häuser. Aus dem unbesiegten Boxer ist ein menschliches Wrack geworden, das allein dank des Überlebenswillens seiner Geliebten noch nicht untergegangen ist.  

Auf verstörende Weise schreibt Szczepan Twardoch an gegen das Vergessen, mehr aber noch gegen den Verlust an Empathie mit den Opfern:

Ich denke, in 50 Jahren wird es die [Holocaust-Leugner] nicht mehr geben, weil dann der Holocaust ein historisches Ereignis geworden ist, wie die Zerstörung Karthagos. Niemand leugnet die Zerstörung Karthagos. Der Holocaust ist dann kein emotionales, erlebtes Ereignis mehr. Genau darin sehe ich aber auch eine Gefahr: Wenn die emotionale Bindung verloren geht, kann sich die Geschichte wiederholen.
ndr Kultur

Der polnische Schriftsteller sieht sich nicht als Historiker, auch wenn seine Geschichte nach eigenen Angaben „auf Fakten“ basiert. Doch diese allein reichen nicht aus, der Wahrheit voran zu helfen:

Was ich aber schon zeigen wollte, ist, neben der besonderen deutschen Schuld an den Verbrechen, eine polnische Schuld. Die man einfach nicht verneinen sollte, was einige in meinem Land tun. Wegen dieser Haltung habe ich viele Anfeindungen von der polnischen Rechten für das Buch bekommen.

Damit kommen wir auf das Motiv des jüdischen Boxers zurück. Er ist nicht wehrlos, er weiß, wie gekämpft werden muss – und kann doch nicht gewinnen gegen einen Rassismus und Antisemitismus, dem alles andere wichtiger ist als sich an sportliche Regeln zu halten. Twardoch möchte sehr starke Gefühle erzeugen und provozieren, um seinen Lesern ein „erlebtes Ereignis“ zu präsentieren. Dabei überzeichnet er bewusst, darin Quentin Tarantino ähnlich, wie etwa im ersten Kapitel von Inglourious Basterds. Der Oberst der SS Hans Landa, erschreckend genial gespielt von Christoph Waltz, sucht nach versteckten Juden. Tarantino zeigt ihn im Gespräch mit einem Bauern, in dessen Keller sich eine jüdische Familie versteckt. Quälend langsam entwickelt sich dieser Dialog, der schließlich in den Tod der Verfolgten münden wird.

Doch während Tarantino die wehrlosen Opfer an den Beginn seines Spielfilmes stellt, um anschließend die Inglourious Basterds erfolgreich Rache üben zu lassen, präsentiert Twardoch seinen Boxer als gescheiterten Kämpfer. Außerhalb des Boxringes gelten weder Fairness und Sportsgeist noch hilft körperliche Stärke. Jakub Shapiro versinnbildlicht damit auch die gescheiterten Aufstände in Polen, den der Exilarmee im Spätsommer 1944 sowie den Aufstand im Warschauer Ghetto vom Frühjahr 1943. Und während Shapiro zu Beginn des ersten Romans im Ring siegt, kann sein Einsatz als freiwilliger polnischer Soldat im September 1939, geschildert am Anfang des Nachfolgebandes, die Niederlage Polens nicht verhindern.

Twardoch tanzt, wohl bewusst, auf des Messers Schneide. Sein Anspruch, seinen Lesern quasi gewaltsam die Augen zu öffnen für das Unerträgliche, mag manchem zu weit führen. Christoph Bartmann sieht den Autor gar eine rote Linie überschreiten:

Am Ende geht der Roman dann allerdings auch für den aufgeschlossenen Twardoch-Leser über die rote Linie. Frau und Söhne des Boxers sind, letztes Zeugnis für die Schwäche des „Königs“, nach Treblinka deportiert worden. Dem einen Sohn gelingt noch die Flucht aus dem Güterwagen, die Mutter und der andere Sohn werden im Lager sterben. Twardoch gewährt Emilia, der Mutter, einen Schlussmonolog, den man nur obszön finden kann: „Alles wird gut, mein Mäuschen. Kein Grund zur Angst. Alles nicht so schlimm, mein Liebes.“ Das ist dann der Moment, in dem sich Twardochs ambivalenter Wagemut in ziemlich eindeutigen Kitsch verwandelt.

Mit Zitaten ist es so eine Sache, denn auch hier gilt, dass eine Stelle wie die von Bartmann zitierte erst im Zusammenhang des Textes betrachtet werden sollte. Ja, Twardoch wagt viel, manchmal wohl auch zu viel. Dennoch bleibt sein Versuch ein beeindruckendes Leseerlebnis.

Titelbild

Szczepan Twardoch: Das schwarze Königreich.
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2020.
416 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100731

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