Vier Jahre und endlose Seiten später

Eine Flut an Büchern über Donald Trump ist in den letzten Jahren über uns hereingebrochen – Zeit für eine Bilanz

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ziemlicher Sicherheit ist über keinen Menschen in den letzten vier Jahren so viel geschrieben worden wie über den aktuellen US-Präsidenten Donald Trump. Allein die aktuelle Amtsbezeichnung des Immobilienunternehmers hätte übrigens vor ein paar Jahren noch für viele Lacher gesorgt, ganz so, wie die Witze seines Vorgängers Barack Obama auf jener mittlerweile sagenumwobenen Gala. Obama hatte sich damals gewohnt elegant aufs Podest geschwungen, eine gewohnt brillante Rede gehalten und seinen damaligen Widersacher verunglimpft: „The Donald als Präsident? Nun, das wäre nun wirklich etwas sehr… Spezielles“. Das Publikum johlt, Obama grinst herablassend und alle Kameras sind auf einen schwitzenden, sichtlich genervten Donald Trump gerichtet, der so der Mythos  in diesem Moment Rache schwor.

Dabei hatte er sich den Spott des damaligen Amtsinhabers auch selbst zuzuschreiben, immerhin hatte Trump zuvor die so genannte Birther-Bewegung quasi ins Leben gerufen, als er öffentlich anzweifelte, dass der Präsident in den USA geboren sei. Ein eindeutig rassistisches Manöver, das er noch heute gerne aufwärmt, indem er Obamas Namen in Reden immer mit dessen zweitem Vornamen Hussein garniert. In den USA weckt das nicht nur Assoziationen mit dem Islam, sondern auch mit dem verhassten irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein.

Nichtsdestoweniger scheint in diesem Moment der Entschluss gefasst worden zu sein, sich nach jahrelangen Ankündigungen tatsächlich für das höchste Amt des Landes zu bewerben. Wahrscheinlich entspricht es aber auch der Wahrheit, dass Trump dabei gar nicht gewinnen, sondern nur seine schwächelnde Marke stärken wollte. Die Rede war unter anderem von einem geplanten eigenen rechtspopulistischen Fernsehsender, ein Breitbart zum Gucken quasi. Umso größer der Schock, als es dann doch knapp reichte – zwar nicht, was die Gesamtzahl der Wählerstimmen anbelangte, aber, dem US-Wahlsystem sei Dank, kam er doch als erster über die Ziellinie.

Was folgte, war einerseits schlimmer als die Welt sich das jemals ausgemalt hatte, andererseits, das muss ja auch mal gesagt werden, sorgten das Chaos und die Inkompetenz des Trump-Clubs auch dafür, dass es zu keinen größeren internationalen kriegerischen Konflikten kam. Konsequentes Falkentum á la Dick Cheney war mit dieser Truppe zumindest außenpolitisch nicht zu machen. Aber man will ja nicht den Tag vor dem Abend loben. Wer weiß, was da nach einer möglichen Wiederwahl noch kommt. Innenpolitisch allerdings hätte es, nicht nur aus liberaler Sicht, kaum schlimmer kommen können. Trotz der „besten Wirtschaft, die das Land je hatte“ und dem „am wenigsten rassistischen Menschen“, dem Trump selbst je begegnet ist.

Was man ihm aber zugute halten kann, ist die spannende Unterhaltung, die er täglich liefert, obwohl man sich angesichts seiner eigenen Sensationslust immer wieder bewusst machen muss, dass diese mittlerweile auch unmittelbar auf Kosten zehntausender Menschen geht. Kaum ein Tabu, das nicht gebrochen wurde in den letzten vier Jahren, begleitet vom Achselzucken seiner Parteigenossen, ohne die, seien wir ehrlich, diese ganze Show gar nicht möglich wäre.

Doch es ist nicht nur die Republikanische Partei, die das Phänomen Trump ermöglicht, es sind auch die von ihm täglich beschimpften Medien, die nichts aus dem Schock von 2016 gelernt zu haben scheinen, nach welchem sie kleinmütig einsahen, erst durch ihre umfassende Berichterstattung diesen Präsidenten ermöglicht zu haben. Tag für Tag wird ihm im TV, in der Presse und in anderen Medien weiterhin eine Bühne geboten, während sein Kontrahent Joe Biden gefühlt kaum vorkommt. Zu solide, zu seriös und entsprechend langweilig ist die Botschaft, die er der amerikanischen Bevölkerung senden möchte. Jüngst hat eine amerikanische Zeitung sich entsprechend Gedanken darüber gemacht, wie sich der Nachrichtenzyklus denn bei einem Präsidenten Biden entwickeln werde, wenn nicht jeder Griff zum Smartphone eine neue Ungeheuerlichkeit offenbart, sondern auch mal ein paar Tage einfach nichts Spektakuläres passiert. Ich gebe zu, ich kann mich auch nicht mehr an Zeiten erinnern, an denen ich den Tag nicht mit einem Blick auf die Washington Post, CNN oder politico.com begonnen habe.

Und entsprechend ist in den letzten Jahren fast zwangsläufig auch ein riesiger Markt für politische Biografien, Standortbestimmungen, Analysen und Skandalchroniken zu Trump entstanden, die dank einer klugen Vorveröffentlichungspolitik immer wieder ein paar Tage omnipräsent waren. Trotzdem hat man jedes Mal bereits kurz nach der Veröffentlichung, abgehärtet von immer neuen Skandalen, die in der Zwischenzeit bekannt geworden waren, kaum noch über die Bücher gesprochen, die Trump und seine Persönlichkeit – nicht selten in journalistisch durchaus seriöser Manier – sezierten. Garniert mit zahlreichen Zitaten von Insiderquellen brachten diese Bände so viel ans Tageslicht, dass es zur Amtsenthebung von mindestens einem halben Dutzend Präsidenten gereicht hätte. Trump hat es bekanntermaßen gerade mal zu einem Enthebungsverfahren gebracht, das dann von seinen Parteifreunden ohne viel Aufhebens niedergeschmettert wurde. Nicht umsonst nennt man ihn mittlerweile auch „Teflon-Don“.

Dabei hätte ein Buch wie Bob Woodwards Rage durchaus das Potential gehabt, den Präsidenten und sein Versagen in der Bekämpfung der Corona-Pandemie in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Mit besorgtem Blick meldeten die CNN-Anchormen Wolf Blitzer und der sichtlich angesäuerte Jake Tapper vor wenigen Wochen die Nachrichten über das Eingeständnis der Gefährlichkeit des Virus, die Trump Woodward gegenüber bereits im Februar geäußert hatte, während er der amerikanischen Bevölkerung noch predigte, das „Wuhan-Virus“ sei nicht schlimmer als eine normale Grippe. Er habe nun mal keine Panik verursachen wollen, so Trumps Entschuldigung. Und überhaupt seien 200.000 Tote eine Leistung, bei Biden hätte es zwei Millionen Tote gegeben. Selbst dass der gewiefte Profi Woodward das Ganze sogar auf Band hatte, schadete dem Präsidenten wenig.

Auch Trumps Nichte Mary hat sich an ihrem Onkel abgearbeitet und dabei ein paar Familien„geheimnisse“ ausgeplaudert. Dazu warf sie ihr gesamtes Gewicht als Psychologin in die Waagschale und diagnostizierte Trump betont nicht aus der Ferne, denn man sei ja schon seit Jahrzehnten miteinander bekannt. Zumindest war das glaubwürdiger als Brandy X. Lees Sammlung psychologischer Gutachten zum Präsidenten, Wie gefährlich ist Donald Trump?, auch wenn diese durchaus aus berufenen Quellen stammten. Was mit Blick auf Mary Trumps Buch im ersten Moment noch wie ein hilfloser Angriff anmutete, der sowieso ins Leere laufen würde, entpuppte sich aber bei genauerer Lektüre immerhin als ziemlich lesenswerte Familienchronik, in der vor allem Donalds Vater Fred als Oberschurke dasteht. Der Präsident selbst sei letztlich immer noch der kleine Junge, der sich nach Anerkennung sehnt, die er von seinen Eltern niemals bekommen habe. „She’s a mess“, lautete Trumps (Twitter-)Antwort auf das Buch. Immerhin wissen wir jetzt, dass Trump und Ex-Frau Ivana der Verwandtschaft bevorzugt Gebrauchtes zu Geburtstagen und Weihnachten schenkte. Hier ist das Buch dann doch sehr unterhaltsam – wenn nämlich Nichte Mary als Teenagerin einen Präsentkorb, den die Trumps irgendwo abgestaubt haben, zum Fest bekommt, allerdings nicht ohne dass Ivana vorher den Kaviar aus dem Korb entfernt hätte.

Das Wesen Trumps scheint aufgrund seiner medialen Dauerpräsenz längst ein offenes Buch zu sein, anhaben kann ihm das alles jedoch anscheinend nichts. Auch nicht sensationsheischende Enthüllungsbücher wie das seinerzeit breit rezipierte Fire and Fury von Michael Wolff, in dem auf der letzten Seite auch eine angeblich jüngste Affäre Trumps angedeutet wurde und die Medien sich lange fragten, ob Pressefrau Hope Hicks oder die damalige UN-Botschafterin Nicky Haley die glückliche Gespielin war. Was natürlich leider nie aufgelöst wurde.

Auch Luke Hardings wirklich gut recherchiertes Buch über die Russland-Affäre, Verrat, konnte Teflon-Don nichts anhaben, obwohl es einen wirklich verstörenden Bericht über die tatsächlichen Hintergründe dieses beispiellosen Skandals lieferte, der dann aber schnell als „Russia-Hoax“ endete. Und vergessen wir nicht die verzweifelten Versuche von James Comey, John Bolton oder gar Michael Cohen, dem Präsidenten noch eins reinzuwürgen und selbst im guten Licht dazustehen. Diese Bücher haben den wenigen seriösen Auseinandersetzungen mit Trump in großem Maße geschadet, da plötzlich alles irgendwie nach „Fake News“ aussah, auch wenn es, wie eben Hardings Buch, sehr sauber recherchiert war.

Nein, das beste Buch, das ich in den letzten vier Jahren über Trump gelesen habe (und das waren sehr viele), ist gleichzeitig das witzigste und am wenigsten ernste: Rick Reillys Der Mann, der nicht verlieren kann: Warum man Trump erst dann versteht, wenn man mit ihm golfen geht. Reilly, ein in den USA sehr prominenter Golf-Reporter, widmet sich auf über 250 unterhaltsamen Seiten Trumps Golf-Leidenschaft und seiner noch größeren Liebe zum Betrug. Er seziert dabei genüsslich die Qualität von dessen Golfplätzen, die angeblich die „besten der Welt“ sind, laut Reilly aber in Fachkreisen nur für Gespött sorgen. Er erzählt von mit eigenen Augen gesehenen Ungeheuerlichkeiten, wenn etwa sogar der Secret Service dazu eingesetzt wird, Trumps Golfbälle zu verlegen. Oder wie der Präsident eigenmächtig die Plaketten für Turniersieger in seinen Clubs zu seinen Gunsten abändert: ‚Ich habe zwar bei dem Turnier nicht mitgemacht, habe aber gestern noch weniger Schläge gebraucht, ehrlich! Also habe ich doch gewonnen!‘

Ob es zu all diesen Publikationen eine Fortsetzung geben wird? Eines ist sicher: Sollte Joe Biden die Wahl gewinnen, ist es unwahrscheinlich, dass er auch nur im Ansatz eine solche Publikationsflut auslösen wird.

Titelbild

Bob Woodward: Wut.
Aus dem Englischen von Astrid Becker, Christiane Bernhardt, Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Thomas Gunkel, Stephan Kleiner, Hainer Kober, Monika Köpfer, Elisabeth Liebl, Hella Reese, Eva Schestag, Karl Heinz Siber, Karsten Singelmann und Henriette Zeltner.
Carl Hanser Verlag, München 2020.
24,00 EUR.
ISBN-13: 9783446269774

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Mary L. Trump: Zu viel und nie genug. Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf.
Aus dem Englischen von Christiane Bernhardt, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Monika Köpfer, Eva Schestag.
Heyne Verlag, München 2020.
288 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783453218154

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Bandy X. Lee: Wie gefährlich ist Donald Trump. 27 Stellungnahmen aus Psychiatrie und Psychologie.
Mit einem Vorwort von Hans-Jürgen Wirth.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Irmela Köstlin und Jürgen Schröder.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2018.
385 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-13: 9783837927979

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Michael Wolff: Fire and Fury. Inside the Trump White House.
Englisch.
Little, Brown and Company, New York 2018.
336 Seiten,
ISBN-13: 9781408711408

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Luke Harding: Verrat. Geheime Treffen, schmutziges Geld und wie Russland Trump ins Weiße Haus brachte.
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Thorsten Schmidt.
Siedler Verlag, München 2017.
368 Seiten ,
ISBN-13: 9783641227173

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Rick Reilly: Der Mann, der nicht verlieren kann. Warum man Trump erst dann versteht, wenn man mit ihm golfen geht.
Aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020.
288 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455009590

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