Was sich jeder wünscht
Mit Marietheres Wagners „Epikurs Bibliothek“ auf den Spuren zum persönlichen Buch-Glück
Von Sandy Scheffler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZu Beginn war das Buch. Viele Bücher. Bibliotheken voller Bücher. Jedes darin hat theoretisch das Potenzial, „uns im Innersten zu berühren“, „uns etwas Neues zu zeigen“. Wann jedoch packt uns ein Buch und „wovon hängt es ab, wer welche Bücher findet“? Wie kann uns ein Buch buchstäblich zum Glück führen, indem es uns zu einem bestimmten Gedanken bringt, der uns verändert; oder indem wir plötzlich zu Forschern werden; oder indem wir Geheimnisse lüften, die den Schleier der Unwissenheit heben?
Marietheres Wagner reist mit uns zu Fragen wie diesen und stiftet dazu an, das Philosophieren wie Epikur „kinderleicht“ zu nehmen. Epikurs Geschichte vom Glück baut auf ein glückliches und selbstbestimmtes Leben. Ein solches war jedoch nur zu finden, wenn man die drängendsten Ängste, mithin die „Angst vor Schmerzen“, „vor Göttern“ und „vor dem Tod“, überwindet. Mit der Frage nach der Bewältigung dieser Ängste beginnt nach Epikur jedes Philosophieren.
Die vielen Fragen, die (sich) Marietheres Wagner in ihrem Buch stellt, werden nicht oder weitestgehend nicht beantwortet. Zumindest nicht abschließend. Das ist nicht ihr Anliegen. Vielmehr wollen ihre Fragen den Geist des interessierten Glück-Flaneurs wachrütteln, während er durch ihr Buch streift. Den Leitfaden dazu bietet ihr Epikurs Bibliothek, die in seinem Garten einst allen offenstand. Selbst Frauen fanden Zugang zu seiner Oase der Freundschaft, was an anderen etablierten philosophischen Einrichtungen seinerzeit nicht möglich war. Epikur hatte viele Freunde. Mit ihnen ließ es sich unabhängig von Stand oder Meinung wunderbar philosophieren.
Im Geiste einer Freundschaft gibt es eine Art geschützten Raum, der von den Säulen der Innigkeit und des gegenseitigen Verständnisses gesichert ist. Auch ein Buch kann solch ein Freund sein. Es urteilt nicht und gibt genügend Raum für das eigene Leseempfinden.
So wie Freundschaft das Wohlbefinden steigern kann, kann auch ein Buch emporheben. Mit der Achtsamkeit und Selbstverantwortung für das eigene Wohlbefinden steigt und fällt das epikureische Glück. Bleibt nur noch, der Angst beizukommen. Hierzu nehme man das „vierfache Heilmittel“ aus der epikureischen Hausapotheke:
Hab keine Angst vor den Göttern. Sorg dich nicht über den Tod. Das Gute ist leicht zu beschaffen. Das Schreckliche ist leicht zu ertragen.
Mit diesen Worten sollte der epikureische Freund eine geistige Handlungsstrategie erhalten, die ihn prompt wieder geistig und physisch beweglich macht, statt ihn in Angst erstarren zu lassen. Zumal ein Blick auf die Ursache der genannten drängendsten Ängste zeigt, dass sie Bedingungen der menschlichen Existenz sind und nicht der willentlichen Kontrolle unterliegen. Aus diesem Grund hält Epikur Ängste für überflüssig:
Der Tod brauche Menschen nicht zu ängstigen, weil der physische Körper nur im lebendigen Zustand Empfindungen spürt. Ein starker Schmerz gehe in der Regel schnell vorbei, während ein leichter Schmerz zu ertragen sei. Die Angst vor den Göttern sei unbegründet, weil diese sich nicht in das Leben der Menschen einmischen.
Marietheres Wagner greift in ihre persönliche, bunte Bibliothek, um Beispiele der epikureischen Haltung in Büchern zu finden. Die findet sie in so genannten „All-Age“-Romanen ebenso wie bei dem Philosophen Wilhelm Schmid, bei der Filmemacherin Doris Dörrie, bei Horaz, bei Epikur selbst oder bei Charles Dickens. Zu epikureischen Stichworten, wie „Angst“, „Garten“, „Freundschaft“ und „Glück“ hat sie in Anlehnung daran unter Überschriften in einzelnen Kapiteln Bücher gesammelt. Deren Inhalt gibt sie kurz gefasst wieder und adressiert ihn als Einladung zum Nachlesen, Nachdenken und Philosophieren an ihre Leser. Im Anhang sind die einzelnen Bücher aus den Kapiteln nochmals in „11 Regalen“ zusammengestellt.
Wer eine Sammlung epikureischer Texte oder Anekdotisches aus Epikurs Philosophenleben erwartet, der wird hier eher nicht fündig, auch wenn dies als Hintergrund aufscheinen mag. Dieses Buch richtet sich vielmehr an Buchflaneure, die gekommen sind, um wie in einer richtigen Bibliothek zu bestimmten Themen zu stöbern. Die diese oder jene Anregung interessant finden werden und an der einen oder anderen Stelle tatsächlich zu dem vorgestellten Buch greifen.
|
||